Hartz IV Der Einfluss der Sozialverbände auf die Politik

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Aufnahmeantrag ausfüllen, unterschreiben, fertig. So einfach geht das mit der Beratung, auch in der Berliner Geschäftsstelle des SoVD. Wer sich hier beraten lässt, interessiert sich nicht übermäßig für Politik oder liebäugelt gar damit, die Regierung zu verklagen. Hier gibt es Klienten, die aus einer Plastiktüte einen Stapel Unterlagen kramen, weil sie selber nicht lesen können. Andere wissen nur, dass sie „vom Amt“ kein Geld mehr bekommen, können aber nicht sagen, von welchem Amt. Und manche steuern in die Privatinsolvenz, weil die Pflegekasse nicht für das Heim der Eltern zahlt.

Aber aus jeder dritten oder vierten Rechtsberatung wird ein Widerspruchsfall und später eine Klage. Auf die Klage folgt vielleicht die Revision, und irgendwann landet so ein Fall dann wieder ganz oben, beim Bundessozialgericht oder gar beim Verfassungsgericht. Hartz IV lässt grüßen. Allein der SoVD verfolgt derzeit ein halbes Dutzend Musterklagen – gegen die Altersregeln beim Arbeitslosengeld II oder die Nullrunden für die 20 Millionen Rentner. Und das erklärte Ziel lautet stets, die Regierung zu verdonnern, endlich die Gesetze zu ändern.

Engelen-Kefer will Rente mit 67 stoppen

Ohnehin sind die Verbände in der Politik gut verdrahtet. Schließlich finden auch viele ehemalige Politiker bei der Soziallobby ihr Auskommen oder zumindest ein prestigeträchtiges Ehrenamt. VdK-Präsidentin Ulrike Mascher beispielsweise saß zwölf Jahre lang für die SPD im Bundestag, vier Jahre davon als Parlamentarische Staatssekretärin im Arbeitsministerium. Auch CSU-Chef Horst Seehofer, der ein Intermezzo als Chef des VdK-Bayern hatte, liebäugelte 2005 mit diesem Posten, blieb dann aber Politiker.

Beim evangelischen Wohlfahrtsverband, der Diakonie, fand in diesem Monat auch die SPD-Politikerin Kerstin Griese ein Plätzchen als Vorstand für Sozialpolitik, nachdem die ehemalige Vorsitzende des Familienausschusses die Wiederwahl in den Bundestag verpasst hatte. Und die ehemalige Ausländerbeauftragte des Landes Berlin, die CDU-Politikerin Barbara John, sitzt im Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Auch eine prominente Seitenwechslerin hat inzwischen bei den Lobbytruppen angeheuert: Ursula Engelen-Kefer, Ex-DGB-Vize und noch immer das prominenteste weibliche Gesicht der Gewerkschaftsbewegung, ist dem SoVD beigetreten. Nicht nur das: Seit Jahresbeginn leitet sie dort den sozialpolitischen Arbeitskreis, der die Regierung mit Konzepten bombardiert. Und ihre Mitstreiter sind illuster. Experte für die Gesundheitspolitik ist Klaus Kirschner, SPD, der einst dem Gesundheitsausschuss des Bundestages vorsaß. Seine Expertise in Sachen Rente bringt ein anderer Pensionär ein: Klaus Michaelis, vor seinem Ruhestand beinahe zehn Jahre lang Mitglied der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung.

Die Ex-Gewerkschafterin hat oft darüber nachgedacht, warum die Menschen derzeit zu den Sozialverbänden strömen und von den Gewerkschaften fortlaufen. Eigentlich seien sich beide Organisationen ja irgendwie ähnlich: Beide kümmerten sich um das Soziale. Und beide böten juristischen Beistand an. Die Soziallobby hätte es allerdings wesentlich einfacher, sagt Ursula Engelen-Kefer: "Sie muss sich nur um die Transferempfänger kümmern, nicht etwa um die Beitragszahler." Und daher könnte sie kompromisslosere Forderungen stellen.

Mit Kompromisslosigkeit kennt Ursula Engelen-Kefer sich aus. Für dieses Jahr hat sich ihr Verband ein neues, ein sehr großes Ziel gesetzt: "Wir wollen die Rente mit 67 stoppen."

Die Hartz-Debatte ist ja schließlich schon auf den Weg gebracht.

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