Interviews nach NRW-Wahl Martin Schulz kann auch „Niederschläge einstecken“

Am Abend nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen absolvierte der SPD-Kanzlerkandidat in ARD und ZDF Interview-Sondersendungen. Und gab sogar einen Fehler zu. Steht nun eine „Sternstunde der Demokratie“ bevor

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SPD-Kanzlerkandidat Schulz stellte sich in Fernseh-Interviews Fragen zur NRW-Wahlniederlage.

Berlin Was immer sich Martin Schulz vorwerfen lässt: Dass er keine Medien-Strategie und nicht genauso gute Kontakte in die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie die CDU besäße, kann nicht dazugehören.

Einen Tag nach dem überraschend schlechten Abschneiden seiner Partei auch bei der dritten Landtagswahl des Frühjahrs saß der SPD-Kanzlerkandidat binnen einer guten Stunde für erst zwanzig Minuten zwei Interviewern im ZDF und dann eine Viertelstunde einem ebenfalls weiblich-männlichen Duo von der ARD gegenüber.

Die Interviewer stellten ziemlich ähnliche Fragen. Beide eröffneten mit Fußball-Metaphern. "Der Anpfiff für das Bundesligaspiel hat heute begonnen", stritt Schulz die Vorlage, es stünde nach Wahlen 0:3 ab.

Schulz zeigte sich angegriffen von den Niederlagen und pflegte einen deutlich zurückhaltenderen, weniger kraftstrotzenden Ton als bei den ersten öffentlichen Auftritten nach seiner Bestimmung zum Kanzlerkandidaten. Daraus, dass er "nicht zum ersten Mal schwere Niederschläge einstecken musste", wie er beim immer etwas albernen Satzergänzungsspiel der ZDF-Sendung "Was nun?" sagte, beziehe er Hoffnung, die Bundestagswahl dennoch gewinnen zu können – und aus der Schnelllebigkeit der Politik: Als Bettina Schausten und Peter Frey ihn 106 Tage zuvor im selben Studio befragt hatten, habe die SPD in Wahlumfragen noch bei 20 Prozent gelegen und sei Gefahr gelaufen, von der AfD überholt zu werden. Diese Gefahr besteht derzeit tatsächlich nicht.

Die Frage, ob er im nordrhein-westfälischen Wahlkampf nicht "falsch beraten" gewesen sei, sich zurückzuhalten, ließ er im ZDF eher offen. In der ARD antwortete er, dass er sich "stärker hätte einbringen müssen".

Ein paar konkrete Pläne für seine Bundesregierung kündigte er an – freilich in derart vagen Formulierungen, wie sie die meisten Parteien unterschreiben würden. Die SPD wolle in Infrastrukturen investieren, um "die Substanz der deutschen Volkswirtschaft zu erhalten" (ZDF), "damit die Bundesrepublik ihren technischen Vorsprung bewahrt" (ARD). Und sie werde das Sicherheitsbedürfnis der Wähler, das in Nordrhein-Westfalen eine große Rolle gespielt hat, "sehr ernst nehmen".

Das allerdings hatte in der Anne-Will-Talkshow am Sonntag sogar Jürgen Trittin von den Grünen beteuert. Der Fall des Bundeswehr-Oberleutnants, der sich ohne Weiteres als syrischer Flüchtling registrieren lassen konnte, zeige, "dass in einer öffentlichen Verwaltung unter Führung von CDU-Ministern nicht alles stimmt", argumentierte Schulz. Ob die SPD tatsächlich Potenzial sieht, beim Thema Innere Sicherheit die Unionsparteien zu attackieren, wäre eine spannende Frage. Sie wurde in beiden Sendungen nicht gestellt.

Dafür ging es um Steuersenkungen (die wollte Schulz nicht versprechen, sondern Entlastungen etwa durch gebührenfreie Kitas und bei der Krankenversicherung) und Koalitionsaussagen, auf die er sich nicht viel konkreter festlegen wollte, als dass er gegen eine Große Koalition unter SPD-Führung nichts hätte.

Seinem Rezept, Schlüsselaussagen zu wiederholen, blieb Schulz treu: Wie schon im März sprach sehr er im ZDF mindestens dreimal von der "hart arbeitenden Mitte dieses Landes". Bei Tina Hassel und Rainald Becker in der ARD sprach er davon nicht, erwähnte dafür gleich zweimal seine Freundschaft mit Emmanuel Macron, der zur selben Zeit als neuer französischer Präsident beim Staatsbesuch von Kanzlerin Merkel empfangen wurde.

Vorwürfe, er würde "durch die Provinz tingeln", während Angela Merkel "Champions League spiele" (ARD-Mann Becker hatte eine Menge Fußball-Metaphern auf Lager) konterte er damit, eben "näher an den Problemen der Menschen" zu sein als die Bundeskanzlerin. Da mag er recht haben. Ob es allerdings eine gute Idee war, die Aussage noch damit zu untermauern, dass er in dem Punkt "in allen Umfragen einen Vorsprung" habe, ist eine andere Frage. Politiker, die nicht nur immerzu an Umfragen denken, sondern auch noch davon reden, erwecken wenig Vertrauen. Dafür mag es eine gute, neue SPD-Idee sein, von den Unionsparteien im betriebswirtschaftlichen Jargon als "unserem Wettbewerber" statt als Gegner zu sprechen.

Fazit: Bis der Bundestagswahlkampf eine "Sternstunde der Demokratie" werden kann, wie Schulz es auch schon für möglich hielt, wäre es noch ein sehr weiter Weg. Ihn nach der NRW-Wahl schon für gelaufen zu halten, wäre aber auch ein Fehler. Ein paar frische Ideen und vor allem Durchhaltewillen scheinen Martin Schulz und sein Team durchaus zu haben.

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