Homo-Ehe, Euro-Rettung & Co. „Karlsruhe erklärt Merkel für verfassungswidrig“

Das Karlsruher Urteil zur Gleichstellung Homosexueller ist für die Kanzlerin eine herbe Schlappe. Zum wiederholten Mal bringt das höchste Gericht die schwarz-gelbe Koalition auf Linie. Merkels Problemberg wächst weiter.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Quelle: dpa

Berlin Für Angela Merkel läuft derzeit nichts rund: Ihr Forderung nach einem Vollzeit-Präsidenten der Euro-Gruppe gerät zum Rohrkrepierer. Mit ihrem Vorstoß für eine Mietpreisebremse, mehr Kindergeld und eine verbesserte Mütterrente überholt sie die SPD und landet bei der Linkspartei, was ihr selbst in den eigenen Reihen übel genommen wird. Und einer ihrer engsten Vertrauten, Verteidigungsminister Thomas de Maizière, steht unter schwerem Feuer, weil ihm und seinem Ministerium beim Rüstungsprojekt Euro-Hawk katastrophale Fehler unterlaufen sind.

Für sich alleine gesehen sind das schon große Brocken für eine Kanzlerin, die im Herbst die Bundestagswahl für sich entscheiden will. Doch damit nicht genug. Einer der größten Widersacher der schwarz-gelben Koalition hat Merkel & Co jetzt ein weiteres dickes Problem bereitet.

In einem Urteil zur Gleichstellung Homosexueller erklärte das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag, dass homosexuelle Lebenspartnerschaften steuerlich nicht schlechter gestellt werden dürfen als Ehepaare mit ihren Vorteilen des Ehegattensplittings. Dies geltende Steuerregelung verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Die Gesetze müssten unverzüglich und rückwirkend zum 1. August 2001, seit es eingetragene Lebenspartnerschaft gibt, geändert werden.

Die Opposition, aber auch die Koalitionspartei FDP begrüßten das Urteil und sprachen von einer Schlappe für die Mehrheit in den Unionsparteien, die eine völlige Gleichstellung ablehnt. Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, nannte es beschämend, dass die Richter schon zum sechsten Mal in Folge der schwarz-gelben Regierung Nachhilfe in Sachen Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften erteilten. Entsprechend bewertete er den neuen Fingerzeig der Richter: „Karlsruhe erklärt Merkel für verfassungswidrig“, sagte Höhn Handelsblatt Online.

Merkel habe gezaudert und gezögert, weil sich „mächtige Kreise“ in ihrer Partei an ein Familienkonzept aus dem vorletzten Jahrhundert klammerten. „Damit hat sie nicht nur sich blamiert, sondern das ganze Land.“ Vor dem Gesetz seien aber alle Menschen gleich, egal wen sie liebten, betonte Höhn. Das sei der Geist der Verfassung. „Es wird Zeit, dass auch die Union den Sprung ins 21. Jahrhundert schafft.“

Von einer „herben Schlappe für die verbohrt-konservativen Teile der Union und die Bundeskanzlerin ganz persönlich“ sprach auch der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker. Es sei aber auch eine Schlappe für den gesamten Bundestag, weil Karlsruhe wieder einmal einen „falsch eingeschlagenen Kurs“ habe korrigieren müssen, sagte Becker Handelsblatt Online. „Das sollte uns zu denken geben.“

Lange genug sei die „Scheuklappen-Politik völlig an den Lebenswirklichkeiten vieler Menschen“ vorbeigegangen. Jetzt sei es amtlich, dass „dringender Handlungsbedarf“ bestehe. „Wir fordern die Bundesregierung und insbesondere die FDP dazu auf, schnellstmöglich für Klarheit zu sorgen.“


Wie Karlsruhe die Merkel-Regierung ausbremst

Klarheit hätte auch gerne Familienministerin Kristina Schröder. Sie gehört zu den Befürwortern der Gleichbehandlung, die CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt als "schrille Minderheit" bezeichnet hatte. Die CDU-Ministerin begrüßte den Spruch aus Karlsruhe. "Ich finde das Urteil gut und richtig, denn es stellt klar, was auch für immer mehr Menschen in Deutschland selbstverständlich ist", sagte Schröder.

Die Unions-Fraktion will am Freitagmorgen in einer Sondersitzung über Konsequenzen beraten. Das Finanzministerium bezeichnete es als möglich, die geforderte Gesetzgebung noch in dieser Legislaturperiode abzuschließen.

Nach Einschätzung des CDU-Chefhaushälters Norbert Barthle sind die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt „sehr überschaubar“. Insgesamt führe die Gleichstellung zu Steuerausfällen von etwa 30 Millionen Euro jährlich, sagte Barthle Handelsblatt Online. Auf den Bund entfielen davon rund 13 Millionen Euro. „Aufgrund der Rückwirkung des Urteils ist noch mit zusätzlichen geringen Ausfällen zu rechnen“, fügte der CDU-Politiker hinzu.

