Nur ein Posten im neuen Kabinett ist sicher: Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Alle übrigen Regierungsämter sind Verhandlungssache zwischen den künftigen Koalitionspartnern. Das gilt sowohl für die Verteilung der Ministerien auf die drei beteiligten Parteien wie für das Personal. Beim letzten Mal beispielsweise hatte Wolfgang Schäuble schnell und geräuschlos mit der FDP-Linksliberalen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Bereich Innen- und Rechtspolitik abschließend verhandelt. Als es dann zur Regierungsbildung kam, fand er sich nicht in einem dieser Häuser wieder, sondern als Chef im Bundesfinanzministerium.
Dennoch gibt es Hinweise und Plausibilitäten, aus denen sich eine Kabinettsliste der dritten großen Koalition aufstellen lässt.
Nachdem die Vorsitzende der größten Regierungspartei gesetzt ist, richten sich die Blicke auf den Parteichef der Sozialdemokraten. Sigmar Gabriel könnte sein Vizekanzleramt im Arbeitsministerium einrichten. Das Sozialressort eignet sich dafür am ehesten: Es verfügt über einen großen Apparat, verwaltet den größten Etat, mit dem man also typisch sozialdemokratische Politik machen und vor allem auch demonstrieren kann. Und es repräsentiert einen Kernbereich der Partei. Auch im vorigen Elefantenbündnis hatte Franz Müntefering im Arbeitsministerium die SPD-Regierungszentrale eingerichtet.
Ob ein Regierungsamt für Gabriel wirklich eine kluge Lösung ist, ist eine andere Frage. Denn als Parteichef müsste er die kommenden vier Jahre nutzen, um seinen Verein zur Linkspartei hin zu öffnen, damit nicht auch 2017 wieder die große Koalition die einzige Regierungsoption ist. Da geht aber schlecht, wenn der Vorsitzende in die Kabinettsdisziplin eingebunden ist.
Fakten zum neuen Bundestag
Der jüngste Abgeordnete ist Mahmut Özdemir vor der SPD. Er ist 26 Jahre alt. Emmi Zeulner von der CSU ist die jüngste weibliche Abgeordnete. Auch sie ist 1987 geboren.
Im neuen Bundestag wird es 402 Männer und 229 Frauen geben. Damit ist der Frauenanteil etwas höher als vor vier Jahren. 2009 waren es 418 Männer und 204 Frauen.
Der älteste Abgeordnete ist Heinz Riesenhuber von der CDU. Er ist am 1. Dezember 1935 geboren und wird als Alterspräsident die konstituierende Sitzung leiten.
Wenig repräsentiert sind dagegen technischen Berufe, nur 20 Abgeordnete sind Ingenieure oder Mathematiker. Aus dem Bereich der Land-, Tier- und Forstwirtschaft sowie dem Gartenbau stammen 11 Abgeordnete. Im Bundestag sitzen außerdem zwei Bergleute.
343 der 631 Abgeordneten zählen zu der Berufsgruppe der Dienstleister. Mit 54 Abgeordneten sind auch Berufe im Rechts- und Vollstreckungswesen - etwa Richter oder Notare - stark vertreten.
Die größte Macht hätte Gabriel in einer Doppelrolle als Partei- und Fraktionsvorsitzender. Ein Blick in die Karrieren anderer Parteichefs könnte ihm bei der Entscheidung helfen: Oskar Lafontaine wurde als Vorsitzender im Kabinettsrang des Finanzministers vom Kanzler Gerhard Schröder kaltgestellt und entmachtet. Und Guido Westerwelle verlor den Zugriff auf die eigene Truppe, als er aus Eitelkeit und Fehleinschätzung das Außenministerium übernahm, statt die Interessen der Liberalen von der Fraktionsführung aus gegenüber der CDU-Kollegin Angela Merkel durchzusetzen. Das Etikett des Vizekanzlers ersetzt nicht die Machtbasis.
Sollte sich Gabriel gegen das Ressort entscheiden, käme dafür die Generalsekretärin Andrea Nahles in Frage. Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz hatte das Ressort schon einmal inne und hat vermutlich wenig Neigung sein schönes Amt an der Elbe gegen den Frontdienst an der Spree einzutauschen. Allenfalls, wenn er damit auch mit dem Titel Vizekanzler belohnt würde.
Die Stelle als oberster Kassenwart der Republik
Scholz ist allerdings in den Verhandlungen an ganz anderer Front engagiert. Er soll zusammen mit Wolfgang Schäuble Finanzen und Steuern verhandeln. Das ist weniger als Signal zu werten, dass Scholz in die Räume des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums strebt, denn als Ausweis einer ökonomischen Personalknappheit der Sozialdemokraten: Es gibt aus Sicht der Parteiführung niemanden in der SPD-Fraktion, der oder die das Zeug hätte, die Stelle als oberster Kassenwart der Republik zu bekleiden. Das steigert Schäubles Chancen, in den vertrauten Räumen zu bleiben.
Als Pendant des Finanzministeriums gilt das Wirtschaftsressort. Traditionell teilen sich die Koalitionspartner diese beiden Häuser ebenso farblich auf wie das Doppelfach Innen und Justiz. Bleibt also Schäuble Finanzminister, geht das Ökonomen-Reservat der Regierung an einen Sozialdemokraten (Glück für die CDU, denn sie hätte niemanden, der das Amt übernehmen wollte oder könnte). Die CSU hätte immerhin die Kandidaten Peter Ramsauer (Diplomkaufmann, bisher Verkehrsminister) oder Hans-Peter Friedrich aufbieten können. Der amtierende Innenminister ist von Hause aus Jurist mit ökonomischem Teil-Studium und hat seine berufliche Karriere als Referent im Wirtschaftsministerium begonnen.
Die Sozialdemokraten tun sich auch hier schwer. Der derzeitige wirtschaftspolitische Sprecher Wolfgang Tiefensee hat als Verkehrsminister der Schröder-Regierung nicht so bleibende positive Eindrücke hinterlassen, dass er dafür erste Wahl wäre. Als Favorit grüßt der Landeswirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen. Garrelt Duin könnte als Abgesandter der Düsseldorfer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ein wichtiges innerparteiliches Bindeglied bilden. Zwar ist es immer schwierig, wenn ein Minister nicht selbst in der Fraktion verankert ist. Duin kann aber darauf verweisen, seit 2005 als Bundestagsabgeordneter und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD Erfahrungen und Bekanntschaften gesammelt zu haben, die seine Position stärker würden.
Wichtigster Widerpart des Wirtschaftsministers wird auch im kommenden Kabinett der Ressortleiter für Umwelt bleiben. Denn an einem Energieministerium haben beide Seiten nur so lange ein Interesse, wie es in den eigenen Händen landet. Dass aber der politische Gegner und Partner die alleinige Zuständigkeit für dieses wichtige Thema erntet, kann niemand wollen. Also bleibt in der Umwelt alles beim Alten – bei Peter Altmaier.
Pofalla bleibt, Schröder geht
Um die Reibungsverluste zwischen beiden Häusern zu vermindern und die Bedeutung der Energiewende (und ihre wirtschaftlich gebotene Korrektur) zu verdeutlichen, könnte die Regierungschefin aber eine Koordinierungsstelle im Kanzleramt einrichten. Sie unterstünde dann Kanzleramtschef Ronald Pofalla, der schon in der Vergangenheit in der Energiepolitik mitgemischt hat. Auch er verbleibt auf seinem Platz als Organisator des Regierungsgeschäfts. Zwar maulen einzelne Staatssekretäre aus anderen Häusern über Merkels Zerberus an der Schaltstelle der Macht; aber große Abstimmungspannen hat es in seiner Amtszeit nicht gegeben. Die in manchen Medien präsentierte Rochade, wonach Altmaier die Macht organisieren und Pofalla ein normales Ressort übernehmen sollte, ist wenig überzeugend. Welchen Vorteil hätte die Union, die öffentlichkeitstaugliche Stimmungskanone Peter Altmaier gegen den eher zugeknöpften und bisweilen verspotteten Pofalla auszutauschen.
Dringend weiter an vorderster Front einsetzen will Merkel auch die bisherige Sozialministerin Ursula von der Leyen – und die will das auch. Wenn das von ihr bisher geleitete Ressort an die SPD fällt, steht der Union fast schon moralisch das Gesundheitsministerium zu. Mit der promovierten Ärztin und Gesundheitsökonomin von der Leyen könnte die CDU es überzeugend besetzen. Auch wenn dies für von der Leyen ein Karriererückschritt ist. Schließlich verfügt das oberste Sozialamt über einen deutlich höheren Etat. Andererseits könnte von der Leyen auch hier beweisen, dass sie den demographischen Wandel anpacken möchte.
Um den muss sich, zumindest perspektivisch, auch die Familien- und Jugendministerin kümmern. Die SPD hatte dafür in ihrem Schattenkabinett die junge Mutter Manuela Schwesig aufgeboten, die das Ressort schon in ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern führt. Sie träte damit an die Stelle von CDU-Frau Kristina Schröder, die aus familiären Gründen aus der vordersten Reihe der Politik abtreten wollte. Für die Verteilung der Kabinettsposten ist das eine günstige Fügung. So muss die Union an dieser Stelle niemandem den Stuhl vor die Tür stellen.
Das gilt auch einen Straßenblock weiter, im Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerium. Anwältin – je nach Parteicouleur – der Kunden oder der Bauern zu sein, ist eine Aufgabe, für das zwei Frauen in Betracht kommen. Fällt das Ministerium an die SPD, könnte die frühere Justizministerin Brigitte Zypries zum Zuge kommen. Wie Schwesig stand auch Zypries im Schattenkabinett von Peer Steinbrück. Verbraucherschutz ist ein Thema, das nur auf den ersten Blick Bürgernähe verheißt. Vor allem ist es: Juristerei. Zypries wäre hier also durchaus richtig; zudem könnte sie versuchen, medial noch mehr aus dem Thema zu machen als Vorgängerin Ilse Aigner (CSU), die als Wirtschaftsministerin in die bayerische Landespolitik gewechselt ist. Weil aber die bayerische Staatspartei besonderen Wert auf das Landwirtschaftsministerium – den anderen Teil des Verbraucherschutzressorts – legt, könnte sie weiterhin den Anspruch auf dieses Haus erheben. Und da auch die CSU mindestens eines ihrer Regierungsämter mit einer Frau besetzen möchte, käme hierfür die Abgeordnete Marlene Mortler in Frage. Sie führt den elterlichen Bauernbetrieb, ist „stellvertretende Landesbäuerin“ (ja, sowas gibt’s) und sitzt seit elf Jahren im Bundestag.
Eine andere Variante: Parteichef Horst Seehofer nötigt die Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt, doch wieder ein Ministerium zu übernehmen (im Kabinett Kohl war sie schon mal Bau- und mal Gesundheitsministerin). Dann könnte der von Seehofer für den pannenfreien Wahlkampf hoch gelobte Generalsekretär Alexander Dobrindt die Führung der Landesgruppe übernehmen und damit eine wichtige Machtposition erobern.
Drei Ministerien für die CSU
Wie in der nun abtretenden Regierung werden die Christsozialen auch künftig vermutlich drei Hausspitzen besetzen dürfen. Von größtem Interesse ist hier für die CSU seit jeher das Verkehrsministerium, das über einen milliardenschweren Investitionsetat verfügt. Davon möglichst viel in die bayerische Heimat zu leiten, empfindet schon jeder CSU-Abgeordnete als großes Ziel. Wie viel mehr gilt das für einen Minister, heiße er nun Hans-Peter Friedrich oder doch weiter Peter Ramsauer. Letzterer fiel allerdings beim Parteivorsitzenden Seehofer in Ungnade, weil er „Zar Peter“ zu wenig Engagement und Durchsetzungskraft attestierte. Aber auch in dieser Position käme Dobrindt in Frage.
Hans-Peter Friedrich könnte dann entweder Innenminister bleiben (obwohl er das Amt nie angestrebt und lange mit ihm gefremdelt hat) oder ins Justizressort wechseln. Sein Pendant wäre so oder so im jeweils anderen Haus der SPD-Innenexperte und bisherige parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann. Einziges Problem der Genossen hierbei: Mit Gabriel und Oppermann (und dem nach Düsseldorf ausgeliehenen Duin) säßen dann gleich drei rote Niedersachsen im Kabinett.
Das macht es unwahrscheinlicher, dass auch noch Frank-Walter Steinmeier wieder in die Regierung eintritt. Er selbst möchte ja ohnehin lieber als Fraktionsvorsitzender bleiben. Und manche in der SPD können sich auch den Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz als Außenminister vorstellen. Andererseits verhandelt Steinmeier sein früheres Fachgebiet zusammen mit CDU-Mann Thomas de Maizière, der gern Verteidigungsminister bleiben möchte. Schließlich hat er mit dem Umbau der Bundeswehr und der Rückholung der Truppen aus Afghanistan noch zwei große Aufgaben zu lösen.
Für Steinmeier spricht allerdings, dass er ein größeres Ansehen als Schulz einbringen und damit der SPD mehr Vorteile bringen kann. Außerdem ist Schulz ja eigentlich als Spitzenkandidat für die nächste Wahl zum Europaparlament im Mai 2014 vorgesehen.
Die letzten beiden Positionen werden durch die Festlegungen in anderen Ressorts zur Verhandlungsmasse – ganz unabhängig von der tatsächlichen Bedeutung des Themas. Fällt das Verbraucherschutzministerium tatsächlich an die CSU, dann geht das Forschungsministerium an die SPD. Darf Zypries Kunden und Landwirte beackern, gehen Bildung und Wissenschaft erneut an die Union und Ressortchefin Johanna Wanka darf bleiben. Sie war eingesprungen, als Vorgängerin Annette Schavan den Doktorhut nehmen musste.
Die Entwicklungshilfe fällt in jedem Fall wohl an die SPD und böte dort der Generalsekretärin Andrea Nahles Gelegenheit, sich mit dem Ministerdasein vertraut zu machen.
So könnte es aussehen, das nächste Kabinett. Oder auch ganz anders. Denn für die Koalitionsverhandlungen gilt: Die Wege der Herrin sind unergründlich.