Hass auf Facebook Ein Gesetz, keine Lösung

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Gesetzentwurf zur Regulierung sozialer Medien

Um Maas’ tiefere Beweggründe zu verstehen, muss man ein Jahr zurück in die Vergangenheit. Im März 2016 sitzt der Minister im Fonds seiner Dienstlimousine, gerade hat er einen Auftritt in Bad Kreuznach hinter sich gebracht. Es ist damals noch nicht lange her, dass er die Pegida-Bewegung eine „Schande“ genannt hat. Immer wieder hat Maas seitdem gegen Rechte Stellung bezogen. Seitdem wird er online bedroht. Er drückt sich tief in den Ledersitz, während der Wagen durch das Städtchen rollt, seine Hände knetet er in den Taschen seines Anzugs, als er darüber spricht. „Im Netz sterbe ich jeden Tag“, sagt er dann. „Die Hemmschwellen sinken.“

Trotzdem hat Maas sich sehr viel Zeit gelassen, tätig zu werden. Diese Woche erst – nach langem Drängen der CDU und aus den eigenen Reihen – legte Maas seinen Gesetzentwurf zur Regulierung sozialer Medien vor. Natürlich ist dies nicht nur gegen Facebook gerichtet, aber vor allem. „Die mit den sozialen Netzwerken vereinbarten Selbstverpflichtungen haben sich als nicht ausreichend erwiesen“, heißt es in dem Entwurf. „Es werden weiter zu wenige strafbare Inhalte gelöscht. Und sie werden nicht schnell genug gelöscht“, sagt Maas.

Maas will gesetzlich die Pflicht verankern, „ständig verfügbare“ Verfahren einzurichten, um Beschwerden melden zu können. Offensichtlich strafbare Inhalte sollen innerhalb von 24 Stunden aus dem Netz sein, in komplizierteren Fällen binnen sieben Tagen. Dazu sieht der Entwurf Bußgelder von 5 bis 50 Million Euro vor. SPD-Digitalfachmann Lars Klingbeil ist froh, dass der Minister jetzt noch vor der Bundestagswahl – zum letztmöglichen Zeitpunkt, weil sein Gesetzentwurf nun zur dreimonatigen Prüfung nach Brüssel muss, bevor der Bundestag ihn endgültig verabschieden kann – endlich vorangeht: „Auf freiwilliger Basis ist bei den sozialen Netzwerken zu wenig passiert. Deshalb müssen wir als Gesetzgeber jetzt den Druck erhöhen.“

Auch andernorts, in der Rue de Genève im Herzen Brüssels, steht Facebook unter Beobachtung. Konkret erwägt die EU-Kommission klarere Vorgaben, damit Unternehmen illegale Inhalte schneller löschen. Die Behörde will im Mai und Dezember überprüfen, wie sich die Lösch-Zahlen seit dem 2016 vereinbarten freiwilligen Verhaltenskodex entwickeln. „Wenn wir bis Dezember keinen deutlichen Fortschritt sehen, dann werden wir eine Regulierung vorlegen“, sagt dazu ein Insider aus der EU-Kommission. Allerdings gilt für Brüssel wie für Berlin: Die Details sind aufgrund des schmalen Grats zwischen Verhindern von Verleumdung und Zensur auch in Europas Zentrale hoch umstritten.

Die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) merkte bereits an: „Die Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber derart auszuweiten, dass sie einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gleichkommt“, halte sie ökonomisch und gesellschaftspolitisch für besorgniserregend.

Facebook-Chef Zuckerberg hat seine Gegenargumente auch schon vorgetragen: Facebook werde die Menschheit einen, nicht spalten. Regulierung sei deswegen das falsche Mittel. Allerdings darf man ihm, neben ehrlicher Betroffenheit, auch einen gewissen ökonomischen Interessenkonflikt unterstellen: Denn Zuckerberg hat die Geister selbst herbeibeschworen, die er jetzt einfangen will. Und das lässt sich nirgendwo besser erleben als beim Abgleiten in die abgeschotteten Denkräume – die Filter Bubbles, die er in seinem Post selbst scharf kritisiert.

