So hat jeder seinen eigenen Kodex, doch das Ergebnis lautet fast überall: Die Nebentätigkeiten werden mehr, und die Problematik zieht sich von den obersten Bundesgerichten durch die Instanzen nach unten. Im vergangenen Jahr sorgte der Fall einer auf Mietsachen spezialisierten Richterin am Landgericht Berlin für Aufruhr. Sie leitete beim „Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen“ ein Seminar. Mieteraktivisten demonstrierten gegen die Veranstaltung, im Berliner Senat folgte eine parlamentarische Anfrage zu den Nebentätigkeiten der Richter. Auch unter Richtern stoßen die Auswüchse mitunter auf Kritik: „Bezahlte Vorträge bei Unternehmen und Kanzleien halte ich grundsätzlich für problematisch“, sagt ein Richter an einem der großen Landgerichte, „wie soll ich denn unabhängig bleiben, wenn ich mit den gleichen Anwälten, die morgen bei mir im Gerichtssaal sitzen, heute für viel Geld ein paar nette Worte wechsele?“
Wie eine Anfrage der WirtschaftsWoche bei allen 24 Oberlandesgerichten (OLG) ergab, halten sich die meisten Richter in Sachen Nebentätigkeiten zurück. Etliche arbeiten, wenn überhaupt, nur als Kursleiter, Korrektor oder Prüfer im Rahmen der beiden Staatsexamen, die der juristische Nachwuchs ablegen muss. Für die aufwendige Ausbildungstätigkeit kassieren sie ein besseres Trinkgeld. „Wir sind froh, dass sich überhaupt Kollegen finden, die das machen“, sagt Stephan Haberland, Sprecher des OLG Bremen. „Ohne dieses Engagement wäre die Ausbildung gar nicht möglich.“ Pro Unterrichtsstunde gibt es je nach Bundesland zwischen 18 und 40 Euro, pro korrigierter Klausur 8 bis 16 Euro.
Thema ist in der Politik nur Nebensache
Doch es gibt auch OLG-Kollegen, die über solche Summen nur lachen können. Richtig Kasse machte ein Richter am OLG Hamm, er kassierte für ein einziges Schiedsgerichtsverfahren nebenbei 51 000 Euro. In Frankfurt am Main durfte sich der Top-Verdiener an einem Nebenverdienst von 34.350 Euro erfreuen, in Köln lag der Spitzen-Nebenerlös bei 27.500 Euro (Siehe Grafik).
Neben Vorträgen und Schiedsgerichtstätigkeiten sind Richter auch als Gutachter gefragt. Aktuell etwa im Ermittlungsverfahren gegen Deutsche-Bank-Top-Manager wegen des Verdachts auf Prozessbetrug bei der Kirch-Schadensersatzklage. Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen hat zwei Gutachten verfassen lassen, die ihn entlasten. Eines davon stammt von Eberhard Stilz, seines Zeichens Präsident des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg.
Für Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) jedoch ist das Thema Nebentätigkeiten offensichtlich Nebensache, eine Anfrage ließ er seinen Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange (SPD) beantworten. „Das differenzierte und sachgerechte Regelungswerk hat sich bewährt“, verkündete der. Denn: „Bei der überwiegenden Zahl der Nebentätigkeiten handelt es sich um schriftstellerische, wissenschaftliche oder Vortragstätigkeiten.“ Kein Wort dazu, dass gerade Letztere ein Quell von Interessenkonflikten sein können.
Finanzrichter Dietmar Gosch wird im nächsten Jahr 65 Jahre alt, dann endet seine Zeit als Bundesrichter, es beginnt der Ruhestand. Die Kontakte könnten dann erst richtig lukrativ werden, denn vielen Richtern winkt noch eine Karriere nach der Karriere. Zumindest, wenn Gosch sich an seinem Vorgänger orientiert: Franz Wassermeyer, bis 2005 Vorsitzender des Ersten Senats beim BFH, wechselte schon wenige Wochen nach Dienstende zur Großkanzlei Flick Gocke Schaumburg, wo er bis heute einer der Partner ist. Spezialisierung: Internationales Steuerrecht.