Handynutzung im Straßenverkehr Ruf nach Führerscheinentzug für Handy-Sünder

Eine häufige Ursache für tödliche Autounfälle ist die Ablenkung durch Handys. Politiker wollen nun die Strafen für Handy-Sünder erheblich verschärfen. Auch die Polizeigewerkschaft fordert ein hartes Durchgreifen.

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Der ADAC schätzt, dass in Deutschland jeder zehnte Unfall auf unzulässige Handy-Nutzung am Steuer zurückzuführen ist. Quelle: dpa

Berlin Angesichts der gestiegenen Unfallzahlen in Deutschland geraten nun vor allem Autofahrer ins Visier der Politik, die während der Fahrt ein Handy nutzen. Der SPD-Verkehrsexperte Martin Burkert und der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, brachten ein Fahrverbot ins Spiel. „Die Nutzung von Handy oder Tablet am Steuer sollte meiner Meinung nach mit einem Monat Fahrverbot geahndet werden“, sagte Burkert.

Wendt verlangt zusätzlich noch ein höheres Bußgeld. „Wir sollten zum Punkteeintrag ein Bußgeld von mindestens 180 Euro und ein vierwöchiges Fahrverbot aussprechen, das ist die richtige Antwort auf diesen lebensgefährlichen Leichtsinn“, sagte Wendt dem Handelsblatt. Handy-Sündern am Steuern drohen bisher 60 Euro Bußgeld und ein Punkt im Flensburger Fahreignungsregister.

Der verkehrspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Ulrich Lange, plädierte ebenfalls für härtere Strafen. „Wer während der Fahrt tippt, surft oder mit dem Handy in der Hand telefoniert, riskiert Menschenleben“, sagte er. Es sei daher zur Recht verboten, aber mit 60 Euro und einem Punkt in Flensburg „zu milde sanktioniert“ und müsse außerdem an die technische Entwicklung angepasst werden. „Zur Unfallvermeidung sollten zukünftig verstärkt innovative Technologien eingesetzt werden“, regte Lange an. „Lkws brauchen automatische Notbremssysteme für das Stauende oder Abbiegeassistenten gegen den toten Winkel.“

Laut der am Dienstag vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verkehrsunfallstatistik wurden im vergangenen Jahr 3.459 Menschen auf deutschen Straßen getötet. Im Vergleich zum Vorjahr (3.377) ist das ein Anstieg um 2,4 Prozent. Damit ist die Anzahl der Unfalltoten zum zweiten Mal in Folge gestiegen. Zuvor war die Zahl der tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmer mit wenigen Ausnahmen über drei Jahrzehnte kontinuierlich gesunken.


Unfallchirurgen fordern „Handy-Diät“ im Straßenverkehr

Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), Reinhard Hoffmann, wies darauf hin, dass viele nicht mit Alkohol am Steuer, sondern auch mit Handy-Nutzung zusammenhingen. Hier sieht die DGOU Handlungsbedarf und rät zu einer konsequenten „Handy-Diät“ im Straßenverkehr. „Wer bei Tempo 50 nur fünf Sekunden mit dem Handy beschäftigt ist, befindet sich mit seinem Auto 70 Meter im Blindflug“, warnte Hoffmann.

Der Griff zum Handy steigere die Unfallgefahr etwa um das Fünffache, das Lesen und Schreiben von Nachrichten sogar um das Zehnfache, erläuterte der Experte. Der ADAC schätzt hingegen, dass in Deutschland jeder zehnte Unfall auf unzulässige Handy-Nutzung am Steuer zurückzuführen ist. Laut Europäischem Verkehrssicherheitsrat steigt das Unfallrisiko durch die Ablenkung um das 23-fache.

Es sei „lebensgefährlich, während der Fahrt mit dem Smartphone zu hantieren“, sagte Hoffmann. Das müsse jedem Autofahrer bewusst sein. Die aktuellen Strafen für Autofahrer hält er Experte denn auch für unzureichend. Angesichts des hohen Unfallrisikos zeige zeigten die aktuelle Bußgeldhöhe von 60 Euro für Autofahrer inklusive einem Punkteeintrag in Flensburg beziehungsweise 25 Euro für Fahrradfahrer „offensichtlich keine ausreichende Abschreckungswirkung“.

Dem pflichtet der Polizeigewerkschafter Wendt bei. Inzwischen werden dem Thema Ablenkung im Straßenverkehr, beispielsweise durch Handynutzung, größere Bedeutung beigemessen. „Handynutzung ist zum Killer Nummer vier geworden, nach den bekannten Hauptursachen Geschwindigkeit, Alkohol und Drogen und Verstoß gegen die Anschnallpflicht“, sagte Wendt. „Selbst bei hohen Geschwindigkeiten werden SMS getippt, Fotos und Videos gemacht und versendet und Menschen in Lebensgefahr gebracht.“


Mecklenburg-Vorpommern ist Handy-Sünder-Land Nummer eins

Im Gegensatz zu den meisten Verkehrsverstößen sei der Handygebrauch immer vorsätzlich und müsse daher auch deshalb „erheblich rigoroser geahndet“ werden, betonte Wendt. Andere Länder seien hier „klar besser, als wir“. In den Niederlanden beispielsweise werde die Handynutzung während der Fahrt mit mindestens 230 Euro geahndet.

Für die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist das Handy am Steuer seit längerem ein Schwerpunkt bei der Verkehrsunfallbekämpfung. Mehr als 147.000 Handy-Sünder erwischten die Beamten im vergangenen Jahr. 339 Smartphones wurden bei schweren Verkehrsunfällen sichergestellt, weil der Verdacht bestand, dass sich die Fahrer dadurch hatten ablenken lassen.

Das Kraftfahrtbundesamt registriert hingegen, dass immer weniger Autofahrer unerlaubt am Steuer mit dem Handy telefonieren. Die Zahl der gemeldeten Verstöße sei zwischen 2011 und 2015 bundesweit um 18 Prozent auf 363.000 zurückgegangen, teilte die Behörde vor kurzem mit.

Zweieinhalb Mal mehr Männer als Frauen wurden den Angaben zufolge mit dem Handy am Ohr ertappt. In Bayern, Brandenburg und Sachsen gingen die 2015 mitgeteilten Verstöße gegenüber 2011 um mehr als 30 Prozent zurück, im Saarland sogar um mehr als 50 Prozent. In allen anderen Bundesländern war der Rückgang geringer, mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern: Dort wurden 28,5 Prozent mehr Verstöße gemeldet als 2011.

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