Hygiene-Ampel kommt Verbraucherschutz oder doch bloß Gastronomen-Pranger?

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Transparenz klingt gut, warum gibt es Kritik?

Pure Pseudotransparenz sei das, wettern Kritiker. Sie stellen infrage, ob die Verbraucher nachvollziehen könnten, wie das Kontrollergebnis zustande gekommen sei. Missverständnisse und Fehlinterpretationen seien absehbar. In der Branche geht die Angst um.

Beliebte Beispiele, die den Unsinn hinter dem Gesetz zeigen sollen: Minuspunkte gibt es schon, wenn der Kellner seine Kleidung daheim wäscht, statt in der Großwäscherei. Mangelnde Dokumentation über Ungeziefer wird im Extremfall schlimmer geahndet als der Ungezieferbefall selbst. Ohnehin führe bloße fehlerhafte Dokumentation zu saftigen Minuspunkten – selbst wenn das Essen in Ordnung ist.

Außerdem befürchten die Gastronomen, dass die Kontrolleure nicht einheitlich prüfen. Eine hingeworfene Kochschürze könne bei dem einen als Fauxpas gewertet werden und bei dem anderen zu Minuspunkten führen, die dann den Betrieb ins Unglück stürzen. „Betriebe und ihre Mitarbeiter werden durch das neue Gesetz an den Pranger gestellt“, klagt etwa der Hauptgeschäftsführer des Gastronomenverbandes Dehoga NRW, Klaus Hübenthal, dem WDR.

Lebensmittel oft länger haltbar als angegeben
Mindesthaltbarkeitsdatum als AnhaltspunktDas Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist seit 1981 eine Pflichtangabe auf allen Fertigverpackungen von Nahrungsmitteln und gibt den Zeitpunkt an, bis zu dem das Produkt auf jeden Fall ohne wesentliche Geschmacks- und Qualitätseinbußen sowie gesundheitliches Risiko zu konsumieren ist. Auch danach kann ein Lebensmittel oft noch problemlos verzehrt werden. Quelle: dpa
Mindesthaltbarkeitsdatum vs. VerbrauchsdatumIm Gegensatz zum Mindesthaltbarkeitsdatum ist das Verbrauchsdatum eine Angabe für verderbliche Lebensmittel wie rohes Fleisch und Fisch. Diese sollten nach dem aufgedruckten Verbrauchsdatum nicht mehr verzehrt werden, da sie durch entstehende Keime eine Gefahr für die Gesundheit darstellen können. Quelle: dpa
Wie lange sind Lebensmittel nach dem MHD noch genießbar?Je nach Produkt sind viele Lebensmittel über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus noch essbar. H-Milch oder Schnittkäse können in ungeöffnetem Zustand ein bis zwei Wochen nach MHD noch verwendet werden, Jogurt hält sich bei korrekter Lagerung bis zu zwei Monate länger als vom MHD angegeben. Im Zweifel helfen die menschlichen Sinne bei der Einschätzung: Sieht ein Nahrungsmittel anders aus als sonst oder verströmt es einen ungewöhnlichen Geruch, sollte man es sicherheitshalber entsorgen. Quelle: AP
Wie kann man Haltbarkeit verlängernDie richtige Lagerung entscheidet über die Haltbarkeit von Lebensmitteln. Bei verderblichen Lebensmitteln sollte der Verbraucher auf eine geschlossene Kühlkette achten. Fleisch und Fisch sollten im Kühlschrank im untersten Fach abgelegt werden, dort ist es am kältesten. Einige Gemüse- und Obstsorten wie Tomaten oder Bananen haben im Kühlschrank nichts verloren – sie verlieren dort ihr Aroma. Quelle: dpa
Was tun mit überflüssigen LebensmittelnTeilen statt wegwerfen: Dieser Trend setzt sich derzeit in vielen Städten durch. Über die Initiative Foodsharing wurden in Städten wie Berlin, Hamburg und Köln Kühlschränke aufgestellt, in denen man zu viel gekaufte oder nicht mehr benötigte Lebensmittel legen kann. Mitmachen kann jeder – sowohl als Geber als auch als Nehmer. Quelle: dpa
Was machen Supermärkte mit Produkten kurz vor Ende des MHD?Viele Supermärkte bieten spezielle Kisten in der Kühltheke an, in denen Produkte kurz vor dem Ablaufdatum vergünstigt angeboten werden. Große Handelsketten wie Lidl arbeiten mit den Tafeln zusammen, einer Organisation, die Lebensmittel an Bedürftige herausgibt. Dort landen vor allem Produkte wie Gemüse oder Waren kurz vor Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums, die für den  herkömmlichen Verkauf nicht mehr geeignet oder schlichtweg überzählig sind. Quelle: dpa

Die Hauptsorge der Branchevertreter: Die Ampel wird zum Pranger und schließlich zum Todesurteil für das Geschäft. Ein Betrieb, dessen Ampel auf Gelb stehe, könne den Laden faktisch dichtmachen – obwohl ihm vielleicht gar kein schlimmer Fehler unterlaufen sei.

