Islamischer Staat So rekrutiert die Terrormiliz IS

Auf der Wunschliste des IS stehen Akademiker ganz weit oben. Die Terrororganisation geht in Pakistans Metropole Karachi mit Vorliebe in gebildeteren Gesellschaftskreisen auf Anhängersuche – mit erschreckendem Erfolg.

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Die Terrormiliz - hier in Mossul, Irak, will auch in Pakistan Anhänger rekrutieren. Quelle: AP

Karachi „Bruder, du könntest so ein Gewinn für die islamische Gemeinschaft sein“, versicherte Anwerber Hasan Abdullah. Mit diesen Schmeicheleien wollte er den pakistanischen Journalisten zur Terrormiliz Islamischer Staat locken. Aber vergebens: Abdullah antwortete, er genieße das Leben und habe nicht die Absicht, sich den Dschihadisten anzuschließen. „Das Vergnügen dieses Lebens ist kurz. Du solltest für das Achira, das Leben danach, arbeiten“, drängte der Anwerber.

Der IS hatte auf Abdullah ein Auge geworfen, nicht weil er Anhänger einer extremistischen Ideologie war, sondern weil die Dschihadisten glaubten, er könnte als Journalist ein Segen für ihre Propaganda-Maschinerie sein, sagt Abdullah.

Das Buhlen des IS begann damit, dass ihm auf einer Social-Media-Plattform Informationen für eine Story angeboten wurden. Wochen später sprach ein Mann in einem Park Abdullah an und teilte ihm mit, er würde genau verfolgen, was er schreibe - er sei vom IS. Viele Fachleute würden sich dem IS anschließen, behauptete der Mann am Ende des Gespräches.

Abdullahs Begegnung ist Ausdruck davon, wie der sogenannte Islamische Staat nach gebildeten Anhängern in Pakistan Ausschau hält. Die Häscher umwerben Studenten, Doktoren, Anwälte, Journalisten und Geschäftsleute und setzen zur Geldbeschaffung Frauengruppen ein. Eine Frauen-Akademie beispielsweise warb Frauen an, indem sie IS-Videos in den Klassenräumen zeigte. Die zwanzig Studentinnen drängten daraufhin wohlhabende Frauen aus der Mittelschicht zu religiösen Spenden an den IS, damit dieser sein Kalifat errichten könne.

An renommierten Top-Universitäten des Landes sollen sogar radikalisierte Professoren unterrichten, die den geschützten Bereich des Klassenraumes nutzen, um die Studenten zu beeinflussen.

„Menschen zu finden, die bereit sind, sich eine Selbstmordweste umzuschnallen und sich in die Luft zu sprengen, ist einfach. Da gibt es Hunderte, Tausende“, sagt der Journalist Abdullah. Aber die Gebildeteren seien kostbarer: Fachleute eignen sich gut für Führungsposten und lassen sich einbinden in die machtvolle Propagandamaschinerie, die auf technisch anspruchsvolle Videos und den professionellen Einsatz von Social Media setzt.

In Karachi, der größten Stadt Pakistans, zeigen die IS-Kämpfer größte Präsenz. Die Hafenstadt mit rund 20 Millionen Einwohnern am Arabischen Meer ist beliebte Operationsbasis für militante Gruppen. In den wohlhabenden Bezirken lässt sich gut Geld beschaffen, und in den überbevölkerten, heruntergekommenen ärmeren Vierteln rund um die Stadt lassen sich neue Kämpfer anwerben und gute Unterschlupfe finden. Außerdem können die IS-Rekrutierer hier Verbindung in andere Teile des Landes herstellen. Denn die Bevölkerung besteht aus vielen Menschen, die aus ländlichen Gegenden oder Afghanistan auf der Suche nach Arbeit gekommen sind.


Die Zahl der IS-Anhänger in Pakistan ist unbekannt

Ihr Auftreten in Pakistan kündigte der IS mit einem blutigen Anschlag in Karachi an. Bewaffnete Männer stürmten im Mai 2015 einen Bus mit Schiiten, befahlen ihnen, den Kopf zu verneigen und eröffneten dann das Kugelfeuer, bei dem 45 Menschen starben.

Die Attentäter hinterließen ein Stück Papier mit der Botschaft „Passt auf... wir haben das Schlachtfeld für Vergeltung und die Einführung der Scharia betreten.“ Saad Aziz, der vermutliche Drahtzieher des Busattentats, war Absolvent eines von der USA finanzierten Wirtschaftsinstituts in Karachi. Seitdem tötete der IS mehr als 35 Polizisten bei gezielten Überfällen, griff zwei Schulen an und erschoss die Rechtsaktivistin Sabeen Mehmud in ihrem Auto.

Die tatsächliche Zahl der IS-Anhänger in Pakistan ist unbekannt. Staatliche Stellen gaben kürzlich überhaupt erst zu, dass es sie im Land gibt, betonten aber, dass die örtlichen Sympathisanten keine bekannten Verbindungen zur IS-Führung in Irak und Syrien hätten.

Gleichwohl warnt Raja Umer Khitab, der als oberster Polizeibeamter der Stadt für Terrorismusbekämpfung zuständig ist, vor dem großen Wachstumspotenzial des IS in Pakistan. Nicht nur, weil das Land eine Vielzahl von sunnitischen Extremisten beherbergt, sondern auch wegen der antischiitischen Stimmung innerhalb der eigenen Reihen. Hass und Übergriffe auf Schiiten sind ein Grundpfeiler der Ideologie des IS und eine Quelle ihrer Anziehungskraft für radikale Sunniten.Bei seinem Werben um neue Anhänger steht der IS in einem harten Konkurrenzkampf zu anderen militanten Gruppen. Die pakistanische al-Kaida etwa hat es auf ähnliche Kandidaten abgesehen.

Das Klischee vom militanten IS-Kämpfer als einem Stammesmitglied aus den Bergen in traditioneller Ausrüstung sei überholt, sagt Bruce Hoffman, Direktor des Zentrums für Sicherheitsstudien der Georgetown Universität in Washington.

Die neue Generation bestehe aus gebildeten, kosmopolitischen Pakistanern mit Universitätsbildung. Sie kommen aus der Mittelschicht und verfügen über Fähigkeiten und Selbstvertrauen. „Sie können mit Social Media umgehen, Grenzen überwinden und passen nahtlos in globale Gesellschaften. Sie sind die neuen Gewaltmultiplikatoren von terroristischen Gruppen.“

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