Hass auf Facebook Ein Gesetz, keine Lösung

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Probleme bei der Bändigung Facebooks

Es gibt neben überforderten Richtern, Staatsanwälten und Politikern allerdings noch ein weiteres Problem bei der Bändigung Facebooks: Aus einem Studentennetzwerk ist heute ein Netzwerk herangewachsen, das inzwischen in gut 200 Ländern tätig ist. Und in all diesen Ländern gibt es unterschiedliche Vorstellungen, was tolerabel ist. In den USA etwa darf man Nazis verherrlichen. Bisher galten im Facebook-Universum universelle „Gemeinschaftsstandards“. In Zukunft sollen die Nutzer selbst die Kuratoren ihrer Facebook-Welt werden. In den Einstellungen soll jeder selbst bestimmen, wie viel Gewalt etwa sie oder er verträgt. Aber werden jene, die in ihre eigenen Welten aus Hass und Lügen abdriften, nicht erst recht in Paralleluniversen verschwinden?

In „Marcos“ Gruppe „Deutschland den Deutschen“ hat ein Nutzer ein Bild von Adolf Hitler hochgeladen, der Kommentar dazu: „Adolf, Du fehlst“. Darunter ein Comic von Männern, die den Davidstern erbrechen. Wenige Minuten später kann „Marco“ beobachten, wie jemand das Foto einer Hakenkreuz-Fahne hochlädt. In anderen Gruppen kommunizieren die Nutzer mit Nazicodes, um sich nicht strafbar zu machen. Viele Beiträge, die „Marco“ verfolgt, enden mit SH (Sieg Heil) oder HH (Heil Hitler). Untereinander sind die Mitglieder so freundlich, wie Facebook in seiner Vision skizziert.

Sie nutzen die Plattform, um sich gegenseitig gute Nacht zu wünschen („Gute Nacht, Kameraden“, „Dir auch gute Nacht und SH“), ein paar motivierende Worte für den Arbeitstag zu schicken oder sich über historische Soldatenbilder zu freuen. Zu den beliebtesten Objekten zählen Stahlhelme mit „Kampfschäden“.

Nutzerzahlen der bekanntesten sozialen Medien

Facebook will nun künstliche Intelligenz (KI) einsetzen, um solche Fotos, Videos und Sprüche, sobald sie in einem Land verboten sind, herauszufiltern. „Wir hoffen, einige dieser Fälle schon 2017 so handhaben zu können“, postete Zuckerberg. „Aber andere werden noch in vielen Jahren nicht möglich sein.“ Simon Hegelich, der an der Schnittstelle zwischen Politik und Big Data in München forscht, sagt: Derzeit seien selbst die besten KI-Systeme noch überfordert, Gewalt aus Videos herauszufiltern. Denn diese selbstlernende Technologie sei noch nicht in der Lage, verdächtiges Datenmaterial auch in einen Kontext zu stellen. Das funktioniere derzeit lediglich bei Pornografie, da es einen großen Datenfundus als Referenzrahmen dazu gebe.

Wissenschaftler wie Hegelich gehen davon aus, dass es noch lange dauern werde, bis aus der selbstlernenden KI eine „echte künstliche Intelligenz“ entstehe, die solche Zusammenhänge herstellen kann.

Auch Martin Drechsler, der als Chef der Freiwilligen Selbstkontrolle von Multimedia-Anbietern schon einiges erlebt hat, sagt: „Facebook beschäftigt mit die besten Experten der Welt für künstliche Intelligenz, aber das Filtern verbotener Inhalte ist technologisch derzeit vor allem für Videos noch sehr schwer.“ Zwar sei Facebook in Deutschland lange nicht sehr kooperativ gegenüber Behörden und Politik aufgetreten. Allerdings findet Drechsler auch, dass politischer Aktionismus im Kampf für mehr Netzhygiene fehl am Platz ist: „Das Management hat verstanden, dass es handeln muss.“

Deswegen solle man lieber mit als gegen das Unternehmen versuchen, das Problem zu beheben. „In Berlin ist die Erkenntnis inzwischen gereift, dass die Gefahr recht groß ist, beim Versuch der Regulierung Zensur zu betreiben“, sagt Drechsler.

Und so muss man wohl sagen: So lange, wie eine technische Lösung nicht möglich ist, ist eine umfassende Kontrolle Facebooks kaum möglich. Die Hoffnung, wenn Facebook einmal gemeldete Inhalte innerhalb von 24 Stunden lösche, werde alles gut, ist naiv. Studien haben ergeben, dass die Verbreitung am besten gestoppt wird, wenn Inhalte innerhalb der ersten zwei Stunden gelöscht werden. Danach ist Eile egal, der Inhalt längst gestreut.

Die Geschichte des Aufstiegs von Facebook handelt deshalb auch davon, wie offene Gesellschaften von Turbo-Aufsteigern wie Zuckerberg einfach überrollt werden. „Niemand kann beim Programmieren voraussehen, wie die dadurch entstehenden technologischen Umbrüche die Gesellschaft später beeinflussen werden“, gibt ein Topentwickler aus dem Valley zu.

Zuckerberg hat mit Barack Obama posiert, er wird weltweit wie ein Popstar hofiert. In diesem Jahr will Zuckerberg alle 50 US-Bundesstaaten besuchen. Manche glauben, er bereite sich auf ein Leben in der Politik vor. Es ist deswegen der Gründer selbst, der das größte Interesse daran hat, dass Facebook die freundliche Plattform zur Verbesserung der Welt bleibt, als die er das Unternehmen einst schuf. Er muss dafür vor allem selbst aktiv werden, dafür Sorge tragen, dass sein Netzwerk nicht schneller wächst als die Möglichkeiten, es zu kontrollieren. Der Mann ist gerade Anfang 30 und steht nun doch vor seinem ganz persönlichen „Microsoft-Moment“: Findet er eine Antwort auf die geballte Kritik in Europa oder nicht? Findet er sie nicht, drohen ihm Einschnitte, dabei hängen 23 Prozent seines Umsatzes am alten Kontinent. Microsoft und Google mussten einst teuer bezahlen, als sie die Europäer ignorierten.

Der Facebook-Chef könnte also gewarnt sein: Zuckerberg muss sich selbst zähmen lernen, weil in offenen Gesellschaften es kein anderer kann.

Was sonst passiert, konnte man auch in der Facebook-Realität von „Marco“ sehen: Als jemand nach der Meinung zur Grünen-Politikerin Claudia Roth fragte, ploppten Kommentare auf wie: „Der gehört eine Kugel verpasst“, oder „Ich will sie tot sehen“. Dieser Strang stand in keiner geheimen Gruppe. Er war für jedermann einsehbar.

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