Innenminister vs. Polizei Berliner Brandattacken entfachen Debatte um Linksterror

Die Bundesanwaltschaft hat sich eingeschaltet und das BKA ermitteln. Doch für das Bundesinnenministerium haben Brand-Attacken auf die Bahn dennoch keine neue Dimension erreicht. Das ärgert die Polizei.

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Polizist stellt in Berlin Teile eines Brandsatzes sicher. Quelle: handelsblatt.com

Angesichts einer Serie von Bahn-Brandanschlägen in Berlin und Brandenburg ist eine Debatte über möglichen neuen Linksterrorismus in Deutschland entbrannt. Die Polizei geht bisher von linksextremistischen Tätern aus. Die Politiker sind sich uneins, ob es sich bei den Taten um eine neue Dimension linksextremer Gewalt handelt. Bundesverkehrsminister Ramsauer verurteilte die versuchten Brandstiftungen scharf und sprach von „verbrecherischen terroristischen Anschlägen“, die auch in eine neue Dimension hineingingen.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) widersprach: „Ich gehe nicht davon aus, dass uns hier ein neuer Linksterrorismus droht. Selbstverständlich ist das aber ein furchtbarer Zustand, dass Menschen andere Menschen gefährden. Das muss bekämpft werden.“

Auch das Bundesinnenministerium sah noch keinen neuen Linksterrorismus in Deutschland. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, dass aus den linksextremistischen Strukturen bereits linksterroristische Vereinigungen im Sinne des Strafgesetzbuches geworden seien, sagte Ministeriumssprecher Jens Teschke.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft widersprach der Einschätzung. „Nach etlichen Brandanschlägen auf Polizisten, Polizeigebäude jede Menge Autos gerät jetzt gezielt die Verkehrsinfrastruktur ins Visier der Brandstifter, das ist eine neue Dimension und andere Eskalationsstufe“, sagte Verbandschef Rainer Wendt Handelsblatt Online. Die Bevölkerung solle mit Gewalt in Angst und Schrecken versetzt, der Staat solle zu politischen Entscheidungen genötigt werden. „Das ist beginnender Linksterrorismus, auch wenn dies aus der politischen Perspektive der Regierung noch nicht erkannt oder anders bewertet wird. Ich vermag keinen Unterschied zwischen Mordanschlägen auf Polizisten und solchen auf Politiker zu entdecken.“

Auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann hatte erklärt, der Linksextremismus eskaliere zum Linksterrorismus. Die jüngsten Anschlagsversuche auf Bahnanlagen seien keine Zufallstaten mehr.

Polizeigewerkschafter Wendt sagte dazu, Schünemann habe ausdrücklich recht, wenn er die nächste Eskalation beschreibt, die der Linksextremismus erreiche. „In den vergangenen Jahren sind die gewalttätigen Ausschreitungen aus der linksextremen Szene immer wieder konsequent verharmlost und ignoriert worden“, sagte Wendt. So seien Parteifunktionäre der Linken als Anmelder und Teilnehmer von Demonstrationen in Erscheinung getreten, bei denen Linksextremisten erwartungsgemäß Gewalttaten verübt hätten. Das habe zu weiterer Gewalt ermuntert. „Allein die Unterscheidung von Gewalt gegen Sachen und gegen Personen ist eine der Verharmlosungsstrategien, die völlig inakzeptabel sind“, so Wendt.

BKA ermittelt

Dass nun die obersten deutschen Bundesermittler nach den Urhebern der Anschlagsversuche fahnden, deutet auch darauf hin, dass die Behörden wohl eine neue Dimension sehen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat am Mittwoch Ermittlungen aufgenommen. Es bestehe der Verdacht der „verfassungsfeindlichen Sabotage“, sagte ein Sprecher der Behörde. Das Bundeskriminalamt (BKA) sei mit der weiteren Aufklärung beauftragt.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist unter anderem für die Verfolgung terroristischer Gewalttaten zuständig. Noch am Vortag hatte ein Sprecher gesagt, es gebe keine Anzeichen, dass die Vorfälle in die Zuständigkeit der Behörde fielen. Nun heißt es dort: „Ausmaß und Anzahl der Anschläge“ sprächen für eine besondere Bedeutung des Falles.

Den dritten Tag in Folge wurden in Berlin Brandsätze an Gleisen der Bahn entdeckt. Der Zugfernverkehr von und nach Berlin war erheblich gestört. Zehntausende Reisende am Hauptbahnhof - einem der zentralen Bahnknotenpunkte Deutschlands - waren von Verspätungen und ausgefallenen Zügen betroffen.

Die Bahn prüft derzeit nach Angaben ihres Sicherheitschefs Gerd Neubeck, ob weiteres Sicherheitspersonal eingestellt wird. Seit den ersten Funden am Montag suchen Bahn und Bundespolizei verstärkt alle Gleisanlagen ab.

Nach der Strecke Berlin-Hamburg musste am Mittwoch auch die zweite wichtige Fernbahnstrecke von und nach Berlin zweitweise gesperrt werden. Züge Richtung Hannover wurden umgeleitet, nachdem an den Gleisen der Strecke im Westen Berlins zwei weitere Brandsätze entdeckt wurden. Einer davon war vermutlich schon am Montag oder Dienstag explodiert.

Betroffen waren durch die Streckensperrung auch Reisende nach Frankfurt, ins Ruhrgebiet und ins Rheinland. Einen anderen Brandsatz fanden Bundespolizisten am Mittwoch zwischen den Bahnhöfen Schöneberg und Südkreuz südlich der Berliner Innenstadt.

Linke geht auf Distanz zu Tätern

Trotz der Verspätungen und Zugausfälle hielt sich der Unmut der Bahnkunden am Berliner Hauptbahnhof vergleichsweise in Grenzen. Zehntausenden gestrandeten Fahrgästen blieb aber auch wenig anderes übrig, als geduldig auf den Bahnsteigen zu warten. Verständnislos reagierten viele Menschen allerdings auf die Methoden der Täter.

Die Polizei geht davon aus, dass alle Brandsätze gleichzeitig von mutmaßlich linksextremistischen Tätern deponiert wurden und seitdem nach und nach entdeckt werden. Insgesamt handelt es sich bislang um mindestens 14 Brandsätze in der Hauptstadt und im Umland. Die Polizei schloss nicht aus, dass es noch weitere, nicht entdeckte Sprengsätze gibt. Bislang konnten keine Täter gefasst werden. Verletzt wurde niemand.

Die Linke distanzierte sich von den Urhebern der Aktionen: „Wer Brandbomben an Bahngleise legt, ist nicht links sondern kriminell. Gewalt ist keine Politik sondern eine Straftat und muss verfolgt werden“, schrieb Parteichef Klaus Ernst am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter.

Nach den ersten Anschlägen war am Montag ein Bekennerschreiben im Internet aufgetaucht. Eine linksextreme Gruppe protestierte darin gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Für die Brandsätze verwendeten die Täter meist Plastikflaschen, die mit Benzin gefüllt und mit Zündern versehen waren. Sie wurden in Kabelschächten deponiert und sollten Kabelstränge und Leitungen zerstören, mit denen Weichen und Signale gesteuert werden.

Eine Gefahr für Menschen sahen Experten nicht, weil bei einem Ausfall der Technik alle Züge gestoppt werden. Die allermeisten der mindestens 14 Brandsätze zündeten nicht. Entweder verhinderte das Regenwetter Schlimmeres oder sie versagten aus technischen Gründen.

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