Helmut Kohl Die Stärken und Schwächen der Bundeskanzler
Helmut Kohl hat seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Nun wird der Altkanzler 85. Zeit, einen Blick auf seine Stärken und Schwächen zu werfen - und auf die seiner Vorgänger und Nachfolger.
Konrad Adenauer (1949 – 1963)
Der „Alte“ aus Rhöndorf bei Bonn, der erst mit 73 Jahren erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde, ist der Vater der Westbindung und der Aussöhnung mit dem deutschen „Erzfreind“ Frankreich. Er gilt zusammen mit dem Italien Alcide de Gaspari und dem Franzosen Robert Schumann als Architekt der Europäischen Gemeinschaften, die 1957 in den Römischen Verträgen gipfelten. Mit Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle schaffte er die Begründung einer echten Völkerfreundschaft, in Moskau eiste er die deutschen Kriegsgefangenen los.
Seine Schwäche: Adenauer hielt sich innen- wie außenpolitisch für unersetzlich. Loslassen konnte er von der Macht nicht, fuhrwerkte noch in den Amtsgeschäften seines Nachfolgers herum.
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Ludwig Erhardt (1963 – 1966)
Der Vater des Wirtschaftswunders, der das Konzept der sozialen Marktwirtschaft populär machte und in seiner Politik umsetzte, war kein Vollblutpolitiker, der sich gern um die Ränkespiele in der Parteipolitik kümmerte. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler vollbrachte seine großen politischen Leistungen als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in der Westzone 1948 sowie als erster Wirtschaftsminister der jungen Bundesrepublik. Als Kanzler dagegen hinterließ er keine tiefen Spuren.
Seine Schwäche: Das war vor allem seine politische Schwäche. In der CDU nie tief verwurzelt brachte er es zwar bis zum Bundesvorsitzenden, bekam die Partei aber nie geschlossen hinter sich. Das lag nicht nur an Adenauers Querschüssen, der den Nachfolger für wenig geeignet hielt. Schließlich betrieb des CDU den Sturz des eigenen Kanzlers.
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Kurt Georg Kiesinger (1966 – 1969)
Der Mann aus Baden-Württemberg gilt als schwächster Regierungschef der Nachkriegszeit. Eingeschrieben in die Geschichtsbücher hat er sich gleichwohl: Als Kanzler der ersten großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. In seine Amtszeit fielen die Studentenproteste der 68er Bewegung, die erheblich zum Ende der Regierung beitrugen – weil die SPD erspürte, dass sie mit dem neuen Koalitionspartner FDP in eine neue Zeit aufbrechen wollte.
Seine Schwäche: Auch Kiesinger hatte wenig Rückhalt in der eigenen Partei. Die Aufdeckung seiner früheren Mitgliedschaft in der NSDAP schwächte seine Autorität weiter. Die Vorbereitungen der SPD, sich einem neuen Partner zuzuwenden, bekam er nicht mit und ging am Wahlabend 1969 noch davon aus, weiter zu regieren. Da verhandelten die Genossen längst mit dem FDP-Vorsitzenden Walter Scheel.
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Willy Brandt (1969 – 1974)
Der erste sozialdemokratische Regierungschef der Nachkriegszeit gilt als Begründer der Entspannungspolitik und der deutsch-deutschen Annäherung, obwohl sich die Grundlagen dafür bis in die Ära Adenauer zurück verfolgen lassen. Brandt aber trieb dies voran, verstärkt durch den symbolischen Kniefall in Warschau. Innenpolitisch begeisterte er viele Menschen neu für Politik, mit zwei einfachen, klaren Botschaften: „Mehr Demokratie wagen“ versprach eine Antwort auf die Studentenrebellion, „der blaue Himmel über der Ruhr“ rückte erstmals die Umwelt in den Blick der Politik.
Seine Schwäche: Nervlich war Brandt nicht für Krisen gemacht. Der SPD-Fraktionschef Herbert Wehner spottete – ausgerechnet auf einer Auslandsreise – über ihn: „Der Herr badet gern lau.“ Als Opfer der Spionageaffäre um den DDR-Agenten Günther Guillaume, der als Referent in seiner engsten Umgebung arbeitete, trat er den Rückzug an. Legendär ist sein Hang zu alkoholischen Getränken („Whisky-Willy“) und jungen Journalistinnen, die er auch auf Wahlkampfreisen mit einem Salonwagen der Bundesbahn zum Zuge kommen ließ.
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Helmut Schmidt (1974 – 1982)
„Schmidt-Schnauze“ sammelte Wählerstimmen nicht nur bei klassischen SPD-Anhängern, sondern überproportional bei Frauen und Unionswählern. „Guter Mann in der falschen Partei“, hieß es oft. Im „deutschen Herbst“, der Terrorwelle der RAF, behielt er die Nerven und nahm Opfer in Kauf, damit der Staat nicht erpressbar würde. Mit seiner These „lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“ erwarb sich Schmidt den Ruf als gewiefter Ökonom. Das war durchaus erstaunlich.
