Integrationskurse für Flüchtlinge Starthilfe für Neu-Deutsche

Flüchtlinge sollen im Integrationskurs Deutsch lernen und Grundkenntnisse über die Bundesrepublik erhalten. Doch reicht das bisherige Angebot aus, um in Deutschland Fuß zu fassen? Was Forscher sagen.

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Ein syrischer Flüchtling steht vor einer Landkarte Deutschlands. Reichen die Integrationskurse aus, um in Deutschland klar zu kommen? „Nein“, ist die Antwort vieler. Quelle: dpa

Nürnberg Es scheint eine relativ einfache Hörübung zu sein. Ein Anrufbeantworter gibt kurze Texte wieder: Ein Freund berichtet über Pläne für einen gemeinsamen Wanderausflug, eine Bekannte lädt zum Kinobesuch ein. Den Teilnehmern des Integrationskurses in Nürnberg fällt es jedoch schwer, die Anrufer zu verstehen. Lehrerin Gülsen Landshuter zeigt viel Geduld und spielt ihren Schülern die Übung mehrfach vor. Am Ende muss die 42-Jährige aber doch noch viel helfen, damit alle begreifen, worum es geht.

Die etwa 15 Teilnehmer – Flüchtlinge und EU-Ausländer – sind im vierten von sechs Sprachmodulen. Seit Februar läuft ihr Kurs. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bezeichnet die Integrationskurse als „Erfolgsmodell“. Doch reichen sie aus, um sich in Deutschland wirklich integrieren zu können?

Kritiker bezweifeln das. Denn nur etwa die Hälfte der Teilnehmer nehme überhaupt an den vorgesehenen Abschluss-Tests teil, sagt etwa Christoph Schroeder. Er leitet den Arbeitsbereich Deutsch als Fremdsprache an der Universität Potsdam und ist Mitglied im Rat für Migration. Von den Teilnehmern der Tests wiederum bestünden nur etwa 60 Prozent das Sprachlevel „B1“, das ihnen „ausreichende Sprachkenntnisse“ bescheinigt.

Nach Zahlen der Forscher haben seit der Einführung vor elf Jahren mehr als eine Million Menschen einen Integrationskurs begonnen. Abgeschlossen haben ihn demnach jedoch nur etwa 660.000. Und den Test absolvierten noch weniger. Schroeders Schluss: Zwei Drittel der Teilnehmer fallen aus dem System heraus. „Die Kurse sind offensichtlich nur bedingt in der Lage, auf die Herausforderungen zur Integration von Flüchtlingen und Migranten angemessen zu reagieren“, sagt der Forscher.

Seiner Ansicht nach das größte Problem: Neben anerkannten Flüchtlingen sowie Asylbewerbern mit guten Bleibechancen sind die Kurse auch für Ausländer gedacht, die schon länger in Deutschland leben. Manche Teilnehmer hätten daher bereits gute Deutschkenntnisse, andere gar keine. Und manche Flüchtlinge sind traumatisiert, andere Teilnehmer wollen am liebsten bald schon studieren.

Sonja Ziyal vom Nürnberger Bildungszentrum sieht das positiv: „Etwas Heterogenität ist unserer Erfahrung nach gut. Je bunter die Mischung bei den Teilnehmern, desto größer ist der Lerneffekt im Sozialen.“ Hier erlebten die Teilnehmer, was ihnen auch im realen Leben begegne.


Bildungsferne Kursteilnehmer sind überfordert

Bildungsferne Kursteilnehmer, die die Kurse am nötigsten hätten, profitierten jedoch am wenigsten von ihnen, schreiben Schroeder und seine Kollegin Natalia Zakharova. Die Forscher fordern daher, die Kurse zu differenzieren und auf verschiedene Zielgruppen zuzuschneiden. Bestimmte Gruppen hätten einfach mehr Förderbedarf. Zwar gibt es bereits Spezialkurse – etwa zur Alphabetisierung oder für Jugendliche. Doch diese machten bislang nur etwa 20 Prozent aus.

Dass Deutsch lernen kein Kinderspiel ist, zeigt sich in Nürnberg auch im Orientierungskurs, dem zweiten Teil des Integrationskurses. Lehrerin Sigrid Beyler nimmt an diesem Tag mit einer anderen Gruppe die Parteien in Deutschland durch. Sie spricht auch über die AfD und Pegida, über Bürgerentscheide und das Handelsabkommen TTIP. Das Thema Genmanipulationen lässt sie dabei lieber weg. Zu kompliziert.

Dass ihre Schüler aber schon mit den Parteiprogrammen überfordert sind, zeigt sich bei der Hausaufgabe. Zur Frage, welche Ziele die CDU verfolgt, antwortet eine Teilnehmerin treuherzig: „Familienpolitik, Gesundheitspolitik, Wirtschaftspolitik.“ Bei der gleichen Frage zur AfD fällt die Antwort der Frau genauso aus.

Sigrid Beyler berichtet: Früher seien vor allem junge, gut gebildete EU-Bürger in ihren Kursen gewesen. Inzwischen seien es immer mehr Flüchtlinge. Und die hätten oft sehr andere Ansichten, etwa zu Religion oder Gleichberechtigung. „Einige von ihnen sind schon sehr konservativ“, erzählt die 48-Jährige. „Beim Thema Homosexualität kommt immer: Das ist in unserer Religion verboten.“ Daher würde sie sich gerade für diese Themen deutlich mehr Zeit wünschen. „Aber ich bin ja jetzt schon froh, wenn ich meine Themen durchkriege.“

Der Orientierungskurs soll nun auf 100 Stunden aufgestockt werden. Auch der Lehrplan wird laut einer BAMF-Sprecherin derzeit überarbeitet. „Unter anderem soll die Wertevermittlung intensiviert werden.“ Dazu sagt der integrationspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck: „Mehr ist immer sinnvoll. Die Frage ist nur: Sind die Kapazitäten dafür auch da?“ Denn es fehlt überall an Lehrern.

Dass Integrationskurse grundsätzlich eine gute Idee sind, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. „Man darf sich aber nicht allein darauf verlassen“, sagt Volker Beck. „Die Kurse sind lediglich ein integrationspolitisches „Starterpaket“.“ Danach müssten Spracherwerb und Wertevermittlung weitergehen. Zum Beispiel an der Schule, am Arbeitsplatz oder mit dem neuen Programm der Bundesagentur für Arbeit, bei dem berufsbezogenes Deutsch vermittelt wird.

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