Ilse Aigner „Schutzpatronin des Billigschnitzels“

Im Pferdefleischskandal will Ilse Aigner hart durchgreifen. Doch schon früher hat sich die Ministerin in Aktionsplänen verheddert. Die Opposition wirft der Frau aus Bayern gar vor, die Falschen ganz gezielt zu schützen.

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Die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner (CSU). Quelle: dapd

Berlin Ilse Aigners Tage als Bundesverbraucherministerin sind gezählt. Nicht, weil die Opposition sie gerne wegen des aktuellen Pferdefleischskandals aus dem Amt kegeln will, sondern weil sie selbst den Rückzug antritt. Sie wird am Ende dieser Legislaturperiode im Herbst in die bayerische Landespolitik wechseln. Das ist schon seit einigen Wochen bekannt. Damals war noch nicht damit zu rechnen, dass die CSU-Politikerin noch einmal richtig gefordert sein würde. Als Ministerin, aber vor allem als Krisenmanagerin.

Die vielen Fälle von falsch deklariertem Pferdefleisch nötigen ihr einiges an politischem Einsatz ab. Doch wirklich durschlagend ist das nicht, was Aigner bislang an Maßnahmen verkündete, um gegen die „Sauerei“ (Aigner) vorzugehen.

Das mag auch daran liegen, dass Aigners Reaktion auf einen Lebensmittelskandal immer nach demselben Muster abläuft. Erst folgt die Empörung und danach der Gegenschlag in Form eines „Aktionsplans“. Ob Gammelfleisch, Dioxin in Hühnereiern oder nun nicht gekennzeichnetes Pferdefleisch, Aigner hat jedes Mal ein Maßnahmenpaket parat, mit dem sie solche Skandale in Zukunft verhindern will.

Doch viel gebracht haben ihre Pläne bisher nicht. Im Gegenteil, „Spiegel Online“ kanzelt sie deshalb verächtlich als „Ministerin für Aktionismus“ ab, die vollmundig Hilfe verspricht, die sich aber nach Abebben eines Skandals wieder in Luft auflöst.

Politiker von SPD und Grünen halten der CSU-Politikerin vor diesem Hintergrund Versagen auf ganzer Linie vor. „Ilse Aigner gibt seit Amtsantritt die Volksnahe, erfüllt hinter den geschlossenen Türen des Kabinettsaals und der Brüsseler Verhandlungsräume aber fast eins zu eins die Wünsche der Lobbyisten“, sagte SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber Handelsblatt Online. Auf Skandale reagiere sie mit „Aktionsplänen“, die meist versandeten und auch nicht das System änderten. „Sie gibt wie die Cäsaren im alten Rom den Verbrauchern medial Brot und Spiele, um davon abzulenken, dass sie nicht an der Lösung der Probleme arbeitet.“

Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn kritisierte die Nähe Aigners zur Agrarlobby. „Ministerin Aigner ist die Schutzpatronin der Agrarindustrie und des Billigschnitzels“, sagte Höhn Handelsblatt Online. „Fast alle Maßnahmen aus dem aktuellen Skandal wurden als Prüfaufträge formuliert.“

Sie sei daher skeptisch, ob in einem halben Jahr, wenn sich die Wogen in der Pferdefleisch-Debatte geglättet hätten, von den Aignerschen Punkten noch viel übrig sein werde. „Bei den Funden von antibiotikaresistenten Keimen hat sie auch auf Zeit gespielt und keine wirksamen Maßnahmen gegen den Missbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung eingeleitet“, sagte Höhn.

Für die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch ist Aigner jetzt schon gescheitert. „In Reaktion auf den Pferdefleisch-Skandal hat sie einen Aktionsplan vorgelegt, der aus symbolischen und aktionistischen Maßnahmen besteht, die zielsicher am Kern des Problems vorbei gehen“, sagte Verbandssprecher Martin Rücker Handelsblatt Online.

Das sei auch schon in anderen Fällen, etwa beim großen Dioxinskandal Ende 2010, Anfang 2011 der Fall gewesen. Im Fall ihres Pferdefleisch-Aktionsplans habe die Ministerin erst nach dem Gespräch mit den Ländern wichtige Punkte aufgenommen. Allerdings nur im Sinne von Prüfaufträgen, fügte Rücker hinzu. „Die Probleme liegen aber auf der Hand, deshalb sollte jetzt nicht die Zeit des Prüfens, sondern des Handelns sein.“


Immer mehr Spuren weisen nach Deutschland

Tatsächlich klingt das meiste, worauf sich die Verbraucherminister von Bund und Ländern am verständigt haben sehr theoretisch. Sie vereinbarten etwa eine zentrale Internet-Seite mit Informationen über Produktrückrufe. Geprüft werden sollen eine Ausweitung der Meldepflicht für Lebensmittel-Unternehmen bei einem Verdacht auf Täuschungsfälle sowie höhere Strafen und Geldbußen für Betrüger.

Die Bundesregierung will sich in der EU für eine Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Fleischprodukte einsetzen. Dabei ist rasches Handeln dringender denn je, nachdem immer mehr Spuren nach Deutschland weisen.

So entdeckte der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé nicht deklarierte Anteile von Pferdefleisch in seinen Tiefkühlprodukten. Dabei gehe es um Zulieferungen aus Deutschland, teilte das Unternehmen mit. In Italien und Spanien seien deshalb zwei Nudelgerichte vom Markt genommen worden. Selbst Aigner rechnet angesichts verstärkter Untersuchungen mit weiteren Funden. Über die Bewertung der Vorgänge kommt sie aber nicht hinaus. Sie sieht vielmehr die Justiz in der Pflicht, Ermittlungen anzustoßen.

NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) warf Aigner Versäumnisse vor. Schon mehrfach habe es Anläufe für eine bessere Kennzeichnung von Fleischprodukten gegeben. „Die Umsetzung ist dann immer an der Intervention von Frau Aigner, der Bundesregierung und der Union im Bundestag gescheitert“, sagte er den „Ruhr Nachrichten“.

SPD-Fraktionsvize Kelber warf Aigner deshalb Verbrauchertäuschung vor. „Sie verschweigt, dass es gerade sie und die schwarz gelbe Koalition waren, die in Brüssel Regeln zur Deklaration von Fleisch blockiert haben und in Deutschland verweigerten, dass Behörden alle Erkenntnisse über Vergehen im Lebensmittelbereich veröffentlichen müssen“, sagte Kelber. Besonders wichtig wäre es, die Arbeitnehmer in den Betrieben zu ermuntern, kriminelle Machenschaften ihrer Chefs zu melden. „Aber Schwarz-Gelb verweigert den dafür notwendigen gesetzlichen Informantenschutz.“

Tatsächlich hat Aigner die Produktkennzeichnung 2011 noch für unmöglich gehalten. „Ich glaube auch, dass eine exakte Herkunftskennzeichnung im Detail nicht machbar ist“, sagte die Ministerin auf der Jahrestagung des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. „Deshalb meine ich auch nicht, dass es für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung eine echte Möglichkeit gibt.“


Symbolpolitik im Dioxin-Skandal

Auch an anderer Stelle musste Aigner Positionen räumen, etwa als sie im Januar 2011 auf dem Höhepunkt des Dioxin-Skandals versprach: „Wir werden die Sicherheitsstandards erhöhen.“ Auch damals präsentierte sie medienwirksam einen umfassenden „Aktionsplan“, mit dem Verbraucher vor Gift im Essen geschützt werden sollten. Doch keine zehn Wochen später, entpuppten sich die Maßnahmen vor allem als, wie Foodwatch kritisiert,  „rein symbolische Politik“.

So sollten Futtermittelbetriebe zu Dioxintests verpflichtet werden. Doch die Umsetzung geriet durch großzügige Ausnahmen zur Farce. „Der Futtermittelbranche bieten sich zahlreiche Schlupflöcher, die Tests zu umgehen“, kritisiert Foodwatch. „Es gelten weitreichende Ausnahmeregelungen, je nachdem in welche Risikoklasse die zu testenden Futtermittelzutaten eingeordnet werden.“

Als gescheitert gilt Aigner auch mit ihrem Vorhaben, eine bundesweite Restaurant-Ampel als Kennzeichnungssystem für Hygiene in Gaststätten durchzusetzen. Erst kündigte sie an, per Bundesgesetz klarzustellen, dass verpflichtende Regelungen möglich sind. Dann verzögerte sie den Einstieg in eine transparente Lebensmittelüberwachung und machte ihn letztlich unmöglich, nachdem sie den Wunsch der Länder abblockte, ein bundesweit einheitliches Kennzeichnungssystem gesetzlich vorzuschreiben. Sie verlangte, dass sich hier die Länder zunächst selbst einigen müssten.

Als Flop erweist sich jetzt schon das von Aigner angestoßene "Regionalfenster", das regionale Produkte kennzeichnen soll. Auf der Agrarmesse "Grüne Woche" in Berlin wurde die Initiative vor wenigen Wochen vorgestellt.  Foodwatch wirft dem Ministerium vor, auf diese Weise "Etikettenschwindler" zu decken, da das "Regionalfenster" bloß ein freiwilliges Siegel vorsieht. So könne Schinkenproduzent Jürgen Abraham seinen "Schwarzwälder Schinken", der auch Fleisch aus Dänemark beinhaltet und zum Teil in Niedersachsen hergestellt wird, ungestört als regionales Produkt verkaufen. Eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung gibt es nämlich weiterhin nicht.


Schiffbruch bei Kontrolle von Bankberatern

Auch Lebensmittelhersteller wie die Coop e.G., die Kaffee unter der Marke "unser Norden" vermarktet oder Granini, die Früchte aus Mittelamerika in ihren "Heimischen Säften" verwendet, können ihre Produkte weiterhin unter irreführenden Kennzeichnungen anbieten. "Für den Verbraucher wird die Verwirrung durch ein weiteres, unverbindliches Siegel nur noch größer statt kleiner", kritisiert Oliver Huizinga, Experte für Lebensmittelwerbung bei Foodwatch.

Mit der Kontrolle von Bankberatern erlebte Aigner auch Schiffbruch. Künftig werden keine Testkunden, sogenannte Mystery-Shopper, im Auftrag der Finanzaufsicht Bafin die Beratungsqualität von Banken testen. „Wir sind wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zu dem Schluss gelangt, dieses Projekt nicht weiter zu verfolgen“, verwarf vergangene Woche ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums das Projekt.

Aigner hatte dagegen stets für dieses Vorhaben geworben, da Schwachstellen in der Bankberatung durch anonyme Testkäufer leichter entdeckt werden könnten. Die Idee war im Zuge der Finanzkrise aufgekommen, da viele Verbraucher bei ihrer Geldanlage schlecht beraten worden waren.

Doch auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hatte bemängelt, dass es für verdeckte Testkunden keine ausreichende Gesetzesgrundlage gäbe. Vor allem der Datenschutz, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Grundrechte der Bankangestellten könnten gefährdet sein.

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