Jens Spahn Kanzlerkandidat für einen Tag

Jens Spahn gilt als Hoffnungsträger der CDU. Käme er auch als möglicher Kandidat für die Kanzlerschaft infrage? Eine angesehene britische Zeitung sieht ihn schon als Merkel-Nachfolger. Wie Parteifreunde reagieren.

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Jens Spahn, CDU-Präsidiumsmitglied und Finanzstaatssekretär: Von der britischen Zeitung „The Guardian“ zum „Kanzler im Wartestand“ gekürt. Quelle: dpa

Berlin Dass sich das Ausland bei wichtigen innerdeutschen Debatten zu Wort meldet, ist wohl eher selten der Fall. Umso bemerkenswerter ist es, dass die angesehene britische Tageszeitung „The Guardian“ das Thema Kanzlerkandidatur aufgreift – und ihrem Artikel einen sehr eigenwilligen Dreh verpasst.  Da für das Blatt nicht ausgemacht ist, ob Angela Merkel noch einmal ihren Hut in den Ring werfen wird, präsentiert der „Guardian“ kurzerhand eine Alternative.

„Jens Spahn: der Mann, der Merkel als Kanzler ersetzen könnte“ – ist die Geschichte betitelt. Der Autor erklärt sodann, warum er dem 36-Jährigen Christdemokraten und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium durchaus Chancen in der K-Frage einräumt. Es ist vor allem die Gunst der Stunde, die eine Kanzlerkandidatur Spahns befördern könnte. Just also eine Zeit, in der nicht mehr viel rund läuft für die amtierende Kanzlerin. Und in der Spahn als Widerpart Merkels gilt - vor allem in der Flüchtlingsfrage.

Spahn selbst wollte sich zu dem Artikel nicht äußern. Bei jüngeren CDUlern war zu hören, dass es zwar schmeichelhaft sei, als kanzlerfähig zu gelten. Für die 2017 anstehende Bundestagswahl sei das aber überhaupt kein Thema und deshalb „nicht ernst zu nehmen“. Die allgemeine Erwartung in der Partei ist ohnehin, dass Merkel erneut die Kanzlerkandidatur anstreben wird.

„Angela Merkel wird wieder antreten als Parteivorsitzende am Bundesparteitag und sie wird dann selbst entscheiden, wann sie verkünden wird, dass sie als Kanzlerkandidatin zur Verfügung steht“, erklärte CDU-Vize Julia Klöckner. Sie selbst könne sich jedenfalls als Kanzlerkandidatin „keinen anderen vorstellen als Angela Merkel“, ergänzte die rheinland-pfälzische CDU-Chefin. „Aber überlassen Sie es doch auch ihr, wann sie selbst entscheidet, das dann auch zu verkünden.“

Allerdings: Immer wenn es darum geht, wer in der CDU das Zeug dazu hätte, eines Tages Kanzler zu werden, fällt aus der jüngeren Generation fast immer der Name Jens Spahn – bei den Vertretern der jüngeren Generation für die fernere Zukunft. Für ihn spricht aus der Sicht vieler CDUler, dass er – obgleich offen schwul – konservativere Positionen vertritt als die Kanzlerin.

Auf viel Beachtung dürften in dieser Hinsicht wohl seine Aussagen zur gegenwärtigen Flüchtlings- und Sicherheitsdebatte gestoßen sein. Vor allem, dass Spahn kein Blatt vor den Mund nimmt und die Dinge aufgreift, die auch einen großen Teil der Bevölkerung umtreiben. Unverblümt forderte er kürzlich ein Burka-Verbot und nannte dies ein überfälliges „Signal in die Welt“. „Ich will in diesem Land keiner Burka begegnen müssen“, hatte Spahn der „Welt“ gesagt. Und er wandte sich klar gegen eine schleichende Anpassung der Deutschen an neue Mitbürger. In seinem Fitnessstudio sei inzwischen das Duschen in Badehose ausdrücklich erlaubt, bei Ikea sei er schon Frauen in Vollverschleierung begegnet. „Das ist eine gesellschaftliche Veränderung, die ich nicht will.“

Auch gegenüber integrationsunwilligen Flüchtlingen machte Spahn eine klare Ansage. „Jedem, der sich auf den Weg nach Deutschland macht, muss klar sein, dass sein Leben hier ganz anders aussehen wird als in der Heimat.“ Wer seine Tochter nicht zur Schule gehen lasse, müsse künftig erleben, wie das Mädchen von staatlichen Stellen dorthin gebracht werde.


Rückendeckung von Unions-Konservativen

Spahns provokantes Auftreten in der Flüchtlingsdebatte kommt nicht von ungefähr. Er will sich damit auch innerparteilich positionieren. Er belässt es deshalb auch nicht nur bei Äußerungen in Interviews oder Pressekonferenzen. Seine zugespitzten Thesen verbreitet er auch gerne über den Kurznachrichtendienst Twitter. Bei fast 17.000 Followern ereicht er schon eine staatliche Zahl an User, mit denen er sich auch hin und wieder so manchen Meinungsstreit liefert. Das macht den brillanten Rhetoriker auch interessant für Polit-Talkshows, wo er regelmäßig Gast ist.

Und auch publizistisch macht Spahn von sich reden. Im vergangenen  Jahr rief er 21 Autoren zusammen und ließ sie zum Thema Flüchtlingskrise schreiben. „Ins Offene. Deutschland, Europa und die Flüchtlinge. Die Debatte“, heißt das Buch etwas rätselhaft. Darin findet sich nicht viel Neues. Interessant ist jedoch, wer was sagt.

Unter der Autorenschaft sind etwa Leute wie der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, dem schon öfter von seiner eigenen Partei vorgeworfen wurde, AfD-nahe Positionen zu vertreten. Und auch Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) ist dabei. Erwartungsgemäß bekräftigt er in dem Buch die zentrale Aussage der CSU: „Die ungebremste Zuwanderung mit Familiennachzug wird über viele Jahre unsere Sozialsysteme massiv herausfordern. Allein aus diesem Grund ist Politik verpflichtet, die Zuwanderung zu begrenzen und alle abgelehnten Asylbewerber tatsächlich abzuschieben.“

Spahn musste nach Erscheinen des Werks parteiintern einiges an Kritik einstecken. Unions-Fraktionschef Volker Kauder und die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer ärgerten sich über Spahns Diagnose, in Deutschland gebe es ein Staatsversagen. Und Julia Klöckner, die selbst einen Text für das Buch verfasste, empfahl den Parteifreunden ganz allgemein, sie sollten „einfach mal die Klappe halten“.

Spahn lässt sich von solchen Ermahnungen wenig beeindrucken, zumal er viele Konservative in der Union auf seiner Seite weiß. Selbst Julia Klöckner, mit der er gemeinsam schon im Dezember 2014 einen Antrag auf ein Burka-Verbot unterstützte.

Spahn, der inzwischen 13 Jahre dem Bundestag angehört, meldet sich immer wieder zu zentralen politischen Fragen zu Wort. Als Forum nutzt er hierfür die Gruppe „CDU2017“, die er im Jahr 2013 mit ins Leben gerufen hat. Ziel sei es, künftig Mehrheiten ohne die SPD erringen zu können, heißt es in dem Manifest der Gruppe. Dieses trägt den Namen „Heute die richtigen Entscheidungen für 2017“ und kann auf der eigens dafür eingerichteten Webseite CDU2017.de eingesehen werden.


Wer wirklich als „Kanzler im Wartestand“ gilt

In den Verlautbarungen geht es weniger um Koalitionsoptionen, als um politische Inhalte. Vor allem um solche, die die junge Generation betreffen und belasten, etwa in der Rentenpolitik. Spahn geht dafür auch auf Konfrontation zur Regierung. Die kostspieligen Projekte der Mütterrente und Rente ab 63 Jahren hält er für falsch, weil sie die nächsten Generationen massiv belaste.

Gleichwohl machte Spahn auch keinen Hehl daraus, was ihm an möglichen Koalitionsoptionen vorschwebt. „Alles ist besser als eine erneute große Koalition“, sagte Spahn kürzlich der „Mitteldeutschen Zeitung“. Deshalb müsse Schwarz-Grün nach der nächsten Wahl eine „mögliche Option“ für die CDU sein. In diese Richtung könnte auch Merkel streben. Immerhin traf sie sich kürzlich im Kanzleramt zum Abendessen mit dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der in Baden-Württemberg mit der Union als Juniorpartner regiert.

Das deutet darauf hin, dass Merkel jetzt bereits ihre Möglichkeiten sondiert, wie es gelingen kann, mit einem anderen Partner als der SPD weiter zu regieren. Nach einer Absage an die Kanzlerkandidatur sieht das jedenfalls nicht aus.

Nichtsdestotrotz hat sich Spahns Position verbessert, seit Julia Klöckner nach ihrer Wahlschlappe als Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz in den K-Debatten seltener genannt wird. Geht es aber um das Jahr 2017, fallen als mögliche Alternativen zu Merkel nach wie vor die Namen Ursula von der Leyen und - seit der Flüchtlingskrise etwas seltener - Thomas de Maizière.  Um als „Kanzler im Wartestand“ zu gelten, wie der „Guardian“ Spahn  sieht, ist es damit für den Jungpolitiker wohl noch zu früh.

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