CDU, CSU, FDP und Grüne haben ihre Sondierungen über letzte ausstehende Fachthemen am Donnerstagabend beendet, ohne schon gemeinsame Arbeitspapiere für die weiteren Beratungen vorzulegen. Beim kontroversen Thema Wirtschaft und Verkehr gab es weiterhin keine Einigung, wie es aus Teilnehmerkreisen hieß. Strittig seien unter anderem die Zukunft von Verbrennungsmotoren und die Pkw-Maut gewesen. Beraten wurde daneben unter anderem auch über die Außen- und Familienpolitik.
Kurz vor Abschluss des ersten Durchgangs der Jamaika-Sondierungen wächst unter den möglichen Koalitionspartnern die Unzufriedenheit mit dem Verfahren der Abstimmung zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen. Zwar wurde am Donnerstag ein gemeinsam beschlossenes Papier zu den Themen Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgestellt. Darin werden aber vor allem offene Punkte aufgelistet.
Künftig seien mehr kleine Chefrunden und parallel tagende Arbeitsgruppen von Fachleuten nötig, hieß es in Verhandlungskreisen. Eine erste solche Arbeitsgruppe wurde bereits beim Thema Klima und Energie vereinbart.
Hintergrund ist die Unzufriedenheit mit den sogenannten kleinen Runden, in denen immer noch mehr als 20 Personen sitzen. Am Freitag soll zudem die sogenannte große Runde über die Ergebnisse des ersten Durchgangs der Sondierungen über die zwölf Fachthemen informiert werden. Die Parteichefs und Chefunterhändler hatten sich aber bereits am Sonntag und Dienstag separat getroffen, um atmosphärische Spannungen zu beseitigen und Einigungsmöglichkeiten in kritischen Fragen wie Klima und Migration auszuloten. "Dies geht einfach nicht in einer Runde mit mehr als 20 Teilnehmern", sagte ein Sondierer am Donnerstag.
"Wir brauchen einen Neustart", hieß es bei der Union. Denn spätestens im am Montag beginnenden zweiten Durchgang der Sondierungen müssten konkrete Vereinbarungen getroffenen werden. Ziel war bisher, die Sondierungsgespräche bis Mitte November abzuschließen, damit anschließend die Gremien der Parteien über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschließen können. Bei den Grünen ist dafür ein Parteitag am 25. November geplant.
Am Donnerstag wurde zunächst ein Papier abgenickt, das den Sondierungsstand zum Thema Landwirtschaft zusammenfasst, das am Vortag kontrovers diskutiert worden war. In dem dreiseitigen Papier bekennen sich die vier Parteien zwar zum Ziel, die Landwirtschaft zu stärken und weniger Chemikalien einzusetzen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, und FDP-Generalsekretärin Nicola Beer lobten zwar die Fortschritte in den Debatten. In dem Papier werden aber vor allem die Differenzen und offenen Punkte betont.
Soli und Subventionen: Kernpunkte der Jamaika-Haushaltssondierungen
Die Jamaika-Unterhändler bekennen sich grundsätzlich zum ausgeglichenen Haushalt. Sie wollen also keine neuen Schulden aufnehmen. Das wäre ohnehin schwierig, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dem Bund seit 2016 die Aufnahme von Krediten weitgehend verwehrt. Nur in geringem Umfang von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung sind neue Schulden erlaubt. Bezogen auf das Bruttoninlandsprodukt 2016 entsprach das etwa 10,97 Milliarden Euro. Für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ ist ausnahmsweise auch eine höhere Schuldenaufnahme erlaubt, für die aber ein Tilgungsplan erstellt werden muss.
Die potenziellen Koalitionäre wollen keine neuen Substanzsteuern, schließen also die im Grünen-Wahlprogramm geforderte Vermögenssteuer aus. Für Union und FDP ist sie ein rotes Tuch. Auch eine Erhöhung der Erbschaftsteuer wäre wohl unwahrscheinlich. Andere Substanzsteuern wie etwa die Grundsteuer auf Grundstücke erhebt der Staat schon heute.
Hier sollen unter anderem Familien mit Kindern profitieren.
Die verhandelnden Parteien wollen den „Soli“ abbauen. Die FDP will ihn in der aktuellen Wahlperiode komplett abschaffen, und zwar möglichst schnell. Die Union will stufenweise vorgehen. Die Grünen halten das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne den Soli hingegen nicht für machbar. Die Abschaffung würde eine Lücke in den Staatshaushalt reißen: Der Solidaritätszuschlag spülte 2016 insgesamt 16,9 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Gebäude verursachen in Deutschland etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent des Ausstoßes des Treibhausgases CO2. Investitionen zum Beispiel in eine bessere Wärmedämmung oder in moderne Heizkessel könnten in Zukunft besser von der Steuer abgesetzt werden.
Hier wollen die möglichen Jamaika-Partner den Mangel an Mietwohnungen angehen. Investoren könnten dann etwa ihre Kosten teilweise steuerlich absetzen. Auch landwirtschaftliche Flächen sollen dazu für den Wohnungsbau freigegeben werden.
Vor allem Unternehmen sollen die Anschaffungskosten für bewegliche Wirtschaftsgüter wie Maschinen oder Fahrzeuge stärker von der Steuer absetzen können. „Degressiv“ bedeutet, dass Güter mit längerer Nutzungsdauer in immer geringerem Umfang abgesetzt werden können. AfA steht für „Absetzung für Abnutzungen“.
Firmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, sollen ihre Aufwendungen zum Teil steuerlich absetzen können.
Auf Betreiben der Grünen sollen vor allem staatliche Hilfen auf den Prüfstand, die den Klimazielen widersprechen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nannte als mögliches Beispiel aber auch die Förderung von Elektroautos, weil davon vor allem Besserverdiener profitieren würden.
Bei der Vorstellung des Papiers gerieten zudem Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer aneinander. Dieser warf Kellner vor, nicht die Beschlüsse, sondern das Grünen-Parteiprogramm vorzutragen. Der Grünen-Politiker hatte zuvor angemerkt, seine Partei müsse die seit 2005 verfehlte Energiepolitik wieder auf Vordermann bringen und zudem gesagt: "Wir schützen die bäuerliche Landwirtschaft, die Bienen und nicht die Agroindustrie."
Bei den Sondierungen zu Landwirtschaft und Verkehr habe "ganz ordentlich gekracht", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die Grünen hatten sich zudem empört über Angriffe von FDP-Chef Christian Lindner geäußert. "Mit populistischen Plattitüden lassen sich Sondierungen allerdings nicht ernsthaft führen", sagte Grünen-Chefin Simone Peter der "Berliner Zeitung".
Bei der fünften inhaltliche Sondierungsrunde wurden am Donnerstag die Themen Außenpolitik, Verteidigung, Entwicklung, Handel sowie Familienpolitik diskutiert. FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff pochte auf mehr Freihandelsabkommen. "90 Prozent des globalen Nachfragewachstums in den nächsten 20 Jahren werden außerhalb Europas entstehen", sagte der FDP-Unterhändler. "Deswegen befürworten wir den Abschluss weiterer Freihandelsabkommen mit wichtigen Partnern wie Japan, Australien und die Ratifizierung selbstverständlich des Abkommens mit Kanada", sagte er. Die Grünen wollen dagegen ökologische und soziale Leitplanken in Handelsabkommen.
Erdogan, Russland und Flüchtlingskrise - Außenpolitik im Visier
In der Außen- und Verteidigungspolitik ist zum einen umstritten, ob Deutschland mehr Geld für Rüstung ausgeben soll. Lambsdorff forderte einen umfassenden Ansatz, bei dem bis 2024 die Ausgaben für Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie erhöht werden sollten. Grünen-Chef Cem Özdemir warnte, in der Verteidigungspolitik funktioniere das Motto "viel hilft viel" nicht.
Umstritten ist auch der Umgang mit Staaten wie Russland oder der Türkei. Özdemir bestand auf die Fortführung der EU-Sanktionen gegen Russland, die die FDP skeptisch sieht. Bereits in der Sondierung zu Europa hatte sich ein Dissens beim Thema Türkei gezeigt: Vor allem CSU-Landesgruppenchef Dobrindt plädierte für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Özdemir lehnte dies erneut ab.
In der Familienpolitik dringt die CSU auf die erneute Anhebung der Mütterrente. Dobrindt und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer bezeichneten dies als "letzte Ungerechtigkeit" im Rentensystem. Die anderen drei Parteien lehnen dies ab, weil die erneute Aufstockung der Rentenansprüche für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, mehrere Milliarden Euro pro Jahr kosten würde. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte, dass eine Jamaika-Koalition in der Familienpolitik vor allem Hilfen für Kinder in Armut und Alleinerziehende in den Mittelpunkt stellen sollte.