Juli Zeh "Es ist fatal, wenn Menschen sich von der Politik abwenden"

Das Dorf als Sehnsuchtsort für gestresste Großstädter? Die Schriftstellerin Juli Zeh über Hilfsbereitschaft auf dem Land, die Proteste in Sachsen und ihren neuen Roman „Unterleuten“.

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Buchautorin Juli Zeh in Berlin. Quelle: dpa Picture-Alliance

WirtschaftsWoche: Frau Zeh, in ihrem Roman „Unterleuten“ beschreiben Sie ein Dorf in der brandenburgischen Provinz, in dem ein Windkraftpark gebaut werden soll. Daraufhin regt sich Protest. Sie sind vor einigen Jahren selbst umgezogen, raus aus der Stadt, rein aufs Land. Wieso?
Juli Zeh: Das war Zufall. Ich wollte als Studentin mit meinem Mann nach Berlin ziehen, aber dann haben wir ein günstiges Haus im Umland gefunden. Wir wollten uns dort eigentlich nur eine „Wochenendexistenz“ aufbauen – ganz bürgerlich. Aber dann sind wir da irgendwie kleben geblieben.

War das ein Kulturschock?
Als ich aufs Land zog, hatte ich das Gefühl, eine völlig andere Welt zu betreten. Die Menschen hier  haben andere Werte, andere Ziele, einen anderen Alltag als die Menschen in der Stadt. Familiäres spielt zum Beispiel immer noch eine riesige Rolle. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, was für eine krasse Lücke in unserem Land klafft, zwischen den Menschen in den Städten und denen auf dem Land. Dieses Spannungspotenzial finde ich sehr inspirierend.

Zur Person

Was schätzen Sie heute am Landleben?
In einem Raum zu leben, in dem man mit den Menschen einen unmittelbaren Umgang hat. Sie interessieren sich nicht für meinen Beruf oder für Literatur. Es ist wie in einer WG: Man lebt auf engstem Raum zusammen, lässt sich aber irgendwie auch in Ruhe. Man ist befreundet, es gibt aber eine gewisse Distanz. Das gefällt mir.

Das greifen Sie auch in Ihrem Buch auf…
… als ich auf das Land gezogen bin, war mein Gefühl nicht, dass ich nur 80 bis 90 Kilometer aus der Stadt rausgezogen bin, sondern in eine völlig andere Welt. Die Kommunikationsgesellschaft mit ihren oft überdrehten Social-Media-Hypes hat zum Beispiel wenig Bedeutung. Auch nicht, das, was wir „Politik“ nennen. Die Menschen hier draußen erwarten wenig vom Staat, sie leben in ihrer eigenen Welt.

Ist das Dorf noch immer ein Sehnsuchtsort?
Für Städter schon. Und dieses Phänomen ist auch ein Grund dafür, warum ich den Roman „Unterleuten“ geschrieben habe. Als ich nach dem Abitur hinaus in die Welt getreten bin, wollte niemand auf das Land, sondern alle in die Stadt. Erst einige Jahre später ging es los, dass für einige Menschen die Stadt zu viel, zu groß, zu hektisch, zu laut wurde – und dann begann der Rückzug. Das ist ein Symptom für das Burnout-Gefühl unserer Zeit.

Aber auch auf dem Dorf gibt es manchmal Ärger.
Menschen sind immer dann sauer, wenn man ihnen Sachen ungefragt vor die Nase setzt, besonders von Leuten, die sich in der Region nicht auskennen. Das greife ich auch in meinem Roman „Unterleuten“ auf, als eine der Figuren sagt: „Solche Entscheidungen werden in der Stadt getroffen und auf dem Land umgesetzt.“ So ist es mit vielen Dingen.

Dadurch steigt der Frust…
Es ist der ungünstigste Fall, wenn Menschen Entscheidungen einfach schlucken: Sie protestieren nicht, aber innen drin staut sich eine immer größere Wut an - auf den Staat und die Gesellschaft.

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