In der CDU brodelt es Warum niemand den Aufstand gegen Merkel wagt

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Heimatlos in der eigenen Partei

Ein Berliner Rechtsanwalt schreibt nach 35 Jahren Mitgliedschaft an die Bundesgeschäftsstelle: „Ich halte sowohl den inhaltlichen Kurs der Vorsitzenden seit letztem Herbst als auch dessen autoritäre Durchsetzung in der Partei für unvereinbar mit dem Geist der liberal-konservativen Volkpartei  der Mitte, der ich einmal beigetreten bin. … Nicht ich habe meine politischen Überzeugungen geändert, sondern Frau Merkel hat das Ruder auf eine Weise herum gerissen, die mich wie unzählige Andere in vor wenigen Monaten unvorstellbarer Weise in unserer Partei heimatlos gemacht hat.“   

Es gibt für Unzufriedene und Enttäuschte in einer Organisation grundsätzlich immer dieselben Optionen: Resignieren und Austreten oder sich mit Gleichgesinnten zusammentun und nach Veränderung im eigenen Sinne trachten.

Birgit Kelle geht den zweiten Weg. Als Gegnerin der großkoalitionären Familienpolitik und des Gender-Mainstreaming kritisiert sie die Parteispitze – Lieblingsgegnerin Ursula von der Leyen – seit Jahren und eckt mit ihren Zeitungsbeiträgen und Büchern („Dann mach doch die Bluse zu“ und „Gender-Gaga“) nicht nur bei Talkshow-Auftritten an. Wenn Sie, wie vor wenigen Tagen in Bremen, mit Parteifreunden auftritt, stehen auch schon mal Antifa-Demonstranten vor der Tür.

Kelle will die Partei nicht verlassen. Sie weiß zwar von viel „Resignation und Frust“ bei Parteifreunden zu berichten, die „nicht mehr verstehen, warum die Parteiführung in Berlin tut, was sie tut, und warum sie sich nicht mehr für Recht und Ordnung einsetzt.“ Aber gerade weil es „ein tiefes Bedürfnis nach Änderung an der Basis gibt“, bleibt sie in der Partei.

Es geht um Positionen, nicht um Strategie

Und vernetzt sich mit unzufriedenen konservativen Parteifreunden wie den jüngst in die Öffentlichkeit getretenen „Konrads Erben“, einer Gruppe ehemaliger Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung. Oder Gerald Wagener. Der Unternehmer aus Krefeld war 31 Jahre lang CDU-Mitglied, bevor er aus Ärger über die Euro-Politik austrat. Nun ist er vor wenigen Monaten wieder eingetreten und hat die Initiative „K3“ gegründet. Eine Gruppe von rund 200 CDU-Mitgliedern und –Anhängern. „Wir möchten, dass die CDU zu den konservativen Werten zurückfindet, für die sie zu Helmut Kohls Zeiten einmal stand“, sagt Wagener. „Heute“, kritisiert er, „steht sie für Beliebigkeit“.

Wagener geht es um die Sache, „um eine Positionsfrage“, wie es nennt, und „nicht um eine innerparteiliche Strategiefrage.“ Er glaubt, dass eine Phase ohne Regierungsverantwortung notwendig sei, um die Beliebigkeit der Positionen zu überwinden und die CDU innerlich zu erneuern.

So etwas kann sich natürlich nur jemand wünschen, der nicht von einem Mandat lebt und an keinem politischen Amt hängt.  „Berufspolitiker zeigen sich nicht bei uns aus Angst, dass sie das ihren Listenplatz kosten würde“, sagt Wagener. „Die große Mehrheit der Berufspolitiker sind Menschen, die in ihrem erlernten Beruf wesentlich weniger Geld verdienen würden als mit ihrem Bundes- oder Landtagsmandat. Für die ist es eine ökonomische Frage, sich anzupassen.“  

Natürlich kann der Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin das Brodeln an der Basis ihrer Partei nicht verborgen geblieben sein. Auf der Regionalkonferenz in Heidelberg forderte sie ein Parteifreund in aller Öffentlichkeit zum Rücktritt auf.  Aber dieses Brodeln wird ihr solange  nicht gefährlich, wie es nicht jene Kaste von Berufspolitikern durchdringt, die die eigentliche Machtgrundlage in einer Parteiendemokratie sind.

Warum ist man in seine Partei eingetreten? Die meisten Berufspolitiker, die diese Frage beantworten, sprechen von politischen Überzeugungen, von Werten, von einem Weltbild – und von dem Willen, etwas zu „gestalten“, zu „bewegen“ oder ähnliches. Vom Willen, durch die Partei eine Karriere zu machen, einen gesellschaftlichen Status zu erringen, Geld zu verdienen, spricht man nicht so gern. Von dem, was Nietzsche „Wille zur Macht“ nennt und für eine menschliche Urkraft hält, ganz zu schweigen. Aber natürlich sind Parteien auch das, und zwar in steigendem Maße: Macht- und Postenzuteilungsorganisationen. Die CDU, die nach ihrem Selbstverständnis seit der Gründung 1946, stets den Anspruch erhebt, das Land zu regieren, ist dies in ganz besonderer Weise. In ihr urteilen die Funktionäre  über ihre Vorsitzenden weniger nach Weltanschauungsfragen, sondern vor allem nach dem Kriterium: Wer sichert mein Mandat?

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