Nicht die Mehrkosten aufgrund einer falschen Politik sind in diesem Fall von Bedeutung, sondern vielmehr die Symbolkraft der Karlsruher Entscheidung, die auf die Fähigkeit der Koalition durchschlägt, gerichtsfeste Gesetze zu schreiben. Denn egal, was die Abgeordneten des Bundestags entscheiden - das letzte Wort hat oft das Bundesverfassungsgericht. Und im Fall der Merkel-Regierung musste Karlsruhe in dieser Wahlperiode sehr oft korrigierend einschreiten.

Beispiel Asylbewerber: Im Juli 2012 erklärte das Gericht die seit 1993 unveränderten Leistungen für Asylbewerber für verfassungswidrig. Nach Auffassung der Richter verstießen die Leistungen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Flüchtlinge und andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht müssen demnach in etwa so viel Geld bekommen wie Empfänger von Hartz-IV oder Sozialhilfe.

Beispiel Euro-Rettung: Im Juni 2012 urteilte das höchste deutsche Gericht, dass die Regierung bei den Verhandlungen über den Euro-Rettungsschirm ESM das Parlament nicht ausreichend informiert hat. Laut Grundgesetz müssen Bundestag und Bundesrat in EU-Fragen „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ unterrichtet werden.

Beispiel Sicherungsverwahrung: Im Mai 2011 erklärte Karlsruhe alle Regelungen zur Sicherungsverwahrung von Straftätern für verfassungswidrig und forderte den Gesetzgeber auf, das Regelwerk zu reformieren.


Ausland blickt skeptisch auf Karlsruher Richter

Trotz vieler Einwände sind die Richter allerdings in den vergangenen Jahren nicht unbedingt strenger und gegenüber der Politik kritischer geworden. Die Statistik zeigt, dass sich die Zahl der für verfassungswidrig erklärten Normen nicht groß verändert hat: Von 1951 bis 2011 waren es 457 Bundesgesetze und -verordnungen, das macht im Schnitt knapp siebeneinhalb pro Jahr. In den vergangenen fünf Jahren lag das Gericht sogar leicht darunter.

Die Statistik zählt allerdings nicht die Fälle mit, in denen die Richter ein Gesetz zwar gerade noch gelten lassen, aber zugleich genau vorschreiben, wie es zu interpretieren ist; oder in denen sie Bedingungen für künftige Fälle festlegen - etwa bei der Entscheidung zu den Griechenland-Hilfen.

Das hat auch schon mal offene Kritik an dem in der Bevölkerung hoch angesehenen Bundesverfassungsgericht provoziert. Die Bundesregierung hält sich in der Regel zurück, wenn sie kleinbeigeben muss. Nur wenige legen sich wirklich mit den Richtern an. Kurz vor dem Urteil zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM am 12. September 2012 kanzelte der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff das Gericht ab und erklärte, die Richter seien „nicht mit allen Vorgängen in Europa ausreichend vertraut“. Deshalb komme es gelegentlich zu „Fehleinschätzungen aus Unkenntnis“.

Derlei Kritik lässt Karlsruhe unbeeindruckt. Als zentraler juristischer Gegenspieler der Politik gilt der Zweite Senat des Gerichts unter dem Vorsitz von Andreas Voßkuhle. Unter seiner Leitung wurden einige der politisch brisantesten Entscheidungen der vergangenen Jahre getroffen - etwa zum EU-Vertrag von Lissabon, zum Bundestags-Wahlrecht, zur Sicherungsverwahrung und den Finanzhilfen für Griechenland. Das Karlsruher Gericht sei „einer der ganz wenigen Orte, an denen man abgeschirmt von äußeren Einflüssen Entscheidungen so intensiv durchdenken kann, wie man es für erforderlich hält. Es hat mitunter fast etwas Klösterliches“, schwärmte Voßkuhle mal in einem „Zeit“-Interview.

Im Ausland wird die teils unbequeme Art des Bundesverfassungsgerichts manches Mal mit großem Unbehagen gesehen. Für Juristen ist dort oft nicht selbstverständlich, dass acht demokratisch eher schwach legitimierte Richter sogar Gesetze aushebeln können, die das Parlament mit Zweidrittelmehrheit beschlossen hat. Andererseits verwundert es aus Karlsruher Perspektive, wie sich die Abgeordneten manchmal zu schnellen Entscheidungen drängen lassen. So dauerte die Karlsruher Verhandlung über den Euro-Rettungsschirm deutlich länger als die Bundestagsdebatte zum selben Thema.

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