Auch sonst finden die Gastronomen wenig Nützliches an dem Gesetz. Der bürokratische Aufwand für die Betriebe sei zu hoch, die aktuellen Kontrollen gänzlich ausreichend und ohnehin: die meisten Betriebe seien doch eh „Grün“.

So krank macht Fleisch
Vegetarische Wurst Quelle: dpa
Geringeres Risiko für LeberkrebsEine Studie, die im Journal "Alimentary Pharmacology & Therapeutics" veröffentlicht wurde, zeigt, dass der Verzehr von sogenanntem weißen Fleisch (Geflügel) und Fisch das Risiko von Leberkrebs senken kann. Die Forscher werteten Daten aus Langzeitbeobachtungen von 1956 bis 2013 aus und kamen zu dem Ergebnis, dass die Leberkrebs-Gefahr so um 31 Prozent (hoher Anteil von Geflügelfleisch) beziehungsweise 22 Prozent (hoher Fischkonsum) sinkt. Zwischen rotem Fleisch (z.B. Rind, Lamm, Schwein) oder stark verarbeiteten Fleischwaren und Leberkrebs fanden die Forscher keinen Zusammenhang.Viele andere Studien belegen hingegen die gesundheitlichen Risiken des Fleischkonsums: Quelle: dpa
Mehr als zehn Prozent der deutschen Bevölkerung ernähren sich ohne Fleisch, wie die Gesellschaft für Konsumforschung ermittelt hat. Viele Menschen essen jedoch permanent zu viel Fleisch und zu wenig Gemüse oder Obst – und zwar quer durch alle Altersgruppen. Laut dem Fleischatlas 2014 des BUND liegt der Pro-Kopf-Verzehr derzeit bei 60 Kilogramm im Jahr. Rund 40 Prozent der Kalorien, die wir in Deutschland täglich zu uns nehmen, stammen aus tierischen Lebensmitteln. Zum Vergleich: In Italien machen Fleisch- und Milchprodukte nur 24 Prozent der täglichen Energiezufuhr aus. Besonders der Verzehr von sogenanntem roten Fleisch, dazu zählen Rind- Schweine- und Lammfleisch, wird von Ernährungsexperten kritisch gesehen. Quelle: dpa
Brustkrebs-RisikoEine aktuelle Studie aus den USA zeigt die Gesundheitsrisiken durch den regelmäßigen Verzehr von roten Fleischwaren wie Steak, Bratwurst, Burger und Co. auf. Die Studie vom Juni 2014, die von Forschern der Universität Harvard verfasst wurde, untersuchte über einen Zeitraum von 20 Jahren rund 88.800 Frauen. Es wurden Ernährungsprotokolle und Fälle von Brustkrebs dokumentiert. Über die Jahre wurden 2830 Brustkrebs-Erkrankungen dokumentiert. Dabei zeigte sich, dass ein höherer Konsum von rotem Fleisch mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs einhergeht. Bei hohem Konsum von Geflügelfleisch, Fisch, Eiern, Hülsenfrüchten und Nüssen wurde hingegen keinerlei Verbindung zu Brustkrebserkrankungen festgestellt. Im Gegenteil zeigte sich, dass der Ersatz von Mahlzeiten aus rotem Fleisch durch eine der anderen Eiweiß-Quellen das Risiko für Brustkrebs um bis zu 24 Prozent senken konnte. Quelle: dpa
Darm- und MagenkrebsDie sogenannte EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) ist eine breit angelegte Studie, an der zehn europäische Länder beteiligt sind. Darin werden rund 520.000 Personen mit signifikanten Unterschieden in der Ernährungs- und Lebensweise untersucht. Die Studie richtet ihr Augenmerk auf den Einfluss der Ernährung auf die Entstehung von Krebs und anderen chronischen Erkrankungen, und bezieht neben Ernährungsweise und -status auch den Lebensstil sowie genetische und Stoffwechsel-Faktoren mit ein. Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass rotes und verarbeitetes Fleisch das Risiko für Darm- und Magenkrebs erhöht. Zugleich weisen die Ergebnisse auf eine mögliche Senkung des Risikos für Darmkrebs durch Ballaststoffe und Fisch hin.Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) weist auf die positiven Auswirkungen von Ballaststoffen sowie die Risiken durch Fleisch für den Darm hin. Die DGE beruft sich auf eine Studie der internationalen Krebsforschungsorganisation (World Cancer Research Fund, WCRF) aus dem Jahr 2011. In Deutschland ist Dickdarmkrebs derzeit die zweithäufigste Krebskrankheit. Aus der Studie ergeben sich die Ernährungsempfehlungen, zur Senkung des Dickdarmkrebsrisikos weniger Fleisch und Fleischprodukte sowie weniger Alkohol zu konsumieren. Pflanzliche Lebensmittel mit geringem Verarbeitungsgrad und hohem Ballaststoffgehalt sollten bevorzugt werden. Quelle: dpa
HerzversagenDas Augenmerk auf Männer legte eine Studie aus Polen. Der Konsum von verarbeitetem roten Fleisch (also etwa Hack für Burger, Bacon, Würste etc.) und das Risiko für Herzversagen wurden in einer Zusammenarbeit der Warschauer University of Life Sciences und dem Karolinska Institut Stockholm untersucht. Die Untersuchung, die im April 2014 veröffentlicht wurde, nahm eine schwedische Kohortenstudie über rund 37.000 gesunde Männer im Alter von 45 bis 79 Jahren, die in ihrer Krankheitsgeschichte bisher weder Krebs noch Herzkrankheiten aufwiesen, unter die Lupe. Mithilfe eines Fragebogens wurde der Fleischkonsum erhoben. In den folgenden rund zwölf Jahren wurden 2891 Fälle von Herzversagen dokumentiert, von denen 266 tödlich endeten. Beim Vergleich der Fälle von Herzerkrankungen mit den Ernährungsgewohnheiten zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang: Männer, die täglich 75 Gramm oder mehr an verarbeiteten Fleischwaren zu sich nahmen, hatten ein um 28 Prozent höheres Risiko für Herzversagen als die, die weniger als 25 Gramm Fleischwaren täglich verspeisten. Das Risiko für einen tödlichen Ausgang war sogar mehr als doppelt so hoch... Quelle: dpa
...das zeigt, dass bereits ein moderater Konsum von rotem, verarbeitetem Fleisch zu einem erhöhten Risiko führt. Die Fleischprodukte sind häufig geräuchert, gepökelt, gesalzen oder mit Konservierungsstoffen versetzt, um sie haltbar zu machen. Auch Forscher der Uni Harvard zogen bereits 2010 aus der Auswertung von rund 1600 Studien den Schluss, dass verarbeitetes Fleisch das Risiko für Herzerkrankungen um bis zu 42 Prozent erhöht und auch die Wahrscheinlichkeit für Diabetes um 19 Prozent steigt. Ein täglicher Konsum von 50 Gramm verarbeiteten Fleischwaren würde hierzu ausreichen, schlussfolgerten die Harvard-Experten. Da diese Studie keine Effekte von unverarbeitetem rotem Fleisch nachweisen konnte, schlossen die Wissenschaftler daraus, dass nicht die Fettsäuren im Fleisch für die gesundheitsschädlichen Wirkungen verantwortlich sind, sondern Schadstoffe, die bei der Verarbeitung und durch zugesetzte Stoffe wie Nitritpökelsalze entstehen. Eine Krebsgefahr durch diese Stoffe wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Quelle: dpa/dpaweb

Müssen nun jedes Restaurant und jeder Bäcker sofort eine Ampel aushängen?

Nein, nicht sofort. Die Verpflichtung zur Transparentmachung tritt erst nach einer Übergangsfrist von 36 Monaten in Kraft, heißt es im Gesetzesentwurf. Danach aber gilt: „Bei Betrieben, die unmittelbar an den Endverbraucher abgeben, hat der Lebensmittelunternehmer das Kontrollbarometer an oder in der Nähe der Eingangstür oder an einer vergleichbaren, für die Verbraucherin oder den Verbraucher unmittelbar vor Betreten der Betriebsstätte von außen gut sichtbaren Stelle anzubringen.“ Versteckt ampeln geht ab 2019 nicht mehr.

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