Zeit Online: Herr Steinbrück, die Eurokrise ist zurück. Wie soll es in Zypern weitergehen?
Peer Steinbrück: Es ist gut, dass die Zyprer ihr Geschäftsmodell offenbar ändern wollen, denn es funktioniert nicht. Das Land kann nicht auf Dauer von Millionärseinlagen, niedrigen Steuern und lockenden, hohen Zinsen leben. Ihre Banken müssen schrumpfen. Deren Risiken dürfen am Ende nicht bei deutschen, niederländischen und französischen Steuerzahlern landen.
Zypern hat mit den Russen auch um Beteiligungen an seinen Gasvorkommen verhandelt. Macht Ihnen der wachsende Einfluss Russlands Sorgen?
Ich will nicht an Vorurteilen mitwirken. Zypern muss sich allerdings entscheiden, ob sein Schwerpunkt innerhalb der EU und der Währungsunion liegt. Das Verhandlungsergebnis von Montag scheint darauf einen Hinweis zu geben.
Steinbrücks Vorschläge zur Bändigung der Finanzmärkte (2012)
Finanztermingeschäfte (Derivate), die völlig unkontrolliert an der Börse vorbei abgewickelt werden, sollen stark eingeschränkt werden. Solche Over-the-Counter-Geschäfte (OTC - „über den Tresen“) nehmen seit einiger Zeit massiv zu.
Begrenzung der absoluten Zahl von Warenterminverträgen zu Spekulationszwecken (sogenannte Positionslimits). Verbot von Geschäften mit Agrar- und Energierohstoffen sowie Nahrungsmitteln für Banken und Finanzgesellschaften.
Das seit 2010 geltende Verbot von ungedeckten Leerverkäufen auf Aktien und Staatsanleihen wird auf Kreditderivate von Banken und Firmen ausgeweitet.
Nur noch vorher überprüfte Unternehmen dürfen damit an der Börse tätig werden. Notwendig sei eine Mindestverweildauer, bis ein Auftrag ausgeführt wird.
Dazu sollen auch ausländische Töchter europäischer Banken herangezogen werden. Ebenso der außereuropäische Handel mit Wertpapieren von Emittenten aus Europa.
Zu Vermeidung von Blasen soll in Europa für die Beleihung eine Obergrenze von 80 Prozent zum Preis der Immobilie bzw. zum eingebrachten Eigenkapital vereinbart werden - in Boom-Phasen von 60 Prozent.
Der Staat soll sich aus der Haftung für die Banken weitgehend zurückziehen. Die Institute sollen europaweit aus eigenen Mitteln einen Rettungsschirm in Höhe von 150 bis 200 Milliarden aufbauen. Dieser „Banken-ESM“ soll auch Großbanken abwickeln oder restrukturieren können. Für kleine und mittelgroße Banken soll ein nationaler Fonds zuständig sein. Auch die Aktionäre und Gläubiger seien neben den Eigentümern an den Verlusten zu beteiligen.
Zunächst soll der Eigenhandel von Banken beschränkt werden. Darunter versteht man Geschäfte, die zur kurzfristigen Gewinnerzielung auf eigene Rechnung getätigt werden. In einem zweiten Schritt ist die Trennung des Einlage- und Kreditgeschäfts vom Investmentteil geplant. Fortführung der Bereiche unter dem Dach einer Holding als rechtlich eigenständige Töchter.
Ihre Zahl soll von bislang zehn auf zwei bis drei schlagkräftige Institute verringert werden.
Für Hedge-Fonds, Private Equity, Zweckgesellschaften oder Geldmarktfonds sollen die gleichen Eigenkapitalregeln gelten wie für Banken. Verbot der Kreditvergabe an solche Finanzgesellschaften und der Beteiligung von Banken an ihnen.
Plädiert wird für eine europäische Bankenaufsicht nur für systemrelevante Großbanken unter dem Dach der EZB. Deutsche Spar- und Genossenschaftsbanken sollen nicht davon betroffen sein.
Alle Top-Verdiener (nicht nur der Vorstand) einer Bank sollen ihr Einkommen veröffentlichen. Die erfolgsabhängigen Zuschläge dürfen das Festgehalt nicht übersteigen.
Russland tritt auch im Syrienkrieg als schwer berechenbarer Akteur auf. Was werden die Russen für Europa in den nächsten Jahren sein: Partner oder Rivale?
Auf jeden Fall Partner, dessen Interessen wir gut kennen und berücksichtigen sollten. Dabei ist einzugestehen, dass unsere westlichen Maßstäbe pluraler Demokratie nicht unmittelbar auf Russland übertragbar sind.
