Als Stefan Franzke den Briten sagt, dass es mit ihnen nun endgültig vorbei ist, da hat er seinen Tag gerade erst begonnen. Franzke, ein schlaksiger, immer etwas nervöser Mann im schmalen, dunkelblauen Anzug, die Haare leicht gegelt, den Bart sauber ausrasiert, hannoveraner Hochdeutsch, etwas holpriges Englisch, steht in einem Ladenlokal im hippen und teuren Londoner Stadtteil Soho. Unter der Decke rote Luftballons mit dem Berliner Stadtlogo. Aus dem Schaufenster grüßt ein „humanoider“ Roboter aus der Hauptstadt. In der Ecke summt eine Drohne, die Osram mit einem Start-up von der Spree entwickelt, irgendwo knistert ein 3-D-Drucker natürlich aus Berlin. Dazwischen Franzke.
Es ist kurz vor zehn. Um den Chef der hauptstädtischen Wirtschaftsförderung, Berlin Partner genannt, drängt sich alles: Reporter, Blogger, Fernsehteams, die Gründer wegen denen Franzke den ganzen Zinnober hier veranstaltet. 50 Besucher auf 20 Quadratmetern.
Franzke wird später sagen, es sei gut besucht gewesen. Er war an diesem Wintermontag schon im britischen Frühstücksfernsehen zu Gast. Nun eröffnet er den Popup-Store, mit dem die deutsche in der englischen Hauptstadt eine Woche lang zeigen will, was sie alles noch so drauf hat außer billigem Bier und günstigen Mieten. So will Franzke um Unternehmen buhlen, die nach dem Brexit-Votum die Nase voll haben von der Insel.
Er ruft: „Ich bedauere den Brexit. Aber für Berlin ist das eine riesige Chance.“ Mit 40 Firmen, sagt er, spreche man derzeit detailliert über Umzugspläne. Mit fünf gebe es bereits Vereinbarungen. „Berlin ist die vibrierendste Stadt auf dem Kontinent“, sagt Franzke. Was natürlich gleichzeitig bedeutet: Alle anderen Kommunen können einpacken, bitteschön.
Und so ist die Show des Berliner Wirtschaftsförderers zuallererst eine Kampfansage an seine deutschen Kollegen. An die Lobbyisten aus Stuttgart oder München, Frankfurt, Hamburg oder Düsseldorf, die wie er seit Wochen über der Frage brüten, wie sie sich gegenseitig beim Buhlen um die Brexiteers ausstechen können. Sie wittern das große Geschäft. Gerade erst stellte eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young fest, dass 40 Prozent der ausländischen Firmen nach dem Brexit Deutschland als attraktiven Standort schätzen. Für mehr als die Hälfte der bisher im Vereinigten Königreich aktiven Firmen wäre Deutschland der bevorzugte Standort in Europa.
In der vergangenen Woche stimmte das britische Unterