Gülen-Bewegung „Erdogan treibt ein perfides Spiel bei uns“

Die Bundesregierung registriert „vermehrt“ Straftaten gegen türkische Oppositionelle in Deutschland. Innenpolitiker von Union und SPD sind alarmiert. Und auch Polizeigewerkschaften sehen die Entwicklung mit Sorge.

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Recep Tayyip Erdogan betrachtet den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen als Drahtzieher des Umsturzversuchs in der Türkei. Quelle: AFP

Berlin Innenpolitiker der Koalitionsfraktionen haben sich besorgt über die zunehmende Gewalt gegen in Deutschland lebende türkische Oppositionelle geäußert. „Es ist generell nicht hinnehmbar, dass politische Konflikte aus anderen Ländern nach Deutschland importiert werden, um sie hier auszutragen. Unerträglich wird es, wenn es dabei zu Einschüchterungen oder gar Gewalttaten kommt“, sagte der CSU-Innenexperte Stephan Mayer dem Handelsblatt. In diesen Fällen sei ein „konsequentes“ Einschreiten der Sicherheitsbehörden gefordert.

Mayer betonte, alle Menschen, die in Deutschland leben, hätten die hiesige Rechtsordnung zu akzeptieren, unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund besäßen. „Diese Einschätzung gilt nicht nur für den aktuellen Konflikt zwischen den Anhängern des türkischen Präsidenten und der Gülen-Bewegung, sondern selbstverständlich für alle Auseinandersetzungen dieser Art.“

Ähnlich äußerte sich der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka. „In Deutschland darf diskutiert werden – auch über die Politik in anderen Ländern. Dies muss aber im Rahmen der deutschen Gesetze geschehen“, sagte Lischka dem Handelsblatt. „Es darf jedoch nicht sein, dass Konflikte in anderen Ländern auf deutschen Straßen gewaltsam ausgetragen werden.“ Dies gelte für alle Beteiligten.

Hintergrund sind Erkenntnisse der Bundesregierung, die aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgehen. Insbesondere seit der im Juni vom Bundestag verabschiedeten sogenannten Armenien-Resolution und nach dem gescheiterten Militärputsch habe es „vermehrt“ Straftaten gegen türkische Oppositionelle sowie angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung gegeben, heißt es in der Antwort, die dem Handelsblatt vorliegt. In Bezug auf die Gülen-Bewegung und ihr nahestehende Einrichtungen sei sogar „das Risiko gewachsen, dass diese Ziel von Aktionen werden können, wie dies bereits vereinzelt geschehen ist“.

Nach Angaben des Ministeriums sind dem Bundeskriminalamt (BKA) seit dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei bisher mehr als 70 Straftaten gegen Erdogan-Kritiker gemeldet worden. Darunter fallen etwa 22 Gewaltdelikte, 22 Sachbeschädigungen und acht Beleidigungen. Weitere Straftaten werden anderen Deliktbereichen zugeordnet. Laut Ministerium richtete sich der überwiegende Teil der Straftaten – mehr als 50 – gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger oder Gülen-nahe Einrichtungen in Deutschland.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan betrachtet den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen als Drahtzieher des Umsturzversuchs. Der Streit um eine Auslieferung des Predigers hat die Beziehungen zwischen den Nato-Partnern Washington und Ankara in den vergangenen Wochen belastet. Und auch das Verhältnis zu Deutschland getrübt. Erdogan hätte sich von Deutschland mehr Verständnis für seine Kampagne gegen die Gülen-Anhänger gewünscht.


„Wir werden uns definitiv nicht vor Erdogans Karren spannen lassen“

Angesichts der jüngsten Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei mahnten zuletzt beide Seiten zur Besonnenheit. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warnte jedoch Ankara auch vor Versuchen der Einflussnahme in Deutschland: „Ich möchte nicht, dass die Konflikte der Türkei auf Deutschlands Straßen ausgetragen werden“, sagte der CDU-Politiker kürzlich der „Bild am Sonntag“. Der türkische Präsident müsse akzeptieren, dass die Bundesregierung die Verantwortung für alle Menschen in Deutschland trage, also auch für türkische Staatsbürger. Es gelte aber auch: „Wir müssen und können es als freies Land aushalten, wenn er hier Reden hält.“

Die Entwicklungen nach dem Putschversuch in der Türkei sehen die Sicherheitsbehörden hierzulande jedoch zunehmend als Problem. Erst kürzlich äußerte sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) besorgt darüber, dass sich der Konflikt zwischen Sympathisanten Erdogans und Regimekritikern auch auf Deutschland auswirke. Besonders Anhänger und Einrichtungen der Gülen-Bewegung seien Angriffsziele, sagte Herrmann bei der Vorstellung des Halbjahresberichts des Landesverfassungsschutzes .

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) beobachtet die Entwicklungen mit einiger Sorge. „Erdogan treibt ein perfides Spiel und das bekanntermaßen in größerem Maße auch bei uns“, sagte Verbandschef André Schulz dem Handelsblatt. „Gezielt wird gegen Kurden, Aleviten und Anhänger der Gülen-Bewegung agitiert.“ Eine „unrühmliche Rolle“ nehme dabei die Türkisch-Islamische Union (Ditib), der größte Islam-Dachverband in Deutschland, ein.  „Wir warnen alle Gruppen gleichermaßen vor gewalttätigen Auseinandersetzungen und raten eindringlich zur verbalen Abrüstung“, sagte Schulz.

Die deutsche Polizei sei zudem „besonders sensibilisiert“ und prüfe nach dem versuchten Putsch sämtliche Ersuchen aus der Türkei mit „besonderer“ Sorgfalt. „Wir werden uns definitiv nicht vor Erdogans Karren spannen lassen“, sagte der Polizeigewerkschafter.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, plädierte für ein entschlossenes Vorgehen der Sicherheitsbehörden. „Es ist ja nicht neu, dass sich Konflikte aus anderen Teilen der Welt auch hierzulande widerspiegeln. Deshalb gilt es, aufkeimende Auseinandersetzungen, Verfolgungen oder Bedrohungen von hier lebenden Menschen mit ausländischen Wurzeln, egal, ob in Flüchtlingsunterkünften oder auf Plätzen und Straßen in Städten und Gemeinden, nach deutschem Recht und Gesetz zu unterbinden“, sagte Malchow dem Handelsblatt.

Dabei sei es „sehr wichtig“, dass bei entsprechenden Polizeieinsätzen die Beamten „mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl“ vorgingen. „Mögliche Straftaten müssen jedoch mit aller Konsequenz unterbunden werden.“

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