Hass auf Facebook Ein Gesetz, keine Lösung

Auf Facebook wuchert der Hass. Mit einem neuen Gesetz will Justizminister Heiko Maas dagegen vorgehen. Doch lösen kann das Problem nur Facebook-Chef Mark Zuckerberg selbst.

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Ein Gesetz soll den Hass auf dem Portal eindämmen.

Es braucht nur wenige Klicks, um auf Facebook Zeuge einer Steinigung zu werden. Wackelige Bilder zeigen, wie ein Dutzend Männer um einen anderen Mann steht, der am Boden kauert. Sie holen mit ihren Oberkörpern aus, um Steine auf ihn zu werfen. Ein Stein fliegt, ein zweiter, unzählige mehr. Der Mann zu ihren Füßen schlägt die Arme über dem Kopf zusammen, doch sie werfen immer wieder. Alle paar Sekunden ein neuer Stein, bis der Mann sich nicht mehr rührt. Bereits 40 000 Menschen haben sich das Handyvideo aus einer Wüste angeschaut.

Ein anderes Video zeigt einen kleinen Jungen. Er flieht durch ein Badezimmer vor einem Mann. Der Kleine klettert in eine Badewanne, sucht Schutz. Dann ist er ausgeliefert, als der Erwachsene mit flacher Hand auf ihn einschlägt. Gleicher Tag, andere Bilder: Eine Frau sitzt auf der Bank vor einer Hauswand. Plötzlich baut sich eine Gruppe von Männern vor ihr auf. Sie haben Schuhe in ihrer Hand, mit denen sie auf sie schlagen.

Das alles sind Beiträge aus geschlossenen Facebook-Gruppen, in die man nur durch Akzeptanz bestimmter Administratoren gelangt. Darunter stehen Kommentare, so austauschbar wie einfältig in ihrer Botschaft: „Wenn wir nichts tun, haben wir auch in Deutschland solche Zustände. Vorsicht vor Muslimen!“ Unter dem Pseudonym „Marco“ hat sich die WirtschaftsWoche in den vergangenen Wochen in solchen Gruppen umgesehen. Ein Pseudo-Account mit Deutschlandflagge als Profilbild genügt, schon wird „Marco“ in Gruppen aufgenommen, die sich als die dunkelsten Ecken Facebooks herausstellen; in denen Menschen die NS-Diktatur verherrlichen, gegen Ausländer hetzen oder einfach Brutalität zeigen.

Hetzpost: Totenkopfmütze, Beschriftung

Das Netzwerk löscht sie, sobald sie gemeldet und überprüft wurden. Doch oft vergehen bis dahin Tage, allzu oft passiert gar nichts, und in den geschlossenen Gruppen meldet niemand die Inhalte.

Der Mann, der diese Refugien zur Verfügung stellt, weiß das. Facebook-Chef Mark Zuckerberg schrieb jüngst ein Manifest mit dem Titel: „Building Global Community“. Facebook überprüfe über hundert Millionen Inhalte jeden Monat, heißt es da. „Wir sind so groß, dass selbst ein kleiner Prozentsatz an Fehlern eine Vielzahl an schlechten Erfahrungen auslösen kann,“ Die Einsicht ist also da. Nur: Wer sich wie „Marco“ in den dunklen Ecken auf Facebook umschaut, sich Zugang zu geschlossenen Gruppen verschafft, in denen gesteinigt, gehetzt und gehasst wird, merkt: Zwischen Einsicht und Umsetzung klafft eine Lücke, die Extremisten jeglicher Coleur mit Propaganda und Gesetzesverstößen füllen.

Selten gab es ein Unternehmen, das in so kurzer Zeit so mächtig wurde wie Facebook. 1,9 Milliarden Mitglieder hat Zuckerberg in seine Welt gelockt, mehr als eine Milliarde davon nutzen die Plattform täglich. Nun aber werden Menschen dort brutal verhöhnt, Politiker mit Morddrohungen beschimpft. Selbst das Terrornetzwerk „IS“ rekrutiert auf Facebook. Lange hat das Netzwerk dem unentschlossen zugeschaut. Man verurteilte, wenn – wie im US-Wahlkampf – gefälschte Nachrichten verbreitet wurden, richtete aber ein Gremium zum Kampf gegen Lügenpropaganda erst ein, als es fast schon zu spät war; man mokierte sich über Werbetreibende, die von der guten Reichweite von Diffamierungsnachrichten profitierten, änderte die zugrunde liegende Technik aber erst nach Monaten; man gelobte Besserung, wenn Politik und Gerichte die Auswüchse beklagten, zog dann aber wachsweiche Konsequenzen.

Weil man die Dinge zum Teil nicht ernst nahm; weil in einem Netzwerk dieser Größe so viele Probleme wuchern, dass man nicht alle gleichzeitig bekämpfen kann; weil man unsicher war, ob man überhaupt die Verantwortung für Inhalte auf der eigenen Seite übernehmen solle. Und: weil das alles Geld bringt, sehr viel Geld.

So aber verstrich auch sehr viel Zeit. Womöglich zu viel. Und deswegen wächst in Europa der Unmut über Facebook. Es gab das schon in der Vergangenheit: Als Microsoft oder Google groß und größer wurden, entzündete sich Kritik an der Macht der Techkonzerne. Beide Riesen ignorierten dies so lange, bis vor allem Microsoft von der EU-Kommission zu Millionenstrafen verurteilt wurde, die das Geschäft empfindlich trafen. Nun steht Facebook vor seinem „Microsoft-Moment“, an dem der politische Druck so zunimmt, dass er auf Dauer das Geschäft schädigen kann. Während bei der Verbreitung von Fake News vor allem gesellschaftliche und ethische Fragen zu diskutieren sind, haben sich Politik und Justiz in Sachen Gesetzesverstöße entschieden, den Konzern in die Pflicht zu nehmen.

Das Netz prägt die Meinung: Jüngere setzen bei Nachrichten stärker auf soziale Netze. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Deshalb sind Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Landesämter auf Facebook aktiv. Das BKA hat vor sechs Jahren drei Einsatztruppen geschaffen, die rechtsextreme, linksextreme und islamistische Straftaten im Netz aufspüren sollen. Die Landeskriminalämter schicken eigene Onlinepolizisten auf Streife ins Netz. Die Polizei NRW hat gerade erst eine neue Ausschreibung veröffentlicht: Die Beamten suchen 36 neue Mitarbeiter für die Cyberfahndung.

Auch Facebook beschäftigt mittlerweile Hunderte Mitarbeiter und Subunternehmen, die Bilder und Videos sichten, um das Verbotene und Widerliche zu löschen. Daten der EU-Kommission vom Dezember zeigen aber, dass Facebook nur 28,3 Prozent der gemeldeten Hass-Postings löscht, obwohl man sich schon im Mai 2016 auf einen freiwilligen Verhaltenskodex zur Bekämpfung von illegaler Onlinehetze mit Facebook und anderen Techkonzernen geeinigt hatte. Zwar ist unklar, wie aussagekräftig diese Daten sind, schließlich weiß kein Mensch, ob der Anteil der wirklich gefährlichen Inhalte unter den Beschwerden eher bei 30 oder eher bei 90 Prozent liegt. Doch der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) will das nicht mehr hinnehmen. Ein von seinem Haus in Auftrag gegebenes Monitoring kommt zu dem Schluss: Das Löschen der meisten rechtswidrigen Inhalte binnen 24 Stunden wird nur von YouTube eingehalten, nicht aber von Facebook und Twitter.

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