Hans-Dietrich Genscher ist tot Leise Töne und starke Gesten

Hans-Dietrich Genscher ist gestorben. Mit ihm geht ein großer Liberaler und ein außergewöhnlicher Außenpolitiker. Persönliche Erinnerungen.

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Hans-Dietrich Genscher ist mit 89 Jahren verstorben.

Er war nicht von Fehlern frei – welcher Politiker wäre das? – aber eines zeichnete ihn vor allen anderen aus: Hans-Dietrich Genscher war absolut uneitel.

Und so ist er auch gegangen. Vor ein paar Tagen las man, dass er bettlägerig war. Nun ist er gestorben, beinahe leise.

Hans-Dietrich Genscher war nie ein Meister des großspurigen Auftritts. Man muss sich nur an die Szene auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag im Herbst 1989 erinnern.

Mit sachlich fester, scheinbar unbewegter Stimme kündigte er den DDR-Flüchtlingen ihre Ausreise, ihre Freiheit an – das Ende seines Satzes ging in lautem Jubel unter.

Er war immer ein Freund der leisen Töne. Aber auch der diffusen.

Als seine Partei, die FDP, die Polit-Ehe mit der Union 1982 kündigte, ließ er die Anderen tönen – insbesondere Otto Graf Lambsdorff. Die zurückhaltende, nie rüpelnde, nie triumphierende Art seines Auftritts hat ihm viel allgemeine Bewunderung, aber auch viel Kritik eingetragen - insbesondere in den Reihen seiner eigenen Parteifreunde.

Aber im Ergebnis war Hans-Dietrich Genscher immer bei den Siegern.

Stationen in Genschers politischer Karriere

Ein Erlebnis mit ihm wird mir immer in Erinnerung bleiben: Im Wahlkampf für die DDR-Volkskammer im Frühjahr 1990 stand er auf dem Balkon des Rathauses in Halle und ließ die Blicke über seine Heimatstadt streichen. Die Mauer war gefallen, die Einheit greifbar nah. Dann drehte er sich zu mir um und sagte sichtlich bewegt: „Das habe ich nicht einmal zu träumen gewagt.“

Friedrich Thelen Quelle: Werner Schuering


Im persönlichen Umgang mit politischen Partnern kannte er aber auch durchaus starke Gesten. Als in Moskau der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl die deutsche Einheit verhandelten und anschließend die Außenminister Eduard Schewardnadse und Genscher vor die warteten Journalisten traten, da drückten sich beide fest die Hände – unter dem Tisch, was die mitgereisten Journalisten nicht entdeckten.

In diesen Momenten war Hans-Dietrich Genscher so etwas wie ein Antipode des Bundeskanzlers, der sich auf öffentliche Rührung und Symbolpolitik verstand. Genschers Sache war das nicht. Er beglückwünschte sich lieber still und heimlich –im Wissen um das Glück und die Gunst der Stunde, die er zu nutzen wusste.

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