IT-Gipfel Digitale Harmonie

Eine staunende Kanzlerin, ein Kabinett in Beschlussstärke und ein Land im bildungspolitischen Aufbruch – der IT-Gipfel ist ein Fest der Harmonie und des gemeinsamen Anpackens. Nur eine kleine Gruppe leistet Widerstand.

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Sigmar Gabriel (SPD, l) und die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, M) winken neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Kamera eines Laptops. Aber nicht jeder gab sich beim IT-Gipfeloptimistisch. Quelle: dpa

Saarbrücken Die Stimmung ist gut, der Andrang der Spitzenpolitiker überwältigend. Sieben Bundesminister und die Kanzlerin haben sich beim zehnten nationalen IT-Gipfel in Saarbrücken versammelt und bieten ein ungewöhnliches Bild. „Wir könnten fast eine Kabinettssitzung abhalten und wären beschlussfähig“, scherzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Während sie sich die neuesten digitalen Entwicklungen für das Auto erklären lässt, stehen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) in einer Vierergruppe mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in kleinem Abstand daneben und staunen ebenso. Dobrindt hilft der Kollegin Nahles noch mit aufs Podest, damit sie nicht allein stehen muss. Zuvor hat Gabriel einen Moderator unter wohlwollendem Gelächter des Publikums den Moderator einer Diskussionsrunde gerüffelt, weil er die weiblichen Teilnehmer nicht zu Wort kommen lassen hatte.

Harmonie allerorten, selbst den Google-Chef Sundar Pichai begrüßten alle herzlich, die Bundesregierung zieht an einem Strang. Wenig später wird Merkel per Videoschalte mit einer Schulklasse darüber witzeln, wie sie digitale Medien nutzt. Es wird viel gelacht, gescherzt und gelobt. Merkel klopft Gabriel, wahrscheinlich bald ihr Konkurrent im Kampf um das Kanzleramt, mehrfach im übertragenen Sinne auf die Schulter. Gabriel hat gerade seine Unterstützung für eine nationale Initiative für regionale Innovationszentren bekräftigt. „Ich glaube, dass diese Hub-Initiative eine wirklich gute Sache ist“, lobt Merkel. Auch gut sei: Die Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft in der Plattform Industrie 4.0.

„Deutschland hat eine gute Ausgangsposition, aber wir sind weit davon entfernt, in allen Bereichen Weltspitze zu sein“, sagte Merkel. Die Politik müsse schneller werden. Bildung sei auch so ein Thema wo man aufholen müsse, da waren sich alle einig. Da muss Deutschland besser werden. Die Diskussion um digitale Bildung dürfe sich nicht darauf reduzieren, ob wir jetzt ein Fach Informatik brauchen, mahnte Gabriel. Die Märkte für digitale Bildung müsste Deutschland „weit besser erschließen, als wir es in der Vergangenheit geschafft haben.“

Tenor also: Wir sind auf einem guten Weg und haben unsere Schwächen erkannt. Alles gut also? Das sah beim IT-Gipfel nicht jeder so. Am Rande des Treffens wurden drastische Warnungen laut, die im Gegensatz zum verbreiteten Optimismus standen.


Experten warnen vor digitaler Spaltung

Mittwoch, Auftakt des Gipfels, ein Konferenzraum im Hotel Mercure, gegenüber vom Kongresszentrum. Vorne steht ein Beamer, auf dem Tisch in der Mitte liegt zwischen Keksen und Wasserflaschen ein Stapel Broschüren. Doch eine Vorlage brauchen die beiden Herren nicht, die sich da in Rage reden. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Chancen der Digitalisierung nicht verpassen“, sagt August-Wilhelm Scheer, früher Informatikprofessor und Bitkom-Präsident, heute Chef seiner eigenen IT-Beratungsfirma. „Wir müssen uns ehrgeizigere Ziele setzen“, sekundiert Wolfgang Wahlster, Geschäftsführer des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI).

Die beiden sind die Initiatoren des „Saarbrücker Manifests“. In dem achtseitigen Papier fordern sie einen „Digitalisierungsruck“, damit Deutschland die „zweite Digitalisierungswelle“ nutzen könne. Darin fordern sie einen schnellen Netzausbau, modernes E-Government, digitale Bildung und Regulierung, die neue Geschäftsmodelle nicht von vornherein verhindert. Dazu eine stärkere Abstimmung der verschiedenen Initiativen. Die Initiative unterstützen einige bekannte Namen, etwa Henning Kagermann, Präsident der Akademie für Technikwissenschaften (Acatech), oder Wolfgang Jost, Vorstandsmitglied bei der Software AG.

Die Forderungen klingen nicht überraschend, vieles findet sich in ähnlicher Form in der Digitalen Agenda der Bundesregierung. Doch Scheer und Wahlster vermissen Mut und Vision. „Hier auf dem IT-Gipfel dominiert die Politik, da kommen ein paar Minister und nutzen die Bühne“, sagt Scheer. Das Treffen sei zudem „stark auf den Konsens aller Gruppen ausgerichtet“ und reagiere zu langsam auf neue Trends, sagt Wahlster. Die Botschaft in Richtung Kongresszentrum: Die beiden wollen nicht „weichspülen, sondern die Dinge mal knallhart sagen.“

Scheer, 75, und Wahlster, 63, sind lange im Geschäft, sie wissen, wie sie Öffentlichkeit schaffen – das Papier streuten sie bewusst einige Tage vorher, beim Treffen in Saarbrücken geben sie nun etliche Interviews dazu. Eine Provokation nehmen sie dafür in Kauf: Beide sind zwar an Arbeitsgruppen des IT-Gipfels beteiligt, machen aber trotzdem ihr eigenes Ding. Im Kanzleramt, so hört man, sorgten sie damit für leichte Irritationen.

Die beiden sind jedoch nicht die einzigen, die davor warnen, dass Deutschland abgehängt werden könne. Acatech untersuchte in einer Studie, welche Änderungen auf die Wirtschaft zukommen. Der erfolgreiche Wandel zur Industrie 4.0, so die Wissenschaftsakademie, bestimme in den kommenden Jahren die Wettbewerbsfähigkeiten der deutschen Unternehmen. Diese Erkenntnis sei jedoch noch nicht überall angekommen, heißt es in dem Papier, das die Initiatoren Bildungsministerin Johanna Wanka übergaben.

Die Warnung, ebenfalls öffentlichkeitswirksam zum IT-Gipfel platziert: Es drohe eine doppelte digitale Spaltung. Einerseits zwischen kleinen und großen Unternehmen, andererseits zwischen niedrig- und hochqualifizierten Menschen. Die Macher schlagen eine nationale Bildungsinitiative Industrie 4.0 vor, die Qualifizierungsprogramme unternehmensübergreifend bündle.

Von all dem Gemurre war beim Gipfel mit der Regierungsspitze und den Branchenvertretern keine Rede. Stattdessen: Einigkeit. Die wurde auch bei der Ausrichtung des nächsten Gipfels im Sommer 2017 präsentiert. Gabriel sagte, er sei dafür, dass der Gipfel in Saarbrücken „der zehnte und letzte IT-Gipfel“ und dass der nächste ein „Digital-Gipfel“ sei. Digitalisierung sei viel mehr als IT, das müsse man auch in der Außenperfomance klar machen. Merkel wiederholte später, sie habe diesen Wunsch auch aus der Wirtschaft gehört. Im nächsten Jahr also: Digitalgipfel. Diesmal in Friedrichhafen.

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