IG Metall Darf's ein bisschen weniger sein?

Bei ihrem Arbeitszeitkongress in Mannheim stellt die Gewerkschaft die 35-Stunden-Woche in Frage. Wer Kinder betreut oder ein Haus baut, soll kürzer treten dürfen. Die Arbeitgeber fragen sich, wer dann die Arbeit macht.

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Mehr Rücksicht auf die Wünsche der Beschäftigten. Quelle: dpa

Berlin Die IG Metall wird voraussichtlich mit der Forderung nach einer verkürzten Vollzeit in die kommende Tarifrunde für die 3,7 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie ziehen. Das zeichnet sich nach einem Arbeitszeitkongress der Gewerkschaft in Mannheim ab. Für die Beschäftigten stehe die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben auf der Prioritätenliste ganz oben, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vor gut 800 Mitgliedern der regionalen Tarifkommissionen. „Es geht um das Wahlrecht, die Arbeitszeit temporär zu verkürzen –  etwa auf 28 Stunden, wenn Beschäftigte es wollen.“

In Westdeutschland gilt für Metaller regulär die 35-Stunden-Woche, im Osten arbeiten sie drei Stunden länger. In einer Beschäftigtenbefragung gaben aber gut 20 Prozent der Befragten an, dass sie zumindest zeitweise lieber weniger als 35 Wochenstunden arbeiten würden – etwa weil sie für ihre Kinder da sein, ein Haus bauen oder einfacher weniger oft in den Betrieb pendeln wollten. Auch diese Wünsche müssten zählen, nicht nur die Belange der Unternehmen.

Die verkürzte Arbeitszeit soll dabei nach den Vorstellungen der IG Metall allen Beschäftigten offen stehen. Einen Entgeltausgleich sieht die Gewerkschaft allerdings nur bei besonderen Anlässen vor – etwa wenn Kinder im Haushalt zu betreuen oder Familienangehörige zu pflegen sind. „Wir wollen diesen Entgeltausgleich als eine zeitgemäße Sozialleistung tariflich regeln, weil Zeit für Kinder und Pflege gesellschaftlich notwendig ist“, betonte Hofmann. Außerdem müsse ein Rückkehrrecht auf den Vollzeitjob garantiert werden.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall kritisierte die Vorschläge scharf. „Systematische, flächendeckende und unkompensierte Arbeitszeitverkürzungen passen absolut und definitiv nicht in die Zeit.“ Der Fachkräftemangel in der Metall- und Elektroindustrie werde von Tag zu Tag stärker. „Es wäre daher ein standortpolitischer Wahnsinn, die bestehende Fachkräftelücke mit Gewalt zu vergrößern“, kritisierte der Verband.

In Frankreich schaffe der neue Präsident Emanuel Macron gerade die 35-Stunden-Woche ab, da wollten manche in der IG Metall eine 28-Stunden-Woche durchsetzen – gegen den Willen der Belegschaften. Gesamtmetall beruft sich dabei auf die Beschäftigtenbefragung der Gewerkschaft. Darin hatte sich nämlich fast ein Drittel der Befragten Arbeitszeiten von mehr als 35 Stunden gewünscht.

Schon heute ist die 35-Stunden-Woche längst nicht mehr die Regel. Vertraglich gilt sie laut der Beschäftigtenbefragung für knapp jeden zweiten Metaller. Gut drei von vier Befragten gaben an, tatsächlich länger zu arbeiten. Ein Ziel der IG Metall ist es deshalb auch, „überlange“ Arbeitszeiten von 40 Stunden und mehr, die aus Hofmanns Sicht zuletzt ausgeufert sind, wieder einzufangen.


Debatte über 38-Stunden-Woche im Osten

Die zwischen den Sozialpartnern der Branche vereinbarten Tarifverträge bieten schon heute Abweichungsmöglichkeiten von der regulären Wochenarbeitszeit. So kann sie für 18 Prozent der Beschäftigten auf bis zu 40 Stunden heraufgesetzt werden, unter bestimmten Voraussetzungen sogar für jeden zweiten Mitarbeiter. Eine Verkürzung ist befristet auf bis zu 30 Stunden möglich.

Diese kollektiven Vereinbarungen dienen aber vor allem den Betrieben, etwa wenn es darum geht, auf schwankende Auftragseingänge zu regieren. Nun will die IG Metall den Beschäftigten mehr individuelle Freiräume verschaffen – auch jenen, bei denen die Maschine den Takt vorgibt. Der Druck der Unternehmen, die Arbeitszeit der Beschäftigten allein den Erfordernissen der Märkte zu unterwerfen, treffe besonders die Schichtarbeiter in der Produktion, sagte Hofmann. Ihnen müssten daher beispielsweise mehr Freiräume bei der Festlegung von Freischichten eingeräumt werden.

Eine hitzige Debatte gab es in Mannheim auch über die längere tarifliche Arbeitszeit in Ostdeutschland. Die dortigen Autowerke gehörten zu den produktivsten und modernsten, kritisierten Teilnehmer der Konferenz. Es sei deshalb ungerecht, dass die Beschäftigten im Osten wegen der längeren Arbeitszeit weniger verdienten als ihre Kollegen im Westen. „Es geht immer noch ein Grenzzaun durch Deutschland, wenn es um Kosten und Arbeitszeiten geht. Er wird von den Arbeitgebern gezogen“, kritisierte Hofmann. 2003 war die IG Metall allerdings trotz wochenlanger Streiks mit dem Versuch gescheitert, die 35-Stunden-Woche auch in den neuen Bundesländern durchzusetzen. Das Debakel hatte die Gewerkschaft damals in eine schwere Krise gestürzt.

Ihre endgültige Forderung für die kommende Tarifrunde, die dann auch die Lohnprozente enthält, will die IG Metall am 24. Oktober beschließen. Beim Arbeitszeitthema kann sie sich an einem wegweisenden Abschluss orientieren, den die Chemie-Tarifpartner im Mai für Ostdeutschland erzielt hatten. In jedem Unternehmen kann die Wochenarbeitszeit in einem Korridor von 32 bis 40 Stunden per Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Ab 2019 greift zudem eine Wahlarbeitszeit, die individuelle Wünsche der Beschäftigten berücksichtigt.

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