Die Affäre um das umstrittene Sturmgewehr G36 wird voraussichtlich von einem Untersuchungsausschuss durchleuchtet. Die Grünen-Fraktion im Bundestag forderte am Donnerstag eine parlamentarische Untersuchung. Zuvor war bekanntgeworden, dass der Hersteller Heckler & Koch und Beamte des Verteidigungsministeriums Ende 2013 wegen negativer Medienberichte über das Gewehr versucht hatten, den Militärischen Abschirmdienstes (MAD) einzuschalten.
Dabei ging es auch darum herauszufinden, welche Beamten des Ministeriums Informationen zu dem Gewehr an Journalisten weitergegeben hatten. Der damalige Präsident des MAD, Ulrich Birkenheier, hatte dieses Ansinnen damals zurückgewiesen.
Die Debatte um das G36
Das Sturmgewehr G36 ist die Standardwaffe der Bundeswehr. Der Hersteller, das deutsche Rüstungsunternehmen Heckler & Koch, hat nach eigenen Angaben 178.000 Gewehre des Typs G36 an die deutsche Armee verkauft. Der Preis: Mehr als 180 Millionen Euro. Das Gewehr zeichnet sich nach Angabe der Bundeswehr durch „seine einfache Bauweise aus, sämtliche Hauptbaugruppen sind mit nur drei Haltebolzen am Waffengehäuse befestigt.“
Quellen: Bundeswehr, Unternehmen, dpa
Das G36 wiegt 3,63 kg und verfügt über ein Zielfernrohr sowie ein Reflexvisier. Es handelt sich um einen automatischen Gasdrucklader mit Drehkopfverschluss im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter. Mit dem Gewehr können sowohl einzelne Schüsse als auch Feuerstöße abgegeben werden.
Das G36 löste das G3 ab, das sich seit 1959 im Einsatz bei der Bundeswehr befindet. Bei dem G3 handelt es sich um eine schwerere Waffe im größeren Kaliber 7,62 x 51 Millimeter.
Ende März 2015 hat die Bundeswehr Probleme bei der Treffsicherheit des G36 eingeräumt. „Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen aber auch im heißgeschossenen Zustand“, erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In den Jahren zuvor hatte es mehrere widersprüchliche Berichte über die Treffsicherheit des G36 gegeben. Unter anderem war die Munition für Ungenauigkeiten verantwortlichgemacht worden. Daraufhin hatte von der Leyen im Frühsommer 2014 eine Expertenkommission mit Vertretern der Bundeswehr, des Bundesrechnungshofs und des Fraunhofer-Instituts eingesetzt, um Klarheit zu schaffen. Der Abschlussbericht stand zum Zeitpunkt der Äußerungen noch aus.
Das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch wird nicht nur von der Bundeswehr verwendet, sondern auch von Armeen anderer Staaten. In Lettland, Litauen und Spanien ist die Waffe nach Angaben der Bundeswehr ebenfalls als Standardgewehr der Armee im Einsatz. Verwendet wird das G36 zudem von Spezialeinheiten in Jordanien, Norwegen und Mexiko. Aus Bundeswehr-Beständen sind kürzlich G36-Sturmgewehre an die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nord-Irak geliefert worden. Die Kurden sollen damit gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfen.
Im spanischen La Coruña wurde das G36 in Lizenz von General Dynamics Santa Bárbara Sistemas hergestellt. 2008 erteilte die Bundesregierung außerdem eine Genehmigung zur Ausfuhr von Technologie für die Herstellung des Gewehrs in Saudi-Arabien. Diese Genehmigung sieht allerdings nach Angaben der Regierung nur eine Produktion für den Eigenbedarf der saudischen Sicherheitskräfte vor und keine autonome Fertigung ohne Zulieferung von Schlüsselkomponenten aus Deutschland.
Die Linkspartei zeigte sich offen für den Vorschlag der Grünen, bat aber noch um Bedenkzeit. „Wir sind noch mitten im Selbstfindungsprozess“, sagte ein Verteidigungspolitiker der Linken. Der Verteidigungsausschuss des Bundestages kann sich seit der Stärkung der Minderheitenrechte im vergangenen Jahr als Untersuchungsausschuss konstituieren, wenn die Ausschussmitglieder der Opposition dafür stimmen.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärte: „Wenn sich das Parlament dieser Angelegenheit im Rahmen eines Untersuchungsausschusses annehmen möchte, ist dies sein gutes Recht.“ Gleichzeitig trat sie Kritik der Opposition an ihrem angeblich mangenden Aufklärungswillen entgegen.
Von der Leyen betonte, sie habe den Parlamentariern bereits Tausende Seiten Akten übersandt und zwei Kommissionen unter unabhängiger Führung eingerichtet, um den gesamten Sachverhalt rund um das G36 aufzuklären. Außerdem sei der Abteilungsleiter, der damals an den MAD-Präsidenten geschrieben hatte, inzwischen seines Postens enthoben. Es sei gut und richtig gewesen, dass Birkenheier das „absurde Ansinnen“ des Ministerialbeamten abgelehnt habe.
Aus Sicht der Grünen ist das nicht genug. „(Ex-Verteidigungsminister Thomas) De Maiziere und von der Leyen müssen dazu klar Stellung nehmen, ihr Versagen muss aufgeklärt werden“, erklärte der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter. „Es ist eine besondere Frechheit, dass offensichtlich gegenüber dem Parlament jahrelang die Unwahrheit gesagt worden ist“, fügte er hinzu.
Von der Leyen hatte im vergangenen April erklärt, das G36 habe wegen mangelnder Treffsicherheit in der Bundeswehr keine Zukunft. Experten haben eine Studie vorgelegt, nach der die Trefferquote des G36 bei extremer Erhitzung von den erforderlichen 90 auf nur noch 7 Prozent sinkt. Ähnlich schlechte Ergebnisse gab es unter Dauerfeuer.
Das Sturmgewehr ist das Standardgewehr der Bundeswehr. Nach bisherigen Erkenntnissen gab es Hinweise auf die Hitzeproblematik beim G36 schon unter von der Leyens Vorgänger de Maizière.
Der Waffenhersteller Heckler & Koch betonte, er habe nicht versucht, Journalisten im Zusammenhang mit dem Sturmgewehr G36 auszuspähen. „Heckler & Koch hat zu keinem Zeitpunkt die Ausspähung von Journalisten gefordert oder forciert“, teilte das Unternehmen in Oberndorf mit. Es habe keine gemeinsame Operation mit dem Verteidigungsministerium initiiert, um Berichterstattung über das Sturmgewehr G36 zu unterbinden.
Das Nachrichtenportal „Spiegel Online“ hatte berichtet, führende Beamte des Verteidigungsministeriums hätten Ende 2013 in enger Absprache mit Heckler & Koch versucht, kritische Berichterstattung über das Gewehr mit allen Mitteln abzuwürgen.