Jamaika-Verhandlungen Beratungstag endet ergebnislos

Das bisherige Abstimmungsverfahren der Jamaika-Koalitionsverhandlungen sorgt für Unzufriedenheit. In den "kleinen Runden" wären kaum Einigungen erwartbar. Zum Donnerstagabend gab es noch keine gemeinsamen Arbeitspapiere

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Wie geht Verbraucherschutz auf Jamaikanisch?
Millionen Supermarktkunden sind Millionen Wähler. Genau wie Millionen Mieter, Autofahrer und Bankkunden. Das wissen natürlich auch CDU, CSU, FDP und Grüne, die in ihren Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis am Mittwoch über Verbraucherschutz beraten wollen. Die Erwartungen an bessere Kundenrechte und mehr Schutz vor Mogeleien sind hoch. Vor allem bei Lebensmitteln und der generellen Ausrichtung der Landwirtschaft prallen aber Welten aufeinander. Die ländlichen Regionen sollen überhaupt stärker in den Fokus kommen. Quelle: dpa
Lebensmittel:Wie ist klarer zu erkennen, was in Lebensmitteln steckt? Die Grünen fordern etwa eine „Nährwertampel“ - also einen Aufdruck, der in rot, gelb oder grün den Gehalt an Fett, Salz und Zucker signalisiert. Für die Union ist die Idee schon seit Jahren ein rotes Tuch. Die Grünen wollen auch eine Kennzeichnung für Fleisch, die die Haltungsform der Tiere anzeigt - wie es bei Eiern bereits Pflicht ist. Die Union will ein freiwilliges „Tierwohl-Label“ für höhere Standards weiterverfolgen, das die große Koalition nicht mehr zustande brachte. Die FDP setzt auf Investitionsförderung für bessere Tierhaltung und warnt vor „zu ehrgeizigen Tierwohl-Zertifizierungen“. Quelle: dpa
Landwirtschaft:Die Zukunft der Landwirtschaft dürfte zur Kampfzone werden. Oder kann es gerade einer Jamaika-Konstellation gelingen, alte Gräben zu überwinden? Die Grünen wollen den Ökolandbau fördern und die „industrielle Massentierhaltung in den nächsten 20 Jahren beenden“. Die Union stellt schon mal Stoppschilder auf. „Wir wollen keinen Feldzug gegen unsere Landwirte“, donnert CSU-Chef Horst Seehofer. Heikel ist, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorpreschte und sich beim Bauerntag für das umstrittene Unkrautgift Glyphosat verbürgte, das für die Grünen ein Symbol falscher Agrarpolitik ist. Quelle: dpa
Ländliche Räume:Rund die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt auf dem Land. Und viele dünn besiedelte Regionen haben mit Abwanderung zu kämpfen. Deshalb soll für sie endlich zusätzliche Förderung her. Ganz oben auf der Liste steht schnelles Internet bis in die Dörfer. Das soll aber nicht alles sein, es geht auch um ärztliche Versorgung und Verkehrsanbindungen. Die Union will zudem Hochschulen und Behörden dezentral ansiedeln, die Grünen denken an „ländliche Zwergschulen“ mit Ganztagsbetreuung. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hat eine über vier Jahre verteilte „Land-Milliarde“ des Bundes vorgeschlagen. Quelle: dpa
Kundenrechte:Zum weiten Feld des Verbraucherschutzes gehören noch mehr, teils umstrittene Projekte. Die Grünen streben für Fälle mit Tausenden Betroffenen wie den VW-Skandal neue Klagerechte an. Damit sollen sich Verbraucher zu „Gruppenklagen“ zusammenschließen können. Die Grünen wollen auch Überziehungszinsen bei Girokonten gesetzlich begrenzen. Die Union will digitale Instrumente für Verbraucherschutz voranbringen - zum Beispiel mit digitalen Verträgen, die automatische Entschädigungszahlungen bei Zug- oder Flugverspätungen auslösen. Die FDP will betriebliche und private Altersvorsorge-Produkte attraktiver machen, etwa mit mehr Verbraucherfreundlichkeit und Vergleichbarkeit. Quelle: dpa
Mietpreisbremse:Explodierende Mieten sind längst nicht mehr nur ein Großstadtproblem. Auch in kleineren Unistädten ist das Wohnen für viele kaum noch bezahlbar. Dass die Mietpreisbremse, die die große Koalition auf Wunsch der SPD eingeführt hat, nicht gut funktioniert, belegen Studien. Sie soll in Ballungsräumen verhindern, dass Vermieter zu viel verlangen, aber es fehlt an Transparenz. Was wird aus dem Instrument: Abschaffen (will die FDP), nachschärfen (wollen die Grünen), oder irgendwie auslaufen lassen (deutet die CDU an)? Quelle: dpa
Wohnungsbau:Mehr Wohnungen müssen her, das ist immerhin Konsens. Aber wer soll sie bauen und für wen? Anreize könnten unter anderem über Steuernachlässe geschaffen werden, das überschneidet sich dann mit dem Bereich Finanzen und Haushalt. Sozialer Wohnungsbau ist eine weitere Baustelle. Die Grünen wollen „eine Million Wohnungen bauen und sozial binden“, Genossenschaften wiederbeleben und eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen. Die FDP fordert eine Zweckbindung der bestehenden Bundeszuschüsse für die Länder, damit diese mit dem Geld auch wirklich Wohnungen bauen. Ob diese Zuschüsse über 2019 hinaus überhaupt noch gezahlt werden sollen, ist auch offen. Quelle: dpa

