Warum braucht der IS zwei Gesichter?
Der IS schafft es, durch die äußerst brutalen Videos seine Gegner einzuschüchtern – im Westen und im Nahen Osten. Auf der anderen Seite sammelt er mit den Videos für das syrisch-irakische Publikum und die Unterstützer Sympathien und gibt vor, ein tatsächlicher Staat zu sein, der sich um die Interessen seiner Bürger kümmert.
Dieses Bild wird immer wieder entlarvt durch Videos, die Aktivisten aus dem Inneren der IS-Städte hochladen. Sie zeigen, wie schlecht die Zustände dort sind. Sind solche Videos eine Gefahr für den IS?
Der IS versucht mit aller Macht, die Veröffentlichung solcher Videos zu verhindern. Das wird deutlich anhand der wenigen Aktivisten aus Raqqa, die unter Lebensgefahr versuchen, von dort zu berichten. Einzelne werden immer wieder gefasst und hingerichtet. Der IS will Herr über die Bilder sein, die aus seinem Herrschaftsgebiet heraus entstehen.
Das bekannteste Gesicht der IS-Medienarbeit in Deutschland ist Denis Cuspert, früher bekannt als Deso Dogg. Er hat es geschafft, in die Führungsriege des IS aufzusteigen. Wie das?
Er stand schon in Deutschland mit Mohamed Mahmoud in Kontakt – einem radikalen Prediger aus Wien. Gemeinsam bauten sie in Deutschland die jihadistische Organisation Millatu-Ibrahim (Die Gemeinschaft Abrahams) auf. Mahmoud war jemand, der gut in der militanten Szene der arabischen Welt vernetzt war – wahrscheinlich hatte er auch Kontakt zu al-Qaida im Irak – der Vororganisation des IS.
Millatu-Ibrahim
Mohamed Mahmoud wurde 1985 in Wien als Sohn ägyptischer Eltern geboren. Sein Vater war bereits Mitglied einer islamistischen Organisation in Ägypten und gab das Gedankengut an seinen Sohn weiter.
2003 war er laut eigener Aussage Teil eines al-Qaida Trainingscamps im Irak. Danach sei er Schüler eines radikalen Imams gewesen.
2008 wurde er für das Bilden und Fördern einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Nachdem seine Strafe 2011 verbüßt war, wurde er aus der Haft entlassen. Wenige Tage später veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Abu Usama Al-Gharib“ mehrere Videos, in denen er zum Kampf gegen Ungläubige aufrief.
Denis Cuspert wurde 1975 in Berlin geboren. Er wuchs in zerrütteten familiären und sozialen Verhältnissen auf. Er wurde mehrfach inhaftiert, unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes. In seiner Jugend wandte er sich zudem dem Islam zu.
Parallel dazu machte er sich ab 2002 innerhalb der Berliner Szene einen Namen als Rapper – der erhoffte Durchbruch blieb aber aus. Nachdem er Anfang 2010 in Kontakt mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel kam, beendete er seine Rapper-Karriere und orientierte sich am Salafismus.
Nachdem er weiteren Ärger mit den Behörden wegen Volksverhetzung hatte, setzte sich Cuspert 2012 nach Ägypten ab. 2014 schwor er Abu Bakr al-Baghdadi die Treue und schloss sich dem IS an.
Millatu-Ibrahim ist eine salafistische Organisation, die 2011 in Solingen von Mohamed Mahmoud gegründet wurde. Wegen „Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung“ wurde die Organisation 2012 von dem damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verboten.
Sie hatte ihren Sitz in einer „Hinterhofmoschee“ in Solingen. Bekannt wurde Millatu-Ibrahim vor allem wegen der gewaltsamen Ausschreitungen 2012 in Solingen und Bonn. Als Mitglieder der rechtsextremen Partei pro NRW vor den dortigen Moscheen Salafisten mit Mohammed-Karikaturen provozierten, griffen die Salafisten sie an.
Später legitimierte Millatu-Ibrahim in Videos die Angriffe und kündigte weitere Gewalttaten an.
Bis zu seinem Anschluss an den IS soll Denis Cuspert Millatu-Ibrahim als militante salafistische Organisation in Mossul angeführt haben.
Also hat Cuspert seinem Aufstieg Mahmoud zu verdanken?
Mahmoud genießt in der internationalen jihadistischen Szene Wertschätzung. Als sein Protegé wurde Cuspert natürlich schneller aufgenommen und stieg schneller auf als ein unbekanntes Gesicht, das an der türkisch-syrischen Grenze aufkreuzt. In solchen Fällen wird erst einmal geprüft, wie stark und zuverlässig diese Person wirklich ist.
Glauben Sie, dass der IS zu schlagen ist?
Ja, aber damit wäre nur eine jihadistische Organisation besiegt. Daneben gibt es in der ganzen arabischen Welt Organisationen und Netzwerke, die aktuell an Kraft gewinnen. Die Bewegung erlebt im Moment einen enormen Vormarsch und glaubt tatsächlich, dass sie bald einen Islamischen Staat auf dem Gebiet der alten Kalifate errichten kann.
Die alten Kalifate umfassten nahezu die gesamte arabische Welt, aber auch Spanien und Sizilien. Wie wahrscheinlich ist es, dass der IS sich ernsthaft bis dorthin ausbreiten will?
Der alte Kalifats-Gedanke spielt eine große Rolle. Der IS will das Kalifat in der historisch größtmöglichen Ausdehnung wieder auferstehen lassen. Das würde auch Spanien mit einschließen. Da muss man allerdings realistisch bleiben: Im Moment ist der IS in Syrien und im Irak in großen Schwierigkeiten, weswegen er sich erst einmal damit beschäftigt, sich dort zu stabilisieren und vielleicht in andere arabische Staaten wie Libyen oder Ägypten zu expandieren.