Innere Sicherheit Der liberale Staat und seine Verantwortung

Wie viel bürgerliche Freiheit verträgt die innere Sicherheit? Beim Handelsblatt Wirtschaftsclub diskutierte FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit dem Handelsblatt-Politikchef Thomas Sigmund und Gregor Peter Schmitz darüber.

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Wer das neue Buch von Handelsblatt-Politikchef Thomas Sigmund zur inneren Sicherheit als Bettlektüre nutze, der könne sich anschließend eigentlich nur ängstlich unter der Bettdecke verkriechen, sagt Wolfgang Kubicki. Quelle: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt

Berlin Rechtsfreie Räume, in denen arabische Clans herrschen, so viele Einbrüche wie seit 20 Jahren nicht mehr, Gewalt gegen Passanten in U-Bahnhöfen – und das alles bei einer chronisch überforderten Polizei, die 21 Millionen Überstunden vor sich herschiebt: Wer das neue Buch von Handelsblatt-Politikchef Thomas Sigmund zur inneren Sicherheit als Bettlektüre nutze, der könne sich anschließend eigentlich nur ängstlich unter der Bettdecke verkriechen, sagt Wolfgang Kubicki.

Beim Handelsblatt Wirtschaftsclub in Berlin stellte sich der FDP-Vize vor 90 Gästen der Debatte mit dem Autor und dem Leiter des Berliner Büros der „Wirtschaftswoche“, Gregor Peter Schmitz. Ein so düsteres Bild wie Sigmund in seinem Buch „Allein unter Feinden“ würde er nicht malen, sagte Kubicki. „Die objektive Sicherheitslage in Deutschland ist besser als die subjektive.“ Aber den Nachbarn, bei dem eingebrochen wurde, werde man nicht mit einer Statistik über die insgesamt gesunkene Zahl der Straftaten überzeugen, sagte der FDP-Fraktionschef aus Schleswig-Holstein.

Was muss also passieren, um das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken? Sigmund blättert in seinem Buch einen 15-Punkte-Katalog auf, der von mehr Polizisten und mehr Videoüberwachung über einheitliche IT-Systeme der Fahnder und bessere internationale Kooperation bis hin zu schnelleren und härteren Strafen reicht. Der Instrumentenkasten des starken Staates.

Der Staat dürfe sich gerne aus vielem zurückziehen, aber bitte nicht aus seiner Verantwortung für die Sicherheit der Bürger, sagt Sigmund. Wozu zahlten die denn sonst Steuern? Es sei ein Armutszeugnis, wenn die Bürger mit Selbstverteidigungskursen, in Bürgerwehren und mit Alarmanlagen selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen.

Für Kubicki kann „mehr Staat“ allein aber nicht die Lösung sein. Ein bisschen Eigenverantwortung könne man vom Bürger schon erwarten; im Straßenverkehr gelte ja auch eine Gurtpflicht. Und vieles, was von Bundesinnenminister Thomas de Maizière und seinen Länderkollegen jetzt vorgeschlagen oder beschlossen werde, sei doch allenfalls ein „Placebo“, um die Bürger zu beruhigen.

Kein einziger Straftäter in Deutschland sei allein aufgrund einer Videoüberwachung verurteilt worden, sagt Kubicki. Und: „Ich will einen wesentlichen Teil meines Lebens nicht überwacht haben.“ Da ist er, der liberale Kämpfer für die bürgerlichen Freiheiten.

Aber können wir uns diesen Luxus heute noch leisten, die Freiheit über die Sicherheit zu stellen – in Zeiten von Bandenkriminalität und islamistischem Terror? Die U-Bahn-Treter von Berlin, die eine Passantin die Treppe hinuntergestoßen hatten, wären ohne Videoüberwachung bis heute nicht gefasst, glaubt Sigmund. Großbritannien werde fast flächendeckend videoüberwacht und habe doch keine deutlich andere Kriminalitätsrate als Deutschland, kontert Kubicki. Und mit der Vorratsdatenspeicherung fange man weder Räuber noch Einbrecher. „Freie Demokraten sind überhaupt nicht gegen Maßnahmen zur Stärkung der Sicherheit“, betont der FDP-Bundesvize, „sie müssen nur effektiv sein.“

Für mehr Sicherheit würde vor allem mehr Polizei sorgen, darin sind sich Sigmund und Kubicki einig. Doch dauere es Jahre, bis zusätzliche Polizisten ausgebildet seien. Ganz zu schweigen davon, dass junge Leute kaum noch für den Polizeidienst zu gewinnen seien, weil sie ja dann überall den Kopf hinhalten müssten. Die versprochenen 3000 zusätzlichen Bundespolizisten seien deshalb ein Versprechen von Innenminister de Maizière, das kurzfristig nichts bringe, kritisiert Sigmund. Die Belastung der Polizisten stünde in keinem angemessenen Verhältnis zur Bezahlung. Der Staat tue viel für die Sicherheit, aber es reiche eben nicht.

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