CDU, CSU, FDP und Grüne haben ihre Sondierungen über letzte ausstehende Fachthemen am Donnerstagabend beendet, ohne schon gemeinsame Arbeitspapiere für die weiteren Beratungen vorzulegen. Beim kontroversen Thema Wirtschaft und Verkehr gab es weiterhin keine Einigung, wie es aus Teilnehmerkreisen hieß. Strittig seien unter anderem die Zukunft von Verbrennungsmotoren und die Pkw-Maut gewesen. Beraten wurde daneben unter anderem auch über die Außen- und Familienpolitik.

Kurz vor Abschluss des ersten Durchgangs der Jamaika-Sondierungen wächst unter den möglichen Koalitionspartnern die Unzufriedenheit mit dem Verfahren der Abstimmung zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen. Zwar wurde am Donnerstag ein gemeinsam beschlossenes Papier zu den Themen Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgestellt. Darin werden aber vor allem offene Punkte aufgelistet.

Künftig seien mehr kleine Chefrunden und parallel tagende Arbeitsgruppen von Fachleuten nötig, hieß es in Verhandlungskreisen. Eine erste solche Arbeitsgruppe wurde bereits beim Thema Klima und Energie vereinbart.

Hintergrund ist die Unzufriedenheit mit den sogenannten kleinen Runden, in denen immer noch mehr als 20 Personen sitzen. Am Freitag soll zudem die sogenannte große Runde über die Ergebnisse des ersten Durchgangs der Sondierungen über die zwölf Fachthemen informiert werden. Die Parteichefs und Chefunterhändler hatten sich aber bereits am Sonntag und Dienstag separat getroffen, um atmosphärische Spannungen zu beseitigen und Einigungsmöglichkeiten in kritischen Fragen wie Klima und Migration auszuloten. "Dies geht einfach nicht in einer Runde mit mehr als 20 Teilnehmern", sagte ein Sondierer am Donnerstag.

"Wir brauchen einen Neustart", hieß es bei der Union. Denn spätestens im am Montag beginnenden zweiten Durchgang der Sondierungen müssten konkrete Vereinbarungen getroffenen werden. Ziel war bisher, die Sondierungsgespräche bis Mitte November abzuschließen, damit anschließend die Gremien der Parteien über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschließen können. Bei den Grünen ist dafür ein Parteitag am 25. November geplant.

