Kalte Progression im Visier Heiße Debatte über Steuersenkungen

SPD-Chef Sigmar Gabriel macht Druck und pocht darauf, das Phänomen der „kalten Progression“ abzumildern. Auch CDU-Ministerpräsidenten schlagen in diese Kerbe – solange das die Länder nichts kostet.

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Proteste für Lohnerhöhungen: Wer mehr Geld bekommt, muss netto nicht unbedingt davon profitieren. Grund: die kalte Progression. Quelle: dpa

Berlin In der großen Koalition aus Union und SPD nimmt die Debatte über Steuersenkungen noch in dieser Wahlperiode wieder an Fahrt auf. In der CDU formiere sich ein breites Bündnis zum Abbau der kalten Progression in der Einkommensteuer, berichtet „Der Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe.

Die Begriff der kalten Progression umschreibt folgenden Effekt: Lohnerhöhungen bringen vor allem bei mittleren Einkommen auch höhere Steuerzahlungen mit sich. Die mehr gezahlte Einkommensteuer frisst einen Teil der Erhöhung auf – und was übrig bleibt, kann unterhalb der Inflationsrate liegen. Was auf dem Papier nach einer soliden Lohnerhöhung klingt, bringt real also nicht unbedingt mehr ein.

Der Spiegel zitiert unter anderem die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen, Reiner Haseloff und Stanislaw Tillich, mit entsprechenden Vorschlägen, diesen Effekt zu bekämpfen. Sie machten aber zur Bedingung, dass die Steuersenkungen nicht über neue Schulden finanziert werden und nicht zu Mindereinnahmen der Länder führen dürfe.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem ZDF, die finanziellen Spielräume für Entlastungen seien da. „Ich bin ganz sicher, dass wir in dieser Legislaturperiode auch zu einem Ergebnis kommen würden“, sagte Gabriel nach Angaben des Senders in seinem Interview. Die Abschaffung der kalten Progression sei ohne Steuererhöhungen möglich. Es gebe „eine riesige Anzahl von Minderausgaben und Mehreinnahmen durch den Mindestlohn, weil Menschen mehr Sozialabgaben zahlen“, so Gabriels Darstellung.


In der Vergangenheit von Rot-Grün blockiert

In der SPD-Führung war Gabriel allerdings auf Vorbehalte gestoßen, als er Ende April im Präsidium erklärte, die kalte Progression könne ohne Steuererhöhungen an anderer Stelle angegangen werden. Der SPD-Chef erklärte dies zur Gerechtigkeitsfrage.

Einer seiner Stellvertreter im Parteivorsitz, Ralf Stegner, zeigte sich am Sonntag skeptisch. Die Debatte über die kalte Progression sei dann richtig, wenn die Gegenfinanzierung stimme, erklärte Stegner über den Kurzmitteilungsdienst Twitter. Abstriche bei Zukunftsinvestitionen in Bildung und Infrastruktur seien „keine akzeptable Gegenfinanzierung - (ein) Mehrbeitrag höchster Vermögen schon!“, erklärte Stegner.

FDP-Chef Christian Lindner hatte in einem am Samstag veröffentlichten Brief an den einstigen Koalitionspartner Union geschrieben: „Hören Sie auf, sich an der „kalten Progression“ zu bereichern! Steuerzahler mit Jahresgehalt zwischen 10 000 und 30 000 Euro würden um bis zu 14 Prozent entlastet, rechnen Experten.“ Er erinnerte daran, dass nicht nur die FDP, sondern auch die CDU die Abschaffung der Kalten Progression schon bei zwei Wahlen versprochen habe. Inzwischen hätten SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Gewerkschaften die Position der FDP übernommen, fügte Lindner hinzu.

Zuletzt hatten sowohl der Wirtschafts- als auch der Arbeitnehmerflügel der Union gefordert, das Thema neu aufzugreifen. Ein Anlauf der früheren schwarz-gelben Regierung zur Änderung des Tarifverlaufs war in der vergangenen Legislaturperiode am Widerstand des grün- und rot-dominierten Bundesrats gescheitert. Nun unterstützen die Finanzminister mehrerer SPD-geführter Länder zwar entsprechende Forderungen aus der Union - aber nur unter der Bedingung, dass sie dafür nicht aufkommen müssen.

Die Ressortchefs von Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Peter-Jürgen Schneider, Norbert Walter-Borjans und Nils Schmid, sagten der „Rheinischen Post“ (Samstag), es sei eine Frage der Gerechtigkeit, dass Lohnerhöhungen nicht durch automatisch steigende Steuertarife aufgefressen würden. Wie ein Abbau gegenfinanziert werden kann, ist aber strittig.

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