Sollte man die Russen etwa nicht auf Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen hinweisen?
Zweifellos. Aber in bilateralen Gesprächen und nicht auf dem Marktplatz. Sonst verspielt man Zugänge, um praktische Fortschritte zu bewirken.
Die Eurokrise ist auch zurück im Wahlkampf. Wir finden, das Thema liegt Ihnen besser als soziale Gerechtigkeit.
Einspruch. Ich spüre auf meinen Veranstaltungen, dass die Leute zu allen Themen aufmerksam zuhören. Faire Löhne, Renten, bezahlbares Wohnen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere für Frauen – das brennt den Menschen auf den Nägeln. Der beste Beleg dafür ist: Auch die Union entdeckt diese Themen und versucht sich auf unserem Spielfeld.
Steinbrücks Positionen
Steinbrück ist auch gegen eine Krisenpolitik, die ausschließlich eine Einsparungen in den Krisenstaaten verfolgt. Den in Not geratenen Ländern Konsolidierungsprogramme über den Kopf zu ziehen, reiche nicht aus, sagte SPD-Kandidat. In vielen Euro-Staaten drohe jetzt eine Radikalisierung des politischen Klimas. Eine grundsätzliche Abkehr von der Konsolidierungspolitik forderte Steinbrück allerdings nicht: Es gehe bei der Frage nach Konsolidierung und Wiederaufbau nicht um ein „Entweder oder“, sondern um ein „Sowohl als auch“.
Steinbrück ist dafür, dass Deutschland und andere starke Staaten den Krisenländer mit ihrer Bonität helfen. Denn durch die Rettungsschirme sei Europa schon in einer gemeinsamen Schuldenhaftung. Dafür müssten die Schuldner aber auch Kompetenzen abgeben: „Es bedarf einer Instanz im Euroraum, die Durchgriffsrechte auf die nationale Haushaltsführung hat.“
In der Debatte um die Personalentscheidung eines neuen Euro-Gruppenchefs ist Steinbrück der Meinung, ein Deutscher sei für diese Position nicht geeignet. „Ich halte das für einen Fehler“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat zu den Überlegungen, Schäuble als Nachfolger für Jean-Claude Juncker zu bestimmen . Er sei davon überzeugt, dass Deutschland „als größtes Schiff im Konvoi der Europäischen Währungsunion“ nicht in die Position eines Schiedsrichters innerhalb EU kommen sollte.
Gegenüber dem Handelsblatt warb Steinbrück für Steuerhöhungen: „Ich bin dafür, dass die Sozialdemokratie offensiv den Standpunkt vertritt, in Teilbereichen Steuern zu erhöhen.“ Die Einnahmen seien erforderlich, „um erstens den Staatshaushalt zu konsolidieren, zweitens mehr in die Bildung zu investieren und drittens die Finanzlage der Kommunen zu verbessern.“ Dafür würde er in einem Bundestagswahlkampf offensiv werben. „Alle Versprechen, die Steuern senken zu wollen, prallen an der Realität ab“, sagte der SPD-Politiker.
In der Rentendiskussion hat Steinbrück ging Steinbrück auch auf Konfrontationskurs mit seiner Partei. „Die Antwort auf den mathematischen Druck der Demografie“ könne „nicht die ersatzlose Streichung der Rente mit 67 sein“, sagte der Kanzlerkandidat. Auf ihrem Parteitag Ende 2011 hatte die SPD aber beschlossen, die Anhebung der Altersgrenzen auszusetzen, bis die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe.
Bei seiner Einschätzung des von Schwarz-Gelb geplanten Betreuungsgeldes verzichtete Steinbrück auf viele Worte. Das Betreuungsgeld sei eine „dämliche und skandalöse Fernhalteprämie“.
Wohl eher ein Problem. Es reicht doch nicht, der Erste gewesen zu sein, der den Mindestlohn gefordert hat.
Das würde stimmen, wenn das Bemühen der Union ernsthaft wäre. Aber die CDU klebt nur Etiketten, in den Flaschen ist dann aber nichts drin. Statt eines flächendeckenden Mindestlohns kommen die mit einer unklaren Lohnuntergrenze, die viele Betroffene gar nicht erreicht. Da soll rechtzeitig vor der Wahl der Anschein von Handeln vermittelt werden, ohne eine Lösung zu liefern. Die letzten ergebnislosen Koalitionsausschüsse, die sich unter der Leitung von Frau Merkel nur noch mit drittklassigen Themen befasst haben, sprechen Bände.