Güterverkehr Leise Laster

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) besucht die Teststrecke für Oberleitungs-Lkw in der Uckermark. Die Elektrifizierung von Autobahnen: ein Modell für die Zukunft oder wirtschaftlich und ökologisch unsinnig?

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Überholmanöver eines Oberleitungs-Lkw. Quelle: dpa

Groß Dölln Wer sich dem High-Tech-Gelände nähert, sieht schon von weitem große Photovoltaikanlagen, aber auch alte Plattenbauten, Überbleibsel aus DDR-Zeiten, die heute Fledermäusen als Quartier dienen. Hier auf dem ehemaligen Militärflughafen in Groß Dölln, nicht weit von der brandenburgischen Kleinstadt Templin entfernt, befindet sich die einzige Teststrecke Deutschlands für Oberleitungs-Lkw.

Eisenbahnen beziehen Strom über Oberleitungen, mitunter auch Omnibusse - aber Lastwagen? Das klingt wie eine verrückte Idee, wird im Bundesumweltministerium (BMUB) aber kräftig vorangetrieben. Die Chefin des Hauses, Barbara Hendricks (SPD), hat sich am Dienstag auf die 80 Kilometer-Tour nördlich von Berlin aufgemacht, um sich selbst ein Bild von der Teststrecke zu machen. Auf dem eHighway lässt Siemens mit öffentlicher Förderung die oberleitungsgebundenen Lastwagen bereits fahren. Die Technik verspricht weniger dicke Luft und weniger Lärm.

Die Verkehrswende, mahnt Hendricks, bevor sie sich auf den Beifahrersitz eines weißen Lastwagens schwingt und die zwei Kilometer lange Teststrecke abfährt, müsse endlich losgehen. Schließlich hätten alle Sektoren seit 1990 zur Verminderung der CO2-Emissionen beigetragen, nur nicht der Verkehrssektor. "Um unsere Klimaziele auch mit einem wachsenden Güterverkehr zu erreichen", sagte Hendricks, "brauchen wir deutlich mehr Güter auf der Schiene und gleichzeitig ein Ende der fossilen Kraftstoffe auch beim Lkw-Verkehr."

Dass sie mit ihrer Aktion Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ins Gehege kommt, weiß sie, aber es kümmert sie nicht. "Natürlich bin ich nicht für Verkehr zuständig, auch nicht für Landwirtschaft", sagt die Ministerin und spielt damit darauf an, dass sie jüngst mit ihren Vorschlägen zu einem Umbau der EU-Agrarsubventionen schon Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) brüskiert hatte. Sie sei aber für alles verantwortlich, was nicht so richtig laufe. Schon ihr Staatssekretär, Jochen Flasbarth, hatte zuvor gegen die Kollegen aus dem Verkehrsressort gestichelt: „Wir können nicht immer warten, bis sich andere bewegen“, sagte Flasbarth. „Unser Job ist der Klimaschutz, und wenn sich da im Verkehrsbereich nichts tut, müssen wir aktiv werden.“

Im Umweltministerium hält man Oberleitungs-Lkw für eine effiziente Lösung auf dem Weg zu einem klimaneutralen Güterverkehr. Der Güterverkehr nimmt kontinuierlich zu, doch alle Transporte auf die Schiene zu verlagern, gilt als unmöglich. Darum fördert das Ministerium seit 2010 die Forschung und Entwicklung klimafreundlicher Antriebe für schwere Nutzfahrzeuge ab 3,5 Tonnen. Etwa 26 Prozent der Klimagasemissionen des Verkehrs, schätzt das BMUB, stammten derzeit von dieser Fahrzeuggruppe.


Unsinn oder Zukunft?

Mit Batterien wie bei Pkws ist die Elektrifizierung bei den schweren Fahrzeugen nicht zu stemmen - schon allein aufgrund der zu niedrigen Reichweiten. Nun zeichnet sich aus Sicht des Ministeriums eine Lösung ab: eine Kombination aus Elektro-Hybridantrieb und einer Oberleitungsinfrastruktur zur Aufladung der Lastwagen - zum Beispiel auf Autobahnen, wo der Großteil des Schwerlastverkehrs stattfindet. In Groß Dölln ist ein solches System aufgebaut, außerdem stehen zwei 18-Tonner-Lkw mit Stromabnehmern und einem Hybridantrieb bereit.

Durch den Hybridantrieb bleibt der Lastwagen flexibel, zum Beispiel bei Überholvorgängen oder auf nicht elektrifizierten Strecken. Steht die Oberleitung nicht zur Verfügung, fahren die Lkw mit Verbrennungsmotor. Ansonsten kommt der Elektromotor zum Einsatz. Die Stromabnehmer werden über Sensoren vollautomatisch aus- oder eingefahren, bis zu einer Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometern. Bewegungen des Fahrzeugs innerhalb der Fahrspur sind problemlos möglich, ein Spurführungssystem ist nicht notwendig. Künftig sollen die Fahrzeuge zusätzlich über eine größere Batterie verfügen, die während der Fahrt an der Oberleitung nachgeladen werden kann.

Ist der Ausbau deutscher Autobahnen mit einem Oberleitungssystem wirtschaftlich und ökologisch betrachtet Unsinn oder die Zukunft? Sie sei zunächst auch skeptisch gewesen, erzählt die Ministerin. Jetzt aber sei sie von dem Konzept überzeugt. "Wir brauchen eine Verkehrswende - und dies hier ist Teil einer Verkehrswende." Die Kosten für den elektrifizierten Straßengüterverkehr hielten sich durchaus im Rahmen, findet Hendricks. Schließlich müsse nicht das gesamte, 12.000 Kilometer umfassende Autobahnnetz elektrifiziert werden. Wenn nur die besonders beanspruchten 3.000 Autobahnkilometer elektrifiziert würden, sagt sie, dann rede man über Investitionskosten in Höhe von sechs Milliarden Euro. Diese müssten entweder Bestandteil des 270 Milliarden Euro schweren Bundesverkehrswegeplans der nächsten 15 Jahre werden "oder wir müssen mit dem Bundesfinanzminister neu verhandeln".

Ende 2018 soll die Zeit reif sein für eine Testphase unter realen Bedingungen; eine Strecke befindet sich auf einem Autobahnabschnitt in Hessen zwischen Darmstadt und dem Frankfurter Flughafen, die andere in Schleswig-Holstein. Bei beiden Pilotstrecken sollen 10 bis 12 Kilometer lange Oberleitungen aufgebaut werden. Auch hier ist der Steuerzahler mit von der Partie: Beide Projekte werden mit jeweils 14 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt gefördert.

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