Die Digitalisierung ist also für Sie kein Bedrohungsszenario, sondern eine Chance?
Sie ist beides. Bei manchen Arbeitsplätzen in der Innenraum-Montage der Autoproduktion ist ein Roboter besser – weil er sich seinen Rücken buchstäblich nicht krumm arbeiten kann.
Ist Ihnen in der Tarifrunde das Zeitthema wichtiger als mehr Geld?
Wir wollen qualitative Forderungen durchsetzen, und wir haben eine konjunkturelle Großwetterlage, die nicht für Entgeltzurückhaltung spricht. Insofern sind sowohl spürbare Lohnerhöhungen als auch Arbeitszeitreformen finanzierbar.
Die Typologie der Arbeitnehmer: Wer wie lange arbeitet und wie viel verdient
Im Rahmen der Xing-Arbeitsmarktstudie wurden unterschiedliche Arbeitnehmer-Typen definiert und fünf relevante Segmente gebildet. Eine der Gruppen sind die "Flexiblen", also beispielsweise Teilzeitkräfte oder Projektarbeiter. Zu dieser Gruppe gehören überwiegend jüngere Frauen mit einer durchschnittlichen Ausbildung, einem meist festen Einkommen von unter 2.000 Euro (brutto), in deren Berufsfeld Home Office oft möglich ist. Ihre Arbeitszeit beträgt zwischen 30 und 40 Stunden in der Woche.
Die Wissensarbeiter sind Befragte mit akademischem Abschluss, einem überdurchschnittlichen Verdienst von 3.000 Euro (brutto) und mehr, die in der Kreativwirtschaft, höheren Verwaltung oder Wissenschaft arbeiten. Die Arbeitszeit beträgt selten exakt 40 Stunden in der Woche.
Die "Gehaltsoptimierer" sind überwiegend jüngere Männer mit Berufsausbildung, die selten nach Tarifvertrag beschäftigt sind und in den Bereichen Produktion, Finanzen oder Handel arbeiten. Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden oder mehr.
In den sozialen Berufen arbeiten Menschen mit Berufsausbildung und einem oft variablen Gehalt zwischen 2.000 und 3.000 Euro (brutto). Sie arbeiten in den Berufsfeldern Gesundheit, Soziales und Lehre und sind oft in Schichtarbeit tätig.
Blue Collar-Worker sind Arbeitnehmer mit Ausbildung, die oft nach Tarifvertrag beschäftigt sind und auf dem Bau, im KFZ- oder Gastgewerbe arbeiten. Viele von ihnen haben Kinder und arbeiten unter 40 Stunden in der Woche.
Sie würden notfalls also für neue Arbeitszeitregeln streiken, wenn Ende des Jahres die Tarifverträge auslaufen?
Nach unserer Erfahrung lassen sich die Mitglieder für qualitative Forderungen besonders stark mobilisieren. Da haben sich die Interessen deutlich verändert.
Die Arbeitgeber fordern angesichts der digitalen Revolution eine Reform des Arbeitszeitgesetzes. Sie auch?
Nein. Ich verstehe das Scharfschießen der Arbeitgeber nicht. Das Gesetz beinhaltet eine Reihe von Öffnungsklauseln. Was etwa die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden betrifft, sind abweichende tarifliche Lösungen schon lange erlaubt.
Die Arbeitgeber kritisieren vor allem die vorgeschriebene Erholungszeit. Danach müssen Beschäftigte nach der Arbeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden einhalten. Nach dieser Logik darf ein Vertriebsmitarbeiter abends nicht mal eine Kundenanfrage aus Übersee beantworten.
Ich bitte Sie: Wenn jemand um 20 Uhr noch mal für eine Stunde den Laptop aufklappt, endet seine Ruhezeit morgens um 8 Uhr. Wo ist das Problem? Es ist zudem möglich, in Tarifverträgen abweichende Ruhezeiten zu regeln. Wir haben etwa bei Daimler, BMW und Bosch betriebliche Regeln zum mobilen Arbeiten, mit denen alle gut zurechtkommen.
Die Ruheregel stammt aus der Arbeitszeitordnung von 1938...
Und trotzdem besteht – im Moment – kein Änderungsbedarf. Die Arbeitgeber sagen doch selbst, dass die Menschen ein Recht auf Abschalten haben! Ich gestehe zu, dass wir uns bei den Ruhezeiten in einer Grauzone befinden, dass manche sich aus eigenem Entschluss nicht daran halten. Aber die Kollegen möchten dazu eben nicht gezwungen werden. Sie sehen die Ruhezeitregel als rote Linie. Im Straßenverkehr ist ja auch nicht ein Tempolimit unsinnig, nur weil Autofahrer manchmal schneller fahren.
Ein Trend der neuen Arbeitswelt ist das Crowdworking, bei dem Solo-Selbstständige über Onlineplattformen um Aufträge kämpfen. Bleiben die Gewerkschafter in der Plattformökonomie außen vor?
Nein. Wir haben unsere Satzung geändert, um auch Solo-Selbstständige aufnehmen zu können. Deren Zahl hat zuletzt nicht mehr zugenommen, aber auf Dauer werden wir um eine Regulierung nicht herumkommen. Hier sind wir auch mit Plattformanbietern im Gespräch. Nötig sind vor allem Mindesthonorare für das Crowdworking. Eine Möglichkeit wäre, die Crowdworker unter das bestehende Heimarbeitsgesetz zu fassen, um ein Minimum an sozialer Absicherung zu schaffen.