Heftiger Zwist nach Glyphosat-Votum „So isser, der Schmidt“

Die Gemüter in der SPD sind in Wallung: Noch bevor eine erneute Große Koalition mit der Union wirklich verhandelt wird, stimmt der CSU-Agrarminister für die weitere Zulassung von Glyphosat. Die Stimmung ist vergiftet.

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Demonstranten vor der Abstimmung am 27. November in Brüssel mit einem Konterfei von EU-Kommissionschef Juncker. Quelle: dpa

Berlin „So isser, der Schmidt“, sagt Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) am Montagabend. Kurz zuvor hat er jedoch die geschäftsführende Bundesregierung in eine Krise gestürzt. Er hatte in Brüssel einer fünfjährigen Verlängerung für Glyphosat zugestimmt. Das Pflanzenschutzmittel darf daher weiter ohne große Beschränkungen in der Europäischen Union eingesetzt werden. Bislang hatte sich Deutschland jedoch immer enthalten, da die SPD und Umweltministerin Barbara Hendricks eine andere Auffassung zu dem Mittel vertritt.

Schmidt verteidigte seine Entscheidung damit, an der Sache entschieden zu haben. Es habe sich um eine Entscheidung des Ressortministers gehandelt, weil dieser nach seiner Einschätzung so mehr für die Biovielfalt herausgeholt habe, als wenn die EU-Kommission die Verlängerung ohne eine entsprechende Klausel beschlossen hätte, hieß es am späten Montagabend in Regierungskreisen in Berlin. Der Tenor der Aussage: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe nichts von dem Votum gewusst und so nicht den Konflikt in der geschäftsführenden Bundesregierung ausgelöst.

Mitten in den Vorbereitungen zu Verhandlungen über eine erneute Große Koalition hat Schmidt die Stimmung so heftig vergiftet. PD-Vizechef Ralf Stegner hat entsetzt auf das überraschende Ja von Schmidt bei der EU-Abstimmung reagiert. Schmidts nicht mit der SPD abgestimmte Votum sei „ein glatter Vertrauensbruch“ und widerspreche auch der Geschäftsordnung der Bundesregierung, sagte Stegner am Montagabend in den ARD-„Tagesthemen“. Da die SPD vorher Nein zu einer Verlängerung der Zulassung gesagt habe, hätte Schmidt sich enthalten müssen. Die SPD frage sich, ob die Kanzlerin davon gewusst habe. Stegner sprach von einem „ordentlichen Schlag ins Kontor“. Dies diene nicht den laufenden Gesprächen, die jetzt auf Wunsch des Bundespräsidenten zwischen den Parteien geführt werden, um eine Regierungsbildung zu ermöglichen. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hatte gesagt: „Wir empfinden das wirklich als schwere Belastung.“

„Mit der Zustimmung Deutschlands habe ich wichtige Verbesserungen zum Schutze der Pflanzen- und Tierwelt durchgesetzt“, verteidigte der CSU-Politiker seine Entscheidung. Dies sei mehr „als von allen beteiligten Ressorts jemals verlangt worden ist“. Ohne die Zustimmung Deutschlands wäre Glyphosat nach seiner Darstellung von der EU-Kommission ohne diese Verbesserungen zugelassen worden.

FDP-Geschäftsführer: „Vorsätzliche Verletzung der Geschäftsordnung“

Hendricks, die wie alle Bundesminister geschäftsführend im Amt ist, reagierte verärgert. Zwei Stunden vor Beginn der Sitzung des Berufungsausschusses habe sie gegenüber Schmidt telefonisch eindeutig erklärt, dass sie mit einer Verlängerung weiterhin nicht einverstanden sei, erklärte sie. „Es war daher klar, dass Deutschland sich auch in der Sitzung des Berufungsausschusses enthalten musste.“ Schmidt habe per SMS bestätigt, dass der Dissens bestehen bleibe. Offenbar sei zur selben Zeit an den Vertreter des Agrarministeriums in Brüssel eine andere Weisung ergangen als mit Schmidt und ihr abgestimmt gewesen sei, erklärte Hendricks. „Jeder, der an Vertrauensbildung zwischen Gesprächspartnern interessiert ist, kann sich so nicht verhalten.“

Die FDP hat wegen des Vorfalls die Kanzlerin aufgefordert, die Unstimmigkeiten bei der Zulassungsverlängerung des Unkrautgifts Glyphosat in der EU rasch aufzuklären. „Die vorsätzliche Verletzung der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung stellt die Koalitionsfähigkeit als solche in Frage“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann. Bundeskanzlerin und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) „müssen nun schnell aufklären, was sie davon wussten und welche Konsequenzen dieser Verstoß nach sich zieht“.

Auch die Grünen fordern Aufklärung über das Zustandekommen des Votums. Die frühere Umweltministerin Renate Künast nannte es einen „ungeheuren Vorgang“, dass Schmidt ungeachtet der üblichen Ressortabstimmung in der Regierung zugestimmt habe. Wenn dies mit Wissen der Kanzlerin geschehen sei, müsse sie den Minister entlassen, so Künast. Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann richtete eine schriftliche Frage an die Regierung, um zu klären, wer welche Weisung an den deutschen Vertreter im zuständigen EU-Gremium erteilt habe.

Wichtiges Mittel des von Bayer umworbenen Konzerns Monsanto

Glyphosat wird seit 40 Jahren auf Feldern eingesetzt, ist aber umstritten. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Chemikalie als wahrscheinlich krebserregend ein. Untersuchungen von Lebensmittelsicherheits- und Chemiebehörden aus Europa, Kanada und Japan bestätigen diesen Verdacht allerdings nicht.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte die Zulassung. „Wer den europäischen Vorsorgegedanken ernst nimmt, muss zu dem Schluss kommen, dass ein Wirkstoff wie Glyphosat keinen Tag länger auf den Äckern ausgebracht werden darf“, sagte Verbandschef Martin Rücker.

Glyphosat ist Kernbestandteil des umsatzstarken Mittels Roundup des US-Saatgutriesen Monsanto, den Bayer für mehr als 60 Milliarden Dollar kaufen will. Die EU-Kommission hatte am Montag mitgeteilt, in einer Abstimmung hätten sich genügend Mitgliedsländer für die Erneuerung der Glyphosat-Zulassung um fünf Jahre ausgesprochen. Sie werde das Votum vor dem Ablauf der bisherigen Genehmigung Mitte Dezember umsetzen.

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