Joe Kaeser bei der CSU Soziale Marktwirtschaft 2.0 im Zeitalter der Industrie 4.0

Joe Kaeser bekennt sich auf der CSU-Klausurtagung in Seeon zum Standort Bayern. Der Siemens-Chef warnt aber auch vor einer Welt in Unordnung: wegen der globalen Migration und auch wegen des Klimawandels.

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Die CSU-Landesgruppenvorsitzende im Bundestag Gerda Hasselfeldt und Siemens-Chef Joe Kaeser. Quelle: dpa

Seeon Das Thermometer zeigt minus 14 Grad als Joe Kaeser aus seinem Dienstwagen steigt. Er hält sein Sakko in der Hand, wirft es sich über und schlüpft dann noch schnell in seinen Mantel. Am Weg zum Kloster Seeon wartet bereits Gerda Hasselfeldt, die Chefin der CSU-Landesgruppe. Gemeinsam wollen sie an diesem Freitag mit den Bundestagsabgeordneten der Partei reden. Kaeser wird ihnen erklären, wie sich die Welt im 21. Jahrhundert verändern wird.

„Über Fragen, die den Alltag betreffen“, würden sie heute reden, sagt die Gastgeberin Hasselfeldt. Das klingt harmlos, doch für Kaeser sind die Veränderungen im Alltag alles andere als gemütlich. Es geht um nichts weniger als die Frage, wie sich die Digitalisierung aller Lebensbereiche auf die Menschen und die Wirtschaft auswirkt. Siemens gehört zu den führenden Unternehmen, wenn es um die Vernetzung geht und profitiert massiv von ihr. Dennoch warnt Kaeser vor einer Welt in Unordung: wegen der globalen Migration und auch wegen des Klimawandels. Ob die Erderwärmung nun menschengemacht sei oder nicht: „Wir müssen ohne fossile Brennstoffe auskommen.“

Die Veränderungen würden „gravierende Auswirkungen haben“, warnt der Siemenschef. Und er fordert die Politik auf, Antworten zu geben. Die Digitalisierjung erreiche inzwischen die industrielle Welt und habe massiven Einfluss auf die Wertschöpfungsketten. Wer wird in Zukunft das Geld verdienen, fragt sich etwa die Automobilindustrie – werden es Hersteller wie BMW sein, oder am Ende doch Datenkonzerne wie Google? „Die schwächsten Glieder werden herausfallen“, sagt Kaeser in der internen Runde. Dazu zählt er den Handel.

Die Menschen hätten vor diesen Neuerungen Angst. Deshalb sei es von zentraler Bedeutung, „die Menschen mitzunehmen“, mahnt der Top-Manager der deutschen Industrie. Es sei entscheidend, ihnen die Sorgen zu nehmen. Den 59-Jährigen beschäftigt dabei vor allem die Altersvorsorge. Kürzlich hatte er für Aufsehen gesorgt, als ihm Sympathie für ein bedingungsloses Grundeinkommen zugeschrieben worden war. Später hatte er erklärt, er sei falsch zitiert worden und meine vielmehr, dass die Abgehängten versorgt sein müssten, nicht aber bedingungslos. An diesem sonnigen Tag in der Schneelandschaft des Chiemgaus erklärt der Niederbayer noch einmal, dass er nie ein solches Grundeinkommen gefordert habe. Wohl sagt er aber: „Wir brauchen Perspektiven für die Menschen im Alter.“ Die jetzige Altersvorsorge reiche nicht mehr aus.

Kaeser wirbt seit längerem etwa für eine stärkere Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmensvermögen, etwa in Form von Aktien wie er auch an diesem Tag wieder sagt. Dazu müsse es aber auch Änderungen in der Steuerpolitik geben. „Es kann nicht angehen, dass Menschen nach 40 Jahren beim Verkauf ihrer Aktien so besteuert werden, wie der Hochfrequenzhandel“, fordert er. „Bitte besteuern sie langfristige Anlagen anders“, sagt er den CSU-Abgeordneten. Die hören an dieser Stelle sehr genau zu, will die CSU doch selbst die private Altersvorsorge ausbauen. Schließlich reiche angesichts der demografischen Entwicklung die gesetzliche Rentenversicherung im Alter wohl nicht mehr aus. „Wir brauchen eine neue Art der Altersvorsorge“, sagt Kaeser.

Dem Manager geht es um den sozialen Frieden im Land. Dazu gehört für ihn auch, dass Unternehmen nicht nur nach kurzfristigem Gewinn streben, sondern langfristig und nachhaltig wirtschaften und so ihrer Verantwortung in der Gesellschaft nachkommen. Die „angelsächsische Kurzfristbewertung“ lehnt er ab.

Vor allem aber umtreibt ihn nach eigenem Bekunden das „postfaktische“ Informationszeitalter und den um sich greifenden Populismus. „Wie geht man damit um, dass man einfach lügen darf und Unwahrheiten ins Netz stellt?“, fragt er.

Die Abgeordneten fragen sich indes, ob Siemens bei all den Veränderungen ein verlässlicher Arbeitgeber in Bayern bleibt. Siemens beschäftigt mit rund 60.000 Mitarbeiten fast die Hälfte seiner deutschen Belegschaft in der süddeutschen Heimat. „Wer so viel in Immobilien investiert, der hat vor zu bleiben“, versucht er die Abgeordneten zu beruhigen. Und um weitere Kritik zu vermeiden, betont er gleich noch, dass Siemens mehr Stellen schafft als das Unternehmen abbaut. So kämen zu den derzeit 21.000 Software-Ingenieuren noch einmal 10.000 hinzu.

So wie die Abgeordneten auf Verlässlichkeit setzen, so mahnt sie auch Kaeser an. Als Beispiel nennt er den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Siemens hat 14 Werke auf der Insel, ein fünfzehntes Werk könnte hinzukommen. „Wir brauchen einen Fahrplan“, fordert er daher. 2017 müsse der Fahrplan stehen, versehen mit „Meilensteine“.

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