Handelsblatt Clubgespräch mit Andreas Pinkwart „Neuwahlen will niemand“

NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) über das aktuelle Koalitionsgeschacher, die Wahrscheinlichkeit einer Jamaika-Regierung und die Gefahren von rechts und links. Ein Interview.

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„Wir benötigen also eine Politik, die in der Lage ist, die Mitte neu zu beleben.“ Quelle: METRO AG / Boris Zorn

Düsseldorf Eigentlich wollte er am Mittwochabend über Digitalisierung sprechen: Als neuer NRW-Wirtschaftsminister möchte Andreas Pinkwart das bevölkerungsreichste Bundesland in den nächsten Jahren in ein „rheinisches Silicon Valley“ verwandeln: mit flächendeckendem Gigabit-Netz, Förderung von Start-ups, einer neuen Gründungs-Initiative, zusätzlichen Plattformen für Forschung und Wirtschaft und und und… Aber er weiß selbst, dass es momentan um ganz andere politische Fragen geht. Im Metro-Pavillon am Düsseldorfer Rheinufer stellte er sich.

Herr Pinkwart, ist Jamaika eine Reise wert?
Jede Reise ist ein Gewinn, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat und auch weiß, wie man es erreichen will. Das Prinzip Kolumbus – einfach mal losfahren und hoffen, dass man  irgendwo ankommt – würde ich der Berliner Politik derzeit nicht empfehlen. Das wäre nicht ergiebig, dafür aber teuer.

Was müssen die Unterhändler zu den Koalitionsverhandlungen mitbringen?
Den unbedingten Willen, zu einem tragfähigen Ergebnis zu kommen. Die eigenen Eitelkeiten sollten sie dagegen tunlichst zu Hause lassen. Dann geht das. Dann muss das gehen. Der Rheinländer sagt ja gern: „Lass uns zu den Sachfragen kommen: Was wird aus mir?“ Das sollte man tunlichst ans Ende stellen.

Sonderlich kompromissbereit sahen die Akteure in den ersten Tagen nach der Bundestagswahl nicht aus. Nur das übliche Gepoker?
Kluge Wege zu finden, ist jetzt die Staatskunst derer, die das organisieren müssen. Nur faule Kompromisse wären auch nicht gut. Zugleich muss sich jeder wiederfinden. Daher sind innovative und unideologische Lösungen gefragt. Als wir in Nordrhein-Westfalen im Sommer Rot-Grün ablösten, dachten auch manche, nun würde Umwelt gegen Wirtschaft ausgespielt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir wollen Digitalisierung und Innovationen nutzen, um Industrie-Interessen und Klimaschutz mit Maß und Mitte zusammenbringen. Das stünde auch Deutschland gut zu Gesicht.

Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Jamaika-Koalition?
Es gibt ja nur diese Möglichkeit oder eine Neuauflage der Großen Koalition, die ihren Namen schon deshalb nicht verdient hat, weil sie keine großen Lösungen zustande gebracht hat. Allein was uns beim Thema Digitalisierung von Herrn Dobrindt und der ganzen schwarz-roten Koalition vorgeführt wurde, brauche ich als Landesminister, aber auch Bundesbürger nicht noch einmal. Auch dass die politischen Ränder so stark geworden sind, halte ich auf Dauer für unerträglich. Wir benötigen also eine Politik, die in der Lage ist, die Mitte neu zu beleben.

Das Schlimmste wären Neuwahlen?
Neuwahlen will in diesem Land niemand. Schon in der Weimarer Republik läutete es den Anfang vom Ende ein, als man sich nur noch auf kurzfristige Perioden gemeinsamen Handelns verständigen konnte. Ich wüsste auch nicht, wie man Neuwahlen den Bürgern begründen sollte. Schließlich geht es Deutschland so gut wie selten zuvor. Da kann sich ja nicht ausgerechnet die Politik als Problemfall präsentieren.


Pinkwarts Rat an die Grünen

Die RWE-Aktie brach am Montag fünf Prozent ein, wohl auch wegen der Angst der Investoren, grüne Bundesminister könnten schnellere Kraftwerks-Stilllegungen fordern. Was hören Sie sonst für Stimmen aus der Wirtschaft?
Ich höre natürlich auch Sorgen – aus dem Arbeitgeberlager wie von Seiten der Gewerkschaften. Da geht es aber vor allem um die Angst, dass die aus NRW weidlich bekannte Verhinderungspolitik nun auf Bundesebene fortgesetzt werden könnte. Da müssen sicher gerade die Grünen über Möglichkeiten nachdenken, Ökologie und Ökonomie stärker zusammen zu denken.

Welche Kompromisse müsste denn die FDP eingehen?
Jeder muss seinen Beitrag leisten. Wir wurden gewählt, damit wir Probleme lösen. Das gilt übrigens auch für die SPD. Man kann am Wahlabend aus Verbitterung sagen: Ich spiele nicht mehr mit. Aber auch die Sozialdemokraten müssen sich fragen, wo sie ihren Beitrag für eine mögliche Regierungsbildung leisten können.

Es muss also gar nicht Schwarz-gelb-grün sein?
Jamaika halte ich auf jeden Fall für den besten derzeit gangbaren Weg.

Sie waren zuletzt als Rektor der Handelshochschule sechs Jahre lang in Leipzig. Hat man die AfD dort schneller kommen sehen?
Leider ja. Auch da muss aber letztlich jeder von uns seinen Beitrag leisten. Es gab erst Pegida, dann Legida… in Leipzig sind wir regelmäßig zu Gegendemonstrationen zusammengekommen. Und wir hatten immer mehr Leute auf der Straße als die Rechten. Vor unserem Land liegen noch große Umbrüche. Wir werden die Gesellschaft nur zusammenhalten können, wenn sich gerade die demokratischen Parteien nicht im Lehnsessel zurücklegen und am Fernsehen die Aufmärsche der Rechten bestaunen. Da müssen wir alle aktiver werden… in der Politik, den Parlamenten, auf der Straße… Den Slogan „Wir sind das Volk“ dürfen wir nicht den Radikalen überlassen.

Herr Pinkwart, vielen Dank für das Interview.

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