Jamaika geplatzt Fünf Gründe, warum Lindner tat, was er tat

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der Freien Demokratischen Partei (FDP) Quelle: dpa

In der öffentlichen Wahrnehmung gilt FDP-Chef Christian Lindner als verantwortlich für die derzeitige Krise. Aber er hatte mindestens fünf gute Gründe, die Sondierungen mit CDU,CSU und Grünen zu beenden.

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1. Schlechtes Verhandlungsergebnis für die FDP

Den Kompromissvorschlag konnte die Kanzlerin unmöglich ernst meinen, dachte Christian Lindner zunächst: Angela Merkel wollte den Solidaritätszuschlag in dieser Legislaturperiode nicht vollständig abschaffen. Für den FDP-Chef war das ein Affront, immerhin hatte die FDP auf ihr Ziel einer großen Steuerreform im Umfang von 30 bis 40 Milliarden Euro in den Jamaika-Verhandlungen bereits verzichtet. Dann muss zumindest der Soli vollständig weg – das war Lindners Haltung in den Verhandlungen. „Wir mussten erkennen, dass dazu keine Bereitschaft bestand. Am Schluss lag mehr oder weniger das Wahlprogramm der Union vor, das den Soli mäßig reduziert und bis in die nächste Legislaturperiode fortgeschrieben hätte“, schrieb Lindner in einem Brief an die Parteimitglieder in dieser Woche.

Je länger die Liberalen verhandelten, desto mehr missfiel ihnen das Verhandlungsergebnis. Gerade bei ihren Kernthemen konnten sich die Liberalen nicht genügend durchsetzen – allen voran in der Finanz- und Bildungspolitik sowie der Digitalisierung. Allerdings sagte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer in einem Fernsehinterview einige Stunden vor dem Scheitern mit Blick auf das Verhandlungspapier: „Die FDP ​würde Ja sagen.“ Es ging für die Liberalen also nicht nur darum, dass die Inhalte nicht gepasst haben.

2. Kompromisse ständig in Frage gestellt

Manuel Höferlin traute seinen Augen nicht, sagt er, als er das aktuelle Papier der Verhandlungsgruppe zum Haushalt sah. Eine Kernforderung der FDP, Unternehmensanteile an der Telekom zu verkaufen, um den Glasfaserausbau zu finanzieren, wurde erst beschlossen und später einfach wieder gestrichen. Dabei sind Grüne und FDP dafür gewesen. „So ging das ständig. Wir waren uns einig und am nächsten Tag wurde ein Kompromiss wieder in Frage gestellt“, sagt der Digitalexperte der Liberalen, der dabei war, als die FDP beschloss, sich aus den Sondierungen zurückzuziehen. So sei es beim Thema Breitbandausbau passiert, ebenso in der Bildungspolitik.

Der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und sein Amtskollege Winfried Kretschmann (Grüne) aus Baden-Württemberg hatten sich dagegen verwahrt, dass der Bund finanziell und inhaltlich Einfluss auf die Bildungspolitik der Länder nehmen darf. „Wir wissen, dass es nicht ohne Kompromisse geht und waren dazu bereit“, sagt Höferlin. „Aber wir haben uns das Papier angeschaut und letztlich festgestellt, dass wir keine unserer Kernforderungen wiederfinden konnten. Da ergab es keinen Sinn mehr weiter zu verhandeln.“

Das ständige Hin und Her ging auch den Verhandlern von Union und Grünen zunehmend auf die Nerven. „Auch wir Grünen haben sicher mehr als ein Dutzend Mal an Abbruch gedacht“, sagte der Grünen-Politiker und schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck sagte dem Spiegel. Als die Verhandlungen scheiterten, standen in 237 Fällen noch eine Einigung aus.

3. Die Kanzlerin präferierte die Grünen, nicht die FDP

Die FDP fühlte sich in den Verhandlungen zunehmend gedemütigt. Dass es so weit kam, lastet Lindner der Kanzlerin ab. „Wir erwarten nicht von Frau Merkel, dass sie etwas für die FDP tut“, sagte Lindner in einem Interview mit der FAZ. „Aber wir haben ja so gut wie keine Unterstützung für unsere Kompromissvorschläge erhalten.“ Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann formuliert es noch direkter: Bei zu vielen Themen habe Merkel die Anliegen der FDP nicht ernstgenommen. „Sie hat sie ignoriert“, sagte  Strack-Zimmermann der Rheinischen Post. Merkel habe übersehen, dass es, wie beim Soli und in der Energiepolitik, Themen gibt, die für die FDP existenziell wichtig seien.

Christian Linder meint, dass es ohne die Grünen „zweifelsohne“ zu einer Regierungsbildung gekommen wäre. Doch in der FDP habe es die Wahrnehmung gegeben, „dass wir der Mehrheitsbeschaffer für ein im Kern schwarz-grünes Bündnis hätten werden sollen“. Das spiegelte sich auch im zwischenmenschlichen Umgang wieder. CDU-Kanzleramtschef Peter Altmaier sei mit allen Grünen per Du, heißt es aus dem Verhandler-Team der Liberalem. Die Vertreter von Union und FDP hätten sich hingegen erst im Verlauf der Sondierungen besser kennengelernt.

 

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