Hans-Georg Maaßen Verfassungsschutz-Chef fordert mehr Werkzeuge gegen den Terror

„Der Werkzeugkasten ist noch nicht wirklich voll“: Verfassungsschutz-Chef Maaßen wünscht sich mehr Kompetenzen für seine Behörde. Mit den Mitteln aus RAF-Zeiten lasse sich der Islamische Staat nicht besiegen.

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Deutschland steht im Visier der Islamisten. Quelle: dpa

Berlin Israel steht schon seit Jahrzehnten im Visier von Terroristen. Insofern hat das Wort des früheren Direktors des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Yoram Cohen, durchaus Gewicht. Der Kampf gegen radikale Islamisten lasse sich nicht mit auf dem Rücken gefesselten Händen gewinnen, warnte Cohen am Montag beim Jahressymposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Berlin.

Deutschlands Sicherheitsbehörden mit ihren Tausenden von Mitarbeitern – nur ein gefesselter Riese? Blockiert von übereifrigen Datenschützern und Politikern, die die bürgerlichen Freiheiten über die Sicherheit stellen?

Ganz so will Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen das dann doch nicht stehen lassen: „Die Hände sind uns nicht auf dem Rücken festgebunden, aber der Werkzeugkasten ist noch nicht wirklich voll.“ Die Rechtsgrundlagen, nach denen die Verfassungsschützer heute arbeiteten, stammten großenteils noch aus der Zeit des Terrors von RAF und Roten Brigaden, die Repräsentanten des Staates ins Visier nahmen.

Heute führt die Terrormiliz IS einen Cyberkrieg im Internet, wirbt Kämpfer über die sozialen Netzwerke an und gibt Anleitungen zum Bombenbau. Mit der Folge, dass Kinder Polizisten mit Messern angreifen, selbst ernannte Gotteskrieger Lastwagen in Menschenmengen steuern oder sich Extremisten bei Popkonzerten mitten in der Menge in die Luft sprengen.

Die Bedrohung ist auch in Deutschland real. Es hätte viele Themen für das Symposium gegeben, sagte Maaßen. Gezielte Desinformationskampagnen und Cyberangriffe vor der Bundestagswahl etwa oder Spionageabwehr und Schutz der Wirtschaft. Trotzdem habe man sich entschieden, zum dritten Mal in Folge den islamistischen Terror zum Schwerpunktthema zu machen.

Das hat Gründe. 10.000 Salafisten zählt der Verfassungsschutz mittlerweile in Deutschland. Vor einem Jahr waren es noch 8.650. Von den 930 bekannten Extremisten, die in die Kriegsgebiete dieser Welt ausgereist sind, um für den IS zu kämpfen oder sich in Terrorlagern ausbilden zu lassen, ist ein Drittel mittlerweile nach Deutschland oder in andere europäische Länder zurückgekehrt.

Und: Je erfolgreicher der IS militärisch aus seinem „Territorium“ in Syrien oder im Irak vertrieben werde, desto größer werde die Terrorgefahr, warnt der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl. Allerdings beobachteten die Sicherheitsbehörden bisher nicht, dass „foreign fighters“ nun massenhaft Kurs auf Deutschland nähmen.


Freiheit oder Sicherheit?

Was aber gehört noch in Maaßens Wunsch-Werkzeugkasten, damit die Sicherheitsbehörden der Bedrohung auch Herr werden können? Dass in Antiterror-Dateien mittlerweile auch die Daten von Jugendlichen ab 15 Jahren gespeichert werden dürften, sei schon ein erster Fortschritt, sagte Deutschlands oberster Verfassungsschützer. Das sei eine Konsequenz auf den Fall der 16-jährigen IS-Sympathisantin Safia S., die in Hamburg einen Polizisten mit einem Messer lebensgefährlich verletzt habe. Da die Radikalisierung oft schon im Kindesalter beginne, kann Maaßen sich hier durchaus noch mehr vorstellen.

Überhaupt hält er den geltenden Datenschutz für überzogen. Wenn es zum Beispiel Hinweise gebe, dass ein Rückkehrer aus einem Kampfgebiet mit Anschlagsplänen in einem Flugzeug aus Istanbul auf Platz 28 A sitze, dann müssten die deutschen Geheimdienste auch wissen, wer auf Platz 28 B sitze, forderte er.

Und: „Eine Fußfessel braucht immer auch einen Fuß, der uns bekannt ist.“ Soll heißen: Nur wenn der Geheimdienst mehr Kompetenzen erhält, um Verdächtige zu ermitteln, kann die Bewegungsfreiheit sogenannter „Gefährder“ überhaupt eingeschränkt werden.

Anfreunden kann sich der Behördenchef auch mit dem Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), den Verfassungsschutz wieder stärker zu zentralisieren. Man müsse schon die Frage stellen, ob es sinnvoll sei, dass das bremische Landesamt für Verfassungsschutz sich zwar um die Hansestadt und Bremerhaven kümmere, für das benachbarte Delmenhorst aber die Kollegen im fernen Hannover zuständig seien.

Ganz abschaffen will Maaßen die Landesämter für Verfassungsschutz zwar nicht, die Verankerung „in der Fläche“ sei wichtig. Doch die Weisungsrechte des Bundes, wie sie bis in die 1990er-Jahre hinein existierten, hätte er schon gerne zurück.

Über das Thema Zentralisierung wie auch den Datenschutz müsse offen debattiert werden, sagte Maaßen – auch wenn er weiß, dass er für seine Vorschläge „sehr große Überredungskraft“ brauchen wird.

Innenminister de Maizière mahnte bei dem Symposium an, „Maß und Mitte“ im Antiterrorkampf zu wahren. Auch Prävention sei wichtig, Schulen und Jugendhilfe müssten Radikalisierungstendenzen frühzeitig erkennen, in den sozialen Netzwerken sei „digitale Sozialarbeit“ notwendig.

Verschließen will sich der Innenminister neuen gesetzgeberischen Initiativen aber nicht, auch wenn die Befugnisse der Sicherheitsbehörden unter Schwarz-Rot schon so ausgeweitet worden seien, „wie in kaum einer Legislaturperiode zuvor.

Mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste bedeuteten zwar nicht per se weniger Anschläge, sagte de Maizière. Aber: Mehr Befugnisse bedeuteten auch nicht, gleich „die Freiheit der gesamten Bevölkerung aufzugeben“.

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