Hermann Genz Der ungewöhnlichste Arbeitsvermittler Deutschlands

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Ein Job schon am nächsten Montag

Ein Jobcenter, wie Hermann Genz es sich vorstellt und wie er es in Mannheim Stück für Stück aufgebaut hat, setzt die Reize anders, von Anfang an. Und das heißt: wirklich von Anfang an, vor der Tür. Die langen Fensterfronten in der Zentrale am Rand der Mannheimer Innenstadt hängen voll mit Anschlägen in DIN A4, es sind all die Stellen, die das Amt sofort vermitteln könnte. Neben der Eingangstür klebt noch mal ein signalrotes Poster, das die exakte Zahl der Arbeitsangebote nennt, gerade sind es mehr als 2000.

Noch bevor man die zwei Schiebetüren ins Innere passiert hat, kann man bereits links in Zimmer 01 zu Herrn Abdullah abbiegen. Abdullah ist Sofort-Vermittler. In seinem Telefon hat er die Direktdurchwahl-Nummern von Zeitarbeitsfirmen und Callcentern gespeichert. „Wenn Sie bereit sind, alles zu machen“, sagt er freundlich, „habe ich spätestens am nächsten Montag einen Job für Sie.“ Von Abdullahs Büro aus kann man gleich eine Tür weitergehen. Dort ist ein Fotostudio aufgebaut, falls man neue Bewerbungsfotos benötigt, Schminkkoffer für Damen und Leihkrawatte für Herren liegen bereit.

Zehn Hartz-IV-Urteile, die Sie kennen sollten
Auch Wohnmobile sind WohnungenIm Sommer 2010 hat das Bundessozialgericht dargestellt, dass auch ein Wohnmobil als Wohnung gelten kann - und deshalb auch die Betriebskosten für das Wohnmobil von der Bundesagentur für Arbeit anteilig zu übernehmen ist. Dazu zählen unter anderem Kfz-Steuer und Haftpflichtversicherung, übernommen werden müssen allerdings nicht die Kosten für Sprit und die Wartung des Autos. Quelle: dpa
Kinder von Hartz IV-Empfänger dürfen Geldgeschenke bekommenUnter Umständen darf die Arbeitsagentur großzügige Geschenke mit dem Arbeitslosengeld II verrechnen - auch Geldgeschenke. Es gibt allerdings Ausnahmen: Seit der letzten Hartz-IV-Reform vom April 2011 gelten Geldgeschenke von über 50 Euro pro Jahr nicht mehr automatisch als Einkommen. Voraussetzung ist nur, dass sich diese Geschenke „im Rahmen des Üblichen“ bewegen. Das trifft insbesondere auf Kinder zu, die im Laufe des Jahres Geld von den Großeltern geschenkt bekommen, etwa auch das Geld für den Führerschein muss so nicht angerechnet werden. Geldgeschenke bis zur Höhe von 3100 Euro zur Jugendweihe, Konfirmation, Kommunion oder ähnlichen religiösen Festen sind erlaubt. Außerdem werden monatliche Einkünfte von bis zu zehn Euro nicht auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet. Dabei gilt dieser Freibetrag für jedes Kind der Familie extra, bei Erwachsenen sind es monatlich 30 Euro. Quelle: dpa
Übernahme von FlugkostenDas Jobcenter muss die Kosten für Flüge unter bestimmten Umständen übernehmen, nämlich zum Beispiel dann, wenn die Eltern sich getrennt haben und Mutter oder Vater mit dem Kind ins Ausland gezogen ist. Denn das verfassungsrechtlich geschützte Umgangsrecht sei eine wichtige Stütze für die Entwicklung des Kindes. Quelle: dpa
Es muss nicht das Billig-Grab seinEs sei Hinterbliebenen nicht zuzumuten, "unterschiedliche Angebote bei Bestattungsunternehmern einzuholen, um das billigste auszuwählen". Deshalb müssen Angehörige sich nicht mit der billigsten Bestattung zufrieden geben, wenn diese Hartz IV bekommen haben. Außerdem dürfe es keine pauschale Begrenzung der Ausgaben geben. Quelle: dpa
Umzugskosten werden nur unter Umständen übernommenDie Kosten für einen Umzug müssen nicht unbedingt übernommen werden, vor allem dann nicht, wenn es sich um einen freiwilligen Umzug handelt. Hartz IV-Empfänger erhalten nur dann die Hilfe einer professionellen Möbelspedition, wenn sie aufgrund ihres Alters, einer Behinderung oder wegen kleiner Kinder den Umzug nicht selbst bewerkstelligen können. Höhere Beträge werden außerdem übernommen, wenn der Ortswechsel mit einem neuen Job verbunden ist. Quelle: dpa
Lottogewinne werden umgerechnetJahrelang hatte ein Hartz IV-Empfänger aus Bielefeld Lose gekauft und nichts gewonnen. Dann sahnte er ab, konnte sich aber trotzdem nicht richtig freuen: Denn sein Gewinn wurde als Einkommen angerechnet. Unter dem Strich hatte er also weniger als vorher. Quelle: dpa
Problematische DarlehenHartz-IV-Empfänger dürfen sich Geld leihen, müssen allerdings deutlich machen, dass es sich um einen rückzahlungspflichtigen Kredit handelt - und nicht um eine Zuwendung ohne Rückzahlung. Das würde nämlich als zusätzliches Einkommen zählen und auf das Geld von der Bundesagentur für Arbeit angerechnet. Quelle: dpa

Im Foyer des Jobcenters, ebenfalls noch vor den Anmeldetresen platziert, sitzen mehrere Mitarbeiter an Schreibtischen. Die Bewerbungstrainer helfen bei der Formulierung von Anschreiben oder tippen hier ganze Lebensläufe. Auf Wunsch sofort. Mitten im Raum hängt ein kostenloses Telefon, von dem aus jeder jederzeit einen potenziellen Arbeitgeber anrufen kann.

„Merken Sie was?“, fragt Genz. „Wir haben noch keinen Gedanken an Kohle verschwendet.“

Vor der Tür stehen Leihfahrräder des Jobcenters. Was hat es mit denen auf sich?

Herrmann Genz: Wir wollen hier zuerst über Arbeit reden und wie man sie bekommt, nicht über finanzielle Zuwendung. Die Räder gehören zu dieser Philosophie. Wir zahlen kein Fahrgeld in bar aus, mit dem unsere Kunden machen könnten, was ihnen beliebt. Wer direkt von hier schnell zu einem Bewerbungstermin will, der kann sich eben ein Rad ausleihen.

Die Hartz-Reformen

Die Bundesagentur prämiert doch, wenn Jobs vermittelt werden. Nicht aber, wenn Arbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht.

Leider ist das so. Für jeden Leistungsbezug, den wir verhindern können, weil unsere Kunden bereits vor der Anmeldung eine Aufgabe finden, bekommen wir nichts, obwohl wir dem Staat damit immense Kosten ersparen. Ein ziemlicher Fehlanreiz, finden Sie nicht?

Trotzdem kann das Jobcenter viele nicht sofort vermitteln. Was passiert mit denen?

Die kriegen bei uns Geld und Liebe aus einer Hand. Das heißt nichts anderes, als dass wir unsere Aufgaben bündeln: Die Geldleistungen und die Arbeitsvermittlung erhalten sie bei uns von einem einzigen Sachbearbeiter. Dieses simple Prinzip stammt ursprünglich aus Dänemark, müsste nur Schule machen. Und das geht noch weiter: Falls ein Kunde weitere Hilfe benötigt, dann haben wir alle Fachleute direkt hier im Haus, egal, ob es der Schuldnerberater, der Reha-Spezialist oder der Psychologe ist. Der Bearbeiter bringt sie persönlich dorthin. Wir nennen das warme Übergabe. So geht niemand verloren. Diese Fürsorge hat übrigens einen hübschen Nebeneffekt für den Staat: Sie ahnen gar nicht, wie viele Spontanheilungen im Treppenhaus wir auf dem Weg zum Amtsarzt schon hatten.

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