Je mehr rechten Gruppen „Marco“ beitritt, umso mehr verändert sich die Realität, wie „Marco“ sie auf Facebook wahrnimmt, ins Abstruse. In dieser Welt ist SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz eine vom jüdischen Finanzinvestor George Soros bezahlte Marionette. Angela Merkel wird von Rabbinern gesteuert, und in Frankreich herrscht Krieg, was die Medien geheimhalten. Und diese eigene Welt aus Lügen und Hass verstärkt sich mit jedem Klick. Als „Marco“ die Seiten „Gegen Masseneinwanderung“, „NPD“, „Islam Nein Danke“ abonniert, bekommt er vom Facebook-Algorithmus die Foren „Deutsches Reich“ oder „Politisch Inkorrekt“ vorgeschlagen.

von Katharina Matheis, Marc Etzold

Dieser Strudel des Bösen, in den Facebook „Marco“ zieht, dient einem einfachen Interesse: Auf je mehr gleichgesinnte Inhalte Nutzer treffen, desto länger bleiben sie. Und je mehr sie dort verweilen und klicken, desto mehr Werbeerlöse kann Facebook erzielen.

Mit diesem Mechanismus ist Facebook zum Werbewunder aufgestiegen mit 28 Milliarden Dollar Umsatz und 10 Milliarden Gewinn. „Zuckerberg hat die finanziellen Interessen von Facebook zu lange über die Interessen der Nutzer gestellt“, zetert ein Vertreter eines Konkurrenten.

Verhängnisvolle Posts, die den Job kosten können
Ein Auktionator bei einer Kunstauktion mit dem Hammer den Zuschlag. Quelle: dpa
Wer seinen Ausbilder als Menschenschinder und Ausbeuter bezeichnet, fliegt Quelle: Fotolia
Hamburger Band Deichkind Quelle: dpa
„Ab zum Arzt und dann Koffer packen“Urlaub auf Rezept? Eine Auszubildende aus Nordrhein-Westfalen schrieb bei Facebook: "Ab zum Arzt und dann Koffer packen." Das las der Ausbilder und fand es gar nicht komisch. Er kündigte der Auszubildenden fristlos. Sie zog vor Gericht. Das Argument der Verteidigung lautete übrigens, dass die Auszubildende wegen ihrer Hautkrankheit Neurodermitis Urlaub bräuchte. Spätestens als die aber sagte: "Ich hätte eh zum 31. Mai gekündigt" war klar, woher der Wind weht. Beide Parteien einigten sich auf eine Zahlung von 150 Euro ausstehenden Lohn und ein gutes Zeugnis. Quelle: dapd
Facebook-Nutzung trotz Kopfschmerzen Quelle: Fotolia
"Speckrollen" und "Klugscheißer" Quelle: AP
Eine Lehrerin bezeichnete sich als "die Aufseherin von künftigen Kriminellen" Quelle: dpa

In Würzburg gibt es einen Mann, der Zuckerberg wegen solcher Mechanismen am liebsten im Gefängnis sehen würde. Rechtsanwalt Chan-jo Jun hat mehrfach gegen Facebook geklagt. Der Vorwurf: Hasskriminalität und Verleumdung in über 500 Fällen. Im vergangenen März schon stellte er Strafanzeige, in Hamburg. Doch die Hamburger Staatsanwaltschaft verweigerte Ermittlungen mit dem Hinweis, dass angesichts der verzweigten Unternehmensstruktur von Facebook deutsches Recht nicht anwendbar sei. Jun zog daraufhin zur Staatsanwaltschaft München I, die sich derzeit aber mit ähnlichen Bedenken plagt und die zudem noch zweifelt, ob sie sich überhaupt für Hamburger Vorgänge interessieren sollte.

Jun erkundigte sich deswegen beim bayrischen Justizminister, ob man Facebook in Deutschland strafrechtlich belangen könne. Die schriftliche Antwort aus dem Ministerium ist eindeutig: Die Geltung deutschen Strafrechts könne nicht „mit der Begründung verneint werden, es fehle an einem innerstaatlichen Tatort“. Übersetzt: Selbst wenn Facebooks Server außerhalb der Bundesrepublik stehen, findet doch das Verbrechen – in diesem Fall das Nichtlöschen – in Deutschland statt. Die Staatsanwaltschaft vermeldet dennoch weiteren Beratungsbedarf. Und gerade erst urteilte das Landgericht Würzburg in einem ähnlichen, ebenfalls von Jun vorangetriebenen Fall, Facebook hafte nicht für Inhalte, die andere auf seiner Plattform verbreiten.

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