Am Donnerstag wurde zunächst ein Papier abgenickt, das den Sondierungsstand zum Thema Landwirtschaft zusammenfasst, das am Vortag kontrovers diskutiert worden war. In dem dreiseitigen Papier bekennen sich die vier Parteien zwar zum Ziel, die Landwirtschaft zu stärken und weniger Chemikalien einzusetzen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, und FDP-Generalsekretärin Nicola Beer lobten zwar die Fortschritte in den Debatten. In dem Papier werden aber vor allem die Differenzen und offenen Punkte betont.

Soli und Subventionen: Kernpunkte der Jamaika-Haushaltssondierungen

Bei der Vorstellung des Papiers gerieten zudem Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer aneinander. Dieser warf Kellner vor, nicht die Beschlüsse, sondern das Grünen-Parteiprogramm vorzutragen. Der Grünen-Politiker hatte zuvor angemerkt, seine Partei müsse die seit 2005 verfehlte Energiepolitik wieder auf Vordermann bringen und zudem gesagt: "Wir schützen die bäuerliche Landwirtschaft, die Bienen und nicht die Agroindustrie."

Bei den Sondierungen zu Landwirtschaft und Verkehr habe "ganz ordentlich gekracht", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die Grünen hatten sich zudem empört über Angriffe von FDP-Chef Christian Lindner geäußert. "Mit populistischen Plattitüden lassen sich Sondierungen allerdings nicht ernsthaft führen", sagte Grünen-Chefin Simone Peter der "Berliner Zeitung".

Bei der fünften inhaltliche Sondierungsrunde wurden am Donnerstag die Themen Außenpolitik, Verteidigung, Entwicklung, Handel sowie Familienpolitik diskutiert. FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff pochte auf mehr Freihandelsabkommen. "90 Prozent des globalen Nachfragewachstums in den nächsten 20 Jahren werden außerhalb Europas entstehen", sagte der FDP-Unterhändler. "Deswegen befürworten wir den Abschluss weiterer Freihandelsabkommen mit wichtigen Partnern wie Japan, Australien und die Ratifizierung selbstverständlich des Abkommens mit Kanada", sagte er. Die Grünen wollen dagegen ökologische und soziale Leitplanken in Handelsabkommen.

Erdogan, Russland und Flüchtlingskrise - Außenpolitik im Visier

In der Außen- und Verteidigungspolitik ist zum einen umstritten, ob Deutschland mehr Geld für Rüstung ausgeben soll. Lambsdorff forderte einen umfassenden Ansatz, bei dem bis 2024 die Ausgaben für Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie erhöht werden sollten. Grünen-Chef Cem Özdemir warnte, in der Verteidigungspolitik funktioniere das Motto "viel hilft viel" nicht.

Umstritten ist auch der Umgang mit Staaten wie Russland oder der Türkei. Özdemir bestand auf die Fortführung der EU-Sanktionen gegen Russland, die die FDP skeptisch sieht. Bereits in der Sondierung zu Europa hatte sich ein Dissens beim Thema Türkei gezeigt: Vor allem CSU-Landesgruppenchef Dobrindt plädierte für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Özdemir lehnte dies erneut ab.

In der Familienpolitik dringt die CSU auf die erneute Anhebung der Mütterrente. Dobrindt und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer bezeichneten dies als "letzte Ungerechtigkeit" im Rentensystem. Die anderen drei Parteien lehnen dies ab, weil die erneute Aufstockung der Rentenansprüche für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, mehrere Milliarden Euro pro Jahr kosten würde. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte, dass eine Jamaika-Koalition in der Familienpolitik vor allem Hilfen für Kinder in Armut und Alleinerziehende in den Mittelpunkt stellen sollte.

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