Seine Schwäche: Genau diese von ihm getroffene Wahl führte nämlich in die Stagflation, die erheblich zum politischen Scheitern Schmidts beitrug. Schmidt war in den späteren Jahren seiner Kanzlerschaft nur noch wenig beratbar, verpasste den Anschluss an die Stimmung im Lande, die Wirtschaftsreformen und einen Weg aus der Massenarbeitslosigkeit einforderte. Seine Partei konnte er am Ende nicht mehr überzeugen – sie verweigerte ihm beim Ausbau der Kernenergie und bei der Nachrüstungspolitik der NATO die Gefolgschaft.
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Helmut Kohl (1982 – 1998)
Nur wenige Kanzler haben die Bundesrepublik so geprägt wie der oft verspottete Pfälzer. Allerdings hatte auch keiner so viel Zeit dafür. 16 Jahre sind Rekord. Drei Leistungen ragen auf der Habenseite heraus: Mit Wirtschafts- und Steuerreform bekämpfte Kohl in den Anfangsjahren die Stagflation und milderte den Zugriff des Abgabenstaates. Als ihm nach acht Jahren die Abwahl drohte, profitierte er vom Wunder der friedlichen Revolution in der DDR. Als „Kanzler der Einheit“ machte er 1989/90 fast alles richtig (bis auf die Finanzierung). Durch sein persönlich aufgebautes Vertrauensverhältnis zum sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow erreichte er die Zustimmung der östlichen Weltmacht zur Deutschen Einheit, gleichzeitig konnte er Frankreichs Mitterrand dafür gewinnen. Die europäische Einigung, Kohl ursprüngliches großes Lebensziel, trieb er mit der Begründung der Einheitswährung Euro voran – teilweise auch das ein Preis für die deutsche Einheit.
Seine Schwäche: Der Euro sollte Europa einen, doch schon zu Kohls Zeiten wurde mancher (nicht jeder) Konstruktionsfehler eingebaut. Sprichwörtlich wurde Kohl Herangehen an Entscheidungen: das „Aussitzen“. Der CDU-Vorsitzende wartete gern lange, bis er sah, wohin sich in der Partei oder in der Gesellschaft die Mehrheit neigte – dann setze er sich an die Spitze der Bewegung. In den letzten vier Jahren seiner Kanzlerschaft fehlte der Antrieb für dringend nötige Reformen. Erst nach seiner Abwahl wurde die Spendenaffäre publik; ausgerechnet der Vorsitzende einer vermeintlichen Rechtsstaatspartei hatte nach der ersten Spendenaffäre 1984 weiter mit schwarzen Kassen und verbotener Parteienfinanzierung hantiert.
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Gerhard Schröder (1998 – 2005)
Einen neuen Aufbruch versuchte der zweite sozialdemokratische Kanzler, der mit dem „rot-grünen Projekt“ erstmals die Ökopartei an der Regierung beteiligte. Gesellschaftliche Modernisierung sollte es werden, auch eine ökologische Neuausrichtung samt Atomausstieg. In Erinnerung geblieben sind freilich vor allem die Wirtschafts- und Sozialreformen, die Schröder ab 2003 einleitete. Ihre Notwendigkeit hatte er trotz des Stillstands in den letzten Kohljahren in seiner ersten Amtszeit nicht erkannt. Die Hartz-Reformen setzte er durch, gegen den Widerstand der eigenen Partei. In Kauf nahm er dafür den Verlust der Macht – und machte sich so um Deutschland verdient.
Seine Schwäche: Im ersten Amtsjahr („Regieren macht Spaß“) dominierte eine gewisse Wurschtigkeit – „Nachbessern“ wurde zum Standard bei rot-grünen Gesetzen. Aus einer Mischung von Arroganz und Verzweiflung versuchte Schröder, seine Partei mit der „Basta“-Politik zu führen, wenn auch nicht zu überzeugen. Das ging nicht ewig gut.
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Angela Merkel (seit 2005)
Die Hamburgerin, die seit ihrer Jugend in der DDR lebte, versteht es meisterhaft, Vertrauen zu schaffen – bei Koalitionspartnern (erst SPD, dann FDP, nun wieder SPD), auch wenn denen das schlecht bekommt. Aber Abmachungen werden eingehalten. Vor allem die Bürger fühlen sich bei „Mutti“ in sicheren Händen. Ihr trauen sie am ehesten zu, Deutschland durch die Fährnisse der Weltgeschichte zu steuern. Dazu trägt Merkels enormes außenpolitisches Renommee bei. Durch ihre nun schon lange Amtszeit hat sie viele internationale Gesprächspartner kommen und noch mehr gehen sehen. Gilt als mächtigste Frau der Welt. In der Eurorettungspolitik ist sie die zentrale Figur, selbst im russisch-ukrainischen Krieg konnte sie teilweise erfolgreich vermitteln.
Ihre Schwäche: Den wirtschaftspolitischen Aufbruch, den Merkel einst als junge CDU-Vorsitzende verkörperte, hat sie nach dem gescheiterten Wahlkampf 2005, der sie zu einer großen Koalition zwang, zu den Akten gelegt. Große innenpolitische Ambitionen sind nicht erkennbar. Allerdings: Damit folgt sie genau dem Willen der Bevölkerung.
Bild: REUTERS
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