Ein Jobcenter, wie Hermann Genz es sich vorstellt und wie er es in Mannheim Stück für Stück aufgebaut hat, setzt die Reize anders, von Anfang an. Und das heißt: wirklich von Anfang an, vor der Tür. Die langen Fensterfronten in der Zentrale am Rand der Mannheimer Innenstadt hängen voll mit Anschlägen in DIN A4, es sind all die Stellen, die das Amt sofort vermitteln könnte. Neben der Eingangstür klebt noch mal ein signalrotes Poster, das die exakte Zahl der Arbeitsangebote nennt, gerade sind es mehr als 2000.
Noch bevor man die zwei Schiebetüren ins Innere passiert hat, kann man bereits links in Zimmer 01 zu Herrn Abdullah abbiegen. Abdullah ist Sofort-Vermittler. In seinem Telefon hat er die Direktdurchwahl-Nummern von Zeitarbeitsfirmen und Callcentern gespeichert. „Wenn Sie bereit sind, alles zu machen“, sagt er freundlich, „habe ich spätestens am nächsten Montag einen Job für Sie.“ Von Abdullahs Büro aus kann man gleich eine Tür weitergehen. Dort ist ein Fotostudio aufgebaut, falls man neue Bewerbungsfotos benötigt, Schminkkoffer für Damen und Leihkrawatte für Herren liegen bereit.
Im Foyer des Jobcenters, ebenfalls noch vor den Anmeldetresen platziert, sitzen mehrere Mitarbeiter an Schreibtischen. Die Bewerbungstrainer helfen bei der Formulierung von Anschreiben oder tippen hier ganze Lebensläufe. Auf Wunsch sofort. Mitten im Raum hängt ein kostenloses Telefon, von dem aus jeder jederzeit einen potenziellen Arbeitgeber anrufen kann.
„Merken Sie was?“, fragt Genz. „Wir haben noch keinen Gedanken an Kohle verschwendet.“
Vor der Tür stehen Leihfahrräder des Jobcenters. Was hat es mit denen auf sich?
Herrmann Genz: Wir wollen hier zuerst über Arbeit reden und wie man sie bekommt, nicht über finanzielle Zuwendung. Die Räder gehören zu dieser Philosophie. Wir zahlen kein Fahrgeld in bar aus, mit dem unsere Kunden machen könnten, was ihnen beliebt. Wer direkt von hier schnell zu einem Bewerbungstermin will, der kann sich eben ein Rad ausleihen.
Die Hartz-Reformen
Die von dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzte Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter der Leitung von Peter Hartz legte im August 2002 das Hartz-Konzept vor.
Die Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes wurden vier Maßnahmen eingeteilt: Hartz I bis IV.
Das Erste Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt trat am 1. Januar 2003 in Kraft.
Ziel waren die Erleichterungen von neuen Formen der Arbeit und die Förderung der beruflichen Weiterbildung durch die Arbeitsagenturen. Hierfür wurden unter anderem Bildungsgutscheine verteilt. Zudem wurde ein Unterhaltsgeld, gezahlt durch die Arbeitsagentur eingeführt und die Einstellung von Zeitarbeitern erleichtert.
Auch die Zumutbarkeitsregelung wurde aufgeweicht. So mussten Arbeitslose ohne familiäre Bindung fortan ab dem vierten Monat der Arbeitslosigkeit bundesweit für Jobs zur Verfügung stehen.
Der Druck auf die Arbeitslosen wurde weiter erhöht, etwa durch eine Kürzung der Arbeitslosenhilfe und einer Meldepflicht für Arbeitslose. Demnach müssen sich Arbeitnehmer bereits mit Erhalt der Kündigung arbeitssuchend melden. Wer dagegen verstößt, muss mit einer Absenkung des Arbeitslosengelds rechnen.
Das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt trat ebenfalls am 1. Januar 2003 in Kraft.
Hierbei ging es hauptsächlich um die Regelung der geringfügigen Beschäftigung – der sogenannten Mini- und Midijobs. Weitere Aspekte, die mit Hartz II entstanden, waren die Ich-AGs und die Einrichtung von Jobcentern.
Mit der Hartz-II-Reform wurde die Geringfügigkeitsschwelle für Mini-Jobs von 325 Euro auf 400 Euro im Monat erhöht (aktuell liegt sie bei 450 Euro). Innerhalb dieser Grenze fallen für den Arbeitnehmer keine Steuern an, er zahlt auch keine Sozialversicherungsbeiträge. Bei den Midijobs (Einkommen von 400 Euro bis 800 Euro) gibt es ansteigende Arbeitnehmerbeträge zur Sozialversicherung; Arbeitgeber zahlen den vollen Beitragssatz.
Im wesentlichen Teilen war das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ab Januar 2004 gültig.
Mit Hartz III wurde das Arbeitsamt zur „Agentur für Arbeit“ umstrukturiert. Ein Kernpunkt dabei war die Einführung von Zielvereinbarung, die die einzelnen Agenturen erfüllen mussten. Wie diese Ziele erreicht wurden, blieb weitestgehend den einzelnen Agenturen überlassen.
Die Verwaltung auf Landesebene wurde abgeschafft. Stattdessen wurden sogenannte Job-Center geschaffen, die als zentrale Anlaufstelle für Arbeitslose dienen sollten. Zuvor mussten sie sich beim Sozialamt und beim Arbeitsamt melden.
Mit den Jobcentern wurden auch die Fallmanager eingeführt, die sich um die Langzeitarbeitslose kümmern sollen.
Die tiefgreifendste der vier Reformen, das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Hartz IV – trat wesentlich im Januar 2005 in Kraft.
Mit Hartz IV wurde die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zu Arbeitslosengeld II zusammengeführt. Die Arbeitslosenhilfe wurde komplett abgeschafft; die Sozialhilfe beziehen nur noch nicht erwerbsfähige Arbeitslose. Für die Verwaltung des Arbeitslosengelds II ist die Agentur für Arbeit zuständig.
Das bisherige Arbeitslosengeld – also die Leistung, die Arbeitslose durch ihre vormaligen Einzahlungen in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung erwarben – hieß ab 2005 Arbeitslosengeld I. Wer arbeitslos ist und zuvor mindestens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erhält 60 Prozent seiner vorherigen Lohns (mit Kind: 67 Prozent). Es kann in der Regel nur für ein Jahr bezogen werden. Nach Ablauf des Arbeitslosengelds I, wird das vom bisherigen Lohn unabhängige Arbeitslosengeld II gezahlt. Ab dem Januar 2015 beträgt der Regelbedarf für einen Alleinstehenden 399 Euro – kann je nach Vermögen aber deutlich geringer ausfallen.
Die Bundesagentur prämiert doch, wenn Jobs vermittelt werden. Nicht aber, wenn Arbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht.
Leider ist das so. Für jeden Leistungsbezug, den wir verhindern können, weil unsere Kunden bereits vor der Anmeldung eine Aufgabe finden, bekommen wir nichts, obwohl wir dem Staat damit immense Kosten ersparen. Ein ziemlicher Fehlanreiz, finden Sie nicht?
Trotzdem kann das Jobcenter viele nicht sofort vermitteln. Was passiert mit denen?
Die kriegen bei uns Geld und Liebe aus einer Hand. Das heißt nichts anderes, als dass wir unsere Aufgaben bündeln: Die Geldleistungen und die Arbeitsvermittlung erhalten sie bei uns von einem einzigen Sachbearbeiter. Dieses simple Prinzip stammt ursprünglich aus Dänemark, müsste nur Schule machen. Und das geht noch weiter: Falls ein Kunde weitere Hilfe benötigt, dann haben wir alle Fachleute direkt hier im Haus, egal, ob es der Schuldnerberater, der Reha-Spezialist oder der Psychologe ist. Der Bearbeiter bringt sie persönlich dorthin. Wir nennen das warme Übergabe. So geht niemand verloren. Diese Fürsorge hat übrigens einen hübschen Nebeneffekt für den Staat: Sie ahnen gar nicht, wie viele Spontanheilungen im Treppenhaus wir auf dem Weg zum Amtsarzt schon hatten.