Justiz Wie Bußgelder gemeinnützige Organisationen finanzieren

Gemeinnützige Organisationen bedrängen Staatsanwälte und Richter, um bei der Bußgeld-Verteilung bedacht zu werden.

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Mannesmann-Prozess Quelle: AP Photo/Oliver Berg

Wenn der Düsseldorfer Staatsanwalt Johannes Mocken morgens den Briefkasten öffnet, schauen ihn viele Paare trauriger Kinderaugen an. Afrikanische, asiatische, arabische, deutsche – jeden Tag blicken sie von Spendenbriefen auf , als wollten sie sagen: Hilf mir, ich brauche das Geld am dringendsten. Sie sind die prospektgewordenen Botschafter einer Flut von gemeinnützigen Organisationen, die von den Geldauflagen der Staatsanwaltschaft profitieren wollen.

Denn Johannes Mocken und seine Kollegen in deutschen Staatsanwaltschaften und Gerichten können frei verfügen, ob das Geld in den Justizhaushalt wandert oder zum örtlichen Sportverein. 120 Millionen Euro wurden so 2008 verteilt. Und während die Summe der Bußgeldzuweisungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist, bleibt der Kreis der Spender übersichtlich – es handelt sich um einige Tausend Justizbeamte.

Staatsanwälte und Richter sind deshalb zu der am meisten umworbenen Spendergruppe geworden. „Es ist inzwischen fast unmöglich, neu in den Markt hineinzukommen“, sagt Wilhelm Heermann, Geschäftsführer der Fundraising-Agentur „ProFund“, die gemeinnützige Organisationen beim sogenannten Bußgeldmarketing berät. Nachdem das Düsseldorfer Landgericht 2006 bekannt gab, Teile der Bußgelder aus dem Verfahren um die Mannesmann-Übernahme an gemeinnützige Organisationen auszuzahlen, gingen in der Geschäftsstelle innerhalb von Tagen über 4000 Anfragen ein. Doch es ist kein Geheimnis, dass die Hauptgewinne bei den Staatsanwaltschaften zu holen sind; von dort kamen im vergangenen Jahr mehr als zwei Drittel der verteilten Geldauflagen. Auch regional variieren die Zuweisungen deutlich – so gaben Richter und Staatsanwälte 2008 in Nordrhein-Westfallen rund 50 Millionen Euro, in Niedersachsen waren es gerade einmal sechs Millionen.

Wertvolle Hilfe oder Gefahr von Korruption?

Staatsanwältin Margrit Quelle: dpa

Mocken hat einen ganz persönlichen Weg gefunden, um Bußgelder zu vergeben. Seine Frau betreut Asylbewerber und erzählte ihm oft von der wertvollen Arbeit der Diakonie. Der Gatte leitet deshalb Zuweisungen regelmäßig an das kirchliche Hilfswerk weiter: „Da bin ich sicher, dass die Zuweisungen zu einem guten Zweck eingesetzt werden.“

Aus Sicht gemeinnütziger Organisationen sind solche Förderer Gold wert. Andere sehen in der Vergabepraxis jedoch die Gefahr von Korruption. So schätzt der niedersächsische Landesrechnungshof die Berufsgruppe der Richter und Staatsanwälte als „besonders korruptionsgefährdet“ ein. Erst im vergangenen Jahr geriet die Bochumer Staatsanwältin Margit Lichtinghagen in Bedrängnis, nachdem sie Teile der stattlichen Strafsumme aus den spektakulären Liechtensteiner Steuerverfahren an die Hochschule Witten-Herdecke übermittelt hatte – wo auch ihre Tochter studierte. Der Rechnungshof bemängelt, dass trotz solcher Vorfälle „keine ausreichenden Präventionsmaßnahmen“ eingeleitet würden. Besonders durch Bußgeldmarketing seien die Richter „mitunter massiven Einflüssen“ ausgesetzt.

Nutzniesser der Gerechtigkeit

Die rechtliche Grundlage für die Vergabepraxis bilden das Strafgesetzbuch und das Jugendstrafrecht. Abhängig vom Vergehen kann der Richter das Verfahren gegen Auflagen einstellen oder der Staatsanwalt die Ermittlungen beenden. Die Staatsanwälte sind bei der Entscheidung über die Verteilung der Geldauflagen dann an die Weisungen ihrer Behördenleitung gebunden, die Richter entscheiden dagegen vollkommen unabhängig. Bei vielen Vergabeentscheidungen wird zumindest versucht, einen Bezug zur Tat herzustellen. Der Ehemann, der seine Frau geschlagen hat, wird dann etwa zu einer Zahlung an ein Frauenhaus verurteilt, wer mit Drogen im Straßenverkehr erwischt wird, überweist sein Bußgeld an die Verkehrswacht. „Damit versuchen wir, einen erzieherischen Effekt zu erreichen“, erklärt Monika Rudolph, Richterin am Amtsgericht Stuttgart.

Mit ihren Entscheidungen üben die Justizbeamten großen Einfluss aus. So konnte die Tierschutzstiftung WWF im vergangenen Jahr gut 800.000 Euro an Bußgeldzuweisungen verbuchen, beim Konkurrenten Greenpeace waren es nur knapp 160.000 Euro. Da liegt die Vermutung nahe, die eher konservative Richterschaft könne sich mit den Zielen und Methoden des WWF eher identifizieren als mit einer Organisation, die Ölbohrtürme mit Schlauchboten attackiert.

Hamburger Vergabekommission bietet Rechtssicherheit

Einen möglichen Umgang mit der problematischen Rechtssituation zeigt ein Konzept aus Hamburg. Dort werden die Gelder über einen Bußgeldfonds verteilt. Den verwaltet eine sechsköpfige Kommission, die die Verteilung der Bußgelder koordiniert und überwacht. So wurde 2008 etwa die Hälfte der rund 2,5 Millionen Euro zentral ausgeschüttet.

Doch solange solche Fonds nicht zur Regel werden, wird sich persönliches Bußgeldmarketing weiter lohnen. Und genauso lange wird zum Beispiel für die Unterstützung der deutschen Krebshilfe die Frage entscheidend sein, wie viele Amtsrichterehefrauen an Krebs leiden – und nicht die Frage, wie aussichtsreich die Erkenntnisse der jüngeren Grundlagenforschung sind.

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