Jahresabschluss Warum der Staat wie ein Unternehmen bilanzieren sollte

Als erstes Flächenland liefert Hessen einen Geschäftsbericht in Form einer Konzernbilanz. Trotz schwer zu bewertender Positionen wie Bildung und Sicherheit bietet die "Staatsinventur" gravierende Vorteile gegenüber der verzerrenden Kameralistik.

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Deutliche Differenzen Quelle: Destatis

Wenn Politiker Bilanz ziehen, blicken sie meist auf die Ereignisse vergangener Legislaturperioden zurück. Kaum ein Staatsmann denkt beim Stichwort „Bilanz“ an einen Jahresabschluss, den private Unternehmen und Kaufleute regelmäßig aufstellen müssen. Das könnte sich bald ändern.

Einzelne Landesregierungen haben damit begonnen, Vermögen und Schulden zu bilanzieren, um traditionelle staatliche Haushaltsmodelle zu ergänzen. Der Stadtstaat Hamburg lieferte erstmals für das Jahr 2007 einen Geschäftsbericht in Form einer Konzernbilanz; im November hat Hessen nun als erstes Flächenland nachgezogen. Auch viele deutsche Kommunen nutzen bereits die doppelte Buchführung – in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz seit 2009 sogar flächendeckend.

Abkehr vom Prinzip der Kameralistik

Solche Reformen machen angesichts explodierender staatlicher Defizite durchaus Sinn. Noch rechnen die meisten öffentlichen Haushalte nach dem Prinzip der Kameralistik, erfassen also vor allem Ein- und Auszahlungen.

Das Problem: Finanzminister und Kämmerer starren auf ihre Kassenstände und verlieren andere Vermögensposten aus den Augen – von Schulden ganz zu schweigen. Eine öffentliche Rechnungslegung nach kaufmännischen Prinzipien schafft dieses kurzfristige Denken ab. Bilanzierung erfordert zunächst eine stichtagsbezogene Liste aller Vermögensteile und Schulden. Diese „Staatsinventur“ beantwortet wichtige Haushaltsfragen: Welche Aktivposten gehören der Regierung, bei welchen Gläubigern steht sie mit wie viel in der Kreide, und wann muss sie ihre Verbindlichkeiten tilgen?

Hessen hat als erstes großes Bundesland diese Fragen konkret beantwortet und eine Eröffnungsbilanz zum Stichtag 1. Januar 2009 aufgestellt. Die Haushälter richteten sich dabei nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs, die für Kaufleute und Unternehmen gelten. Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) untersuchten im Auftrag des hessischen Rechnungshofs, ob das geltende Bilanzrecht eingehalten wurde.

„Die meisten staatlichen Bilanzposten begegnen uns auch regelmäßig in Jahresabschlüssen von Industrieunternehmen“, sagt Raimund Kleine, der mit seinem Kollegen Dirk Fischer den Abschluss testiert hat. „Doch bei der Prüfung eines Bundeslands stellen sich noch viele andere Fragen als bei Mandanten aus der Privatwirtschaft.“

Länder verfügen über spezielle Immobilien, die in Unternehmensbilanzen nicht auftauchen. „Für die erstmalige Bewertung von Gefängnissen, Gerichten oder Verwaltungsgebäuden fehlen Marktpreise“, sagt Kleine. Darüber hinaus liefern Regierungen ihren Bürgern immaterielle Güter wie Bildung oder Sicherheit. Diese können anders als etwa Warenlager oder Vorräte eines Industriebetriebs nicht Aktivposten der Bilanz werden.

„Das Handelsrecht verbietet die Aktivierung selbst erstellter immaterieller Vermögensgegenstände“, sagt PwC-Prüfer Fischer. Darüber hinaus muss Bilanzvermögen wirtschaftlich verwertbar sein. Das ist bei Bildung und Sicherheit nicht möglich, denn die Bürger erhalten diese kostenlos. Ein weiteres Problem bei öffentlichen Jahresabschlüssen ist die große Zahl der Vermögensgegenstände und Gläubiger. Alle Posten müssen vollständig erfasst und einheitlich bewertet werden.

Beamte scheinen nach herkömmlicher Haushaltsrechnung zunächst billiger

Doch der Aufwand lohnt sich, denn die Staatsbilanz gibt Auskunft, aus welchen Finanzquellen das öffentliche Vermögen stammt und ob es genügend Mittel zur Deckung der Schulden gibt. Das Eigenkapital als Saldo von Vermögen und Schulden zeigt, wie stark sich der Staat aus eigener Kraft finanziert. Ein weiterer Vorteil der kaufmännischen Buchführung: Sie erfasst Gewinn oder Verlust, wenn er verursacht wird. Kameralistik dagegen schaut nur darauf, wann Geld zu- oder abfließt und verzerrt daher staatliche Finanzentscheidungen.

So scheinen Beamte nach herkömmlicher Haushaltsrechnung zunächst billiger als Angestellte. Letzteren zahlt der Staat bereits in aktiven Dienstjahren Beiträge zur Altersvorsorge – Beamtenpensionen belasten dagegen erst im Ruhestand die Kasse.

Bilanzierung verhindert diese Verzerrung. Die künftigen Altersbezüge beamteter Staatsdiener fließen schon während des Berufslebens als Aufwand in die Bücher. Auf der Passivseite der Bilanz stehen sie zusätzlich in Form einer Pensionsrückstellung. In Hessen ist diese mit 38 Milliarden Euro übrigens der größte Posten von insgesamt 88 Milliarden Euro Passiva. Da das Landesvermögen nur 30 Milliarden Euro wert ist, hat Hessen ein negatives Eigenkapital von 58 Milliarden Euro.

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