Justiz Die fragwürdigen Nebenverdienste der Richter

Urteilsvermarktung, private Schiedsgerichte, Vortragshonorare, Rechtsgutachten: Wie deutsche Richter mit diskreten Privatgeschäften nebenbei Kasse machen.

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Richter Quelle: dpa

Ein wenig wortkarg sitzt der Star des Tages auf dem Podium, auf dem eigentlich eine Diskussionsrunde stattfinden soll. Dietmar Gosch wartet, bis er um eine Einschätzung gebeten wird. Spricht leise, weil ihm ohnehin jeder zuhört. Für die jährliche „Hamburger Tagung zur internationalen Besteuerung“ hat die Hamburger Handelskammer ihre prachtvollen Räume in der alten Börse zur Verfügung gestellt, der große Bankettsaal im Renaissancestil ist festlich geschmückt. Doch ihre Teilnahmegebühr haben die versammelten Anwälte, Unternehmensjuristen und Wissenschaftler vor allem für den Mann bezahlt, der sich so unaufdringlich gibt.

Trotzdem ist er für den Veranstalter jeden Euro Honorar wert. Dietmar Gosch ist Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof (BFH), und sein Wort ist quasi Gesetz. Wenn er und seine Kollegen Urteile fällen, werden diese im Vierteljahresrhythmus im Bundessteuerblatt veröffentlicht und damit für die Finanzämter verbindlich. In keinem anderen Rechtsgebiet haben Bundesrichter einen solch unmittelbaren Einfluss auf die Rechtssetzung wie im Steuerrecht. Diese Sonderstellung gibt Gosch und seinen Kollegen die Möglichkeit, auch persönlichen Profit daraus zu schlagen.

73 Prozent der Richter am BGH besserten 2012 ihr Gehalt auf

Bereitwillig treten sie auf exklusiven Tagungen auf. Seit Januar vergangenen Jahres hatte Gosch Zeit für mindestens 16 Vorträge und Diskussionsrunden bei Steuerberatern, Unternehmen und Netzwerkvereinen. Januar, Hotel Kulm, St. Moritz: Internationales Steuerseminar, Teilnehmerbeitrag 2450 Schweizer Franken, Redner: Dietmar Gosch. Im Vorjahr dort anzutreffen: BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff. September, Steuerrechtliches Seminar Westerland, Sylt, Restaurant Luzifer, Teilnehmerbeitrag 1419 Euro, Redner: Hermann-Ulrich Viskorf, BFH-Vizepräsident.

Die Finanzrichter stehen an der Spitze einer offenbar ziemlich selbstverständlichen Verquickung höchstrichterlicher und höchstpersönlicher Interessen. Im Jahr 2012 besserten nach Recherchen der WirtschaftsWoche 73 Prozent der Richter am Bundesgerichtshof (BGH) ihre Kasse mit Nebentätigkeiten auf, am Bundesverwaltungsgericht waren es 85 Prozent, am BFH 97 Prozent und am Bundesarbeitsgericht sowie am Bundessozialgericht jeweils 100 Prozent.

Sie haben Lehraufträge an Universitäten und schreiben wissenschaftliche Veröffentlichungen, sie halten aber auch bezahlte Vorträge in exklusiven Seminaren, vermarkten ihre Urteile oder entscheiden in privaten Schiedsgerichten mit. Auf die können sich beispielsweise Unternehmen bei einem Vertragsschluss verständigen, um im Falle von Streitigkeiten eine schnellere Entscheidung als bei den ordentlichen Gerichten zu haben. „Ich sehe die hohen Quoten mit größter Skepsis“, sagt der frühere FDP-Bundesinnenminister und Bürgerrechtsanwalt Gerhart Baum. „Es finden Grenzüberschreitungen statt, die zu hohen Nebeneinkünften führen.“

Auch wenn es wenig Vergleichszahlen gibt, in den vergangenen Jahren sind die Nebentätigkeiten kräftig gewachsen. Als 1996 der Fall eines besonders geschäftstüchtigen Richters vom Frankfurter Oberlandesgericht für Schlagzeilen sorgte, zählte die Justizministerkonferenz zum bisher letzten Mal nach: Insgesamt gingen damals nur 15 Prozent aller Bundesrichter bezahlten Nebentätigkeiten nach.

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