Grünes Wahlprogramm Umwelt im Kopf

Die Grünen-Spitzenkandidaten stellen ihren Programmentwurf für die Bundestagswahlen im Herbst vor und üben sich dabei in Zurückhaltung: Der Text ist nicht in Stein gemeißelt, die Partei soll mitreden können.

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Die Grünen haben mit der Arbeit an ihrem Bundestagswahlprogramm begonnen. Quelle: AFP

Berlin Die Grünen setzen im Bundestagswahlkampf vor allem auf ihr Kernthema Klima- und Umweltschutz. "Öko ist für uns nicht ein Spiel, sondern ist das Standbein, auf dem wir stehen", sagte Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir bei der Präsentation des Wahlprogrammentwurfs am Freitag in Berlin.

Deutschland solle wieder zum ökologischen Spitzenreiter gemacht werden, es brauche ein "großes sozial-ökologisches Modernisierungsprojekt", heißt es in dem Programm. Die Energiewende werde wieder flott gemacht, das abgasfreie Auto gefördert. Schluss mit Massentierhaltung und landwirtschaftlichen Monokulturen.

Die ökologische Modernisierung sei die Zukunftssicherung für alle Industriezweige in Deutschland, so die Grünen. "Wenn wir den Anschluss verpassen, wie es zum Beispiel beim Elektroauto droht, gehen Arbeitsplätze und Wohlstand verloren." Konkret heißt das: Ab 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos vom Band rollen. Die dreckigsten Kohlekraftwerke sollen sofort vom Netz genommen werden, bevor die restlichen schrittweise innerhalb der nächsten 20 Jahre abgeschaltet würden, sollten die Grünen in die nächste Bundesregierung kommen.

Bis nachts sei an dem Programm gearbeitet worden, erzählte Katrin Göring-Eckardt, die die Partei neben Özdemir im Bundestagswahlkampf anführt. Damit sei nun "der Kampf um die besten Lösungen eröffnet." Die ökologische Frage sei eine Existenzfrage, die echte Strukturveränderungen erfordere. Sie sei aber auch eine Gerechtigkeitsfrage. "Wer wohnt denn da, wo es am meisten stinkt?", fragte Göring-Eckardt. In der Regel diejenigen, die am wenigsten Geld zur Verfügung hätten.

Gerechtigkeit, das ist neben der Ökologie ein weiteres Spitzenthema der Grünen. An der Vermögenssteuer "für Superreiche" wird erwartungsgemäß festgehalten – so hatte es der Bundesparteitag im November beschlossen. Selbstverständlich, heißt es, werde dabei besonderer Wert auf den Erhalt von Jobs und die Innovationskraft von Unternehmen gelegt.

Familien sollen mehr Unterstützung bekommen – und zwar durch ein so genanntes Familien-Budget in Höhe von 12 Milliarden Euro. Gemeint ist damit nicht zusätzliches Geld, sondern ein Reformpaket, mit dem die Grünen Schwachstellen bei der Familienförderung angehen wollen. Maßnahmen sollen gebündelt werden.

Auch um aus ihrem Umfragetief herauszukommen, haben die Grünen sich einen neuen "Sound", wie sie es selber nennen, verordnet. Es gehe nicht darum, jetzt alles kleinteilig zu erklären, sondern eine Richtungsentscheidung zu treffen, sagte Göring-Eckardt. "Über das Wie sind wir bereit zu diskutieren."


Neumitglieder erwarten mutige Debatten

Es scheint, als habe die Partei aus früheren Fehlern gelernt. Forderungen wie nach einem Veggie Day, einem fleischfreien Tag pro Woche, für die die Grünen jede Menge Gegenwehr bekommen hatten, tauchen in ihrem Programm nicht auf. Stattdessen jede Menge Gesprächsangebote. "Wir sind nicht beratungsresistent", sagte Özdemir. "Wir hören zu." Finalisiert werden soll die Arbeit an dem Programm bis zum Bundesparteitag im Juni.

Einer Koalitionsaussage erteilten die Grünen abermals eine Absage, machten aber keine Hehl daraus, dass ihnen die SPD näher liege als die Union. Bisher galten vor allem Özdemir und Göring-Eckardt eher als Verfechter einer schwarz-grünen Koalition, wenngleich Özdemir das zuletzt auffällig häufig zurückweist: "Haben Sie eine Quelle dafür?", fragte er auch am Freitag.

Der Parteichef dämpfte die Erwartungen an schnelle Erfolge: Die ökologische Transformation sei alles andere als ein Selbstläufer, sagte Özdemir. Entscheidend komme es darauf an, den Schutz der Umwelt und den Erhalt von Arbeitsplätzen nicht gegeneinander auszuspielen. "Wo Jobs, zum Beispiel in der Kohleindustrie, verloren gehen, kümmern wir uns schon heute um gute soziale Absicherung und neue Jobperspektiven." Doch der Schutz der Lebensgrundlagen sei eine Herausforderung, die angegangen werden müsse.

Neumitglieder erwarten unter anderem genau das von den Grünen. Mutig in die Debatten gehen, die Diskussion mit Besitzstandswahrern nicht scheuen, fordert eine junge Frau von Göring-Eckardt und Özdemir, die nach Vorstellung des Programms mit rund 40 neuen Mitgliedern weiter diskutierten. Dass diese Debatten klar geführt würden, das sei für sie entscheidend dafür, ob sie sich bei der Partei weiter engagiere.

Für einen Großteil der Neumitglieder ist die Wahl von Donald Trump in den USA entscheidend für ihren Eintritt in die Partei gewesen. "Die Welt, die wir aus Geschichtsbüchern gelernt haben, muss nicht zwangsläufig so sein", sagt Zoe, 23. Das habe sie in den vergangenen Monaten gelernt. Ihre Schlussfolgerung: "Wir sind die Generation, die sich kümmern muss." Es gebe einen neuen Kulturkampf von rechts, sagt Özdemir. "Wir nehmen diesen Kampf auf."

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