Joachim Gauck Ein Rhetoriker in Redenot

Ein Jahr ist Bundespräsident Joachim Gauck nun im Amt. Größere Skandale hat er umschifft - doch Kritiker vermissen eine große Reden ehemaligen Pastors. Bei seiner Weihnachtsansprache hat Gauck Gelegenheit dazu.

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Bundespräsident Joachim Gauck genießt in Umfragen Zustimmungswerte, die noch über denen der populären Kanzlerin liegen. Quelle: dpa

Gerade ist Joachim Gauck aus Afghanistan zurückgekehrt, und die Reise an den Hindukusch hat ihm noch ein paar Stichworte gegeben für die erste Weihnachtsansprache als Bundespräsident. Bis zuletzt wurde an dem Text gearbeitet, heißt es aus dem Präsidialamt. Da wird wohl auch der Wunsch eines Soldaten Berücksichtigung finden: Gauck möge die Deutschen auffordern, ihre Leute in Afghanistan nicht zu vergessen, bat der Mann. Er war gerührt.

Gauck gilt als brillanter Redner, ließ sich vor seiner Wahl zum Staatsoberhaupt als Vortragsreisender gut bezahlen. Die Weihnachtsansprache ist deshalb eine besondere Herausforderung für ihn. Eine christliche Botschaft wird erwartet. Das Schicksal der Flüchtlinge und Asylbewerber zum Beispiel ist so ein Thema, mit dem zu rechnen ist.

Gut neun Monate ist Gauck nun im Amt, erstaunlich finden es manche, dass es die eine große Rede noch nicht gegeben hat. Wichtige Texte gab es schon, etwa im holländischen Breda oder in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem, der Dank an die „Mut-Bürger in Uniform“ oder die Forderung nach mehr Regelung der Finanzmärkte vor wenigen Wochen in Berlin. Doch Kritiker vermissen die große Europarede, einen roten Faden in dieser Präsidentschaft.

Überhaupt melden sich, nach tiefer und langanhaltender Erleichterung über das Ende der Amtszeit von Gaucks Vorgänger Christian Wulff, auch kritische Stimmen zu Wort. Öffentlich wurden sie nur aus der FDP, die ja mit ihrer Entscheidung für Gauck Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unter Druck gesetzt und ihm ins Amt geholfen hat.

Seit dem Sommer wird aus dieser Ecke Kritik an Gaucks Personalentscheidungen laut. Staatssekretär David Gill ein SPD-Mann, der erste Sprecher Andreas Schulze ein Grüner, und auch die neue Chefin der Presseabteilung Ferdos Forudastan eine Linksliberale, weder katholisch noch konservativ. Gauck weist den Vorwurf parteipolitischer Präferenzen zurück: Gill etwa sei nicht Staatssekretär geworden, weil er in der SPD ist, sondern weil er seit vielen Jahren sein wichtigster und engster Mitarbeiter ist.

Die allermeisten Wähler ficht das alles nicht an, Gauck genießt in Umfragen Zustimmungswerte, die noch über denen der populären Kanzlerin liegen. Die Bürger nehmen auch einzelne Fehler nicht übel, die Gauck unterlaufen sind, die ihm aber selbst durchaus zu schaffen machen. In Brüssel erweckte er den Eindruck, der Entscheidung des Verfassungsgerichts über den Euro-Rettungsschirm vorgreifen zu wollen. In Israel hinterfragte er Merkels Bemerkung, die Existenz Israels sei deutsche Staatsräson.

Distanz zur Kanzlerin? Reflexartig werden alle Äußerungen Gaucks auf diesen Verdacht abgeklopft. Seitdem betont Gauck immer wieder und mehr als notwendig, wie einig er sich mit Merkel sei. Er will der Kanzlerin, die ihn nicht im Amt sehen wollte, keinen Grund geben, sich über ihn zu ärgern. Vor allem will er kein „Politik-Bashing“ betreiben, also von oben herab den Berliner Politik-Betrieb kritisieren. Gauck hat zwar nicht die klassische politische Sozialisation durchlaufen. Als Mitglied der politischen Klasse versteht er sich aber sehr wohl.

Der Pastor und Theologe ist dabei nicht verschwunden. Manchen kommt er zu huldvoll und pathetisch daher, immer wieder Freiheit und Verantwortung, große Worte statt konkreter Fakten. Gauck begründet das auch damit, dass er eben kein Regierungsmitglied ist, kein Nebenkanzler und kein Nebenaußenminister sein will, also auf einer anderen Ebene Politik macht.

„Ich habe dieses Amt nicht angestrebt“, sagt er einmal, aber dass es zu ihm passt, daran zweifelt er nicht. Von den hohen Erwartungen will er sich nicht unter Druck setzen lassen. Und die Europarede wird kommen, dafür ist ihm das Thema viel zu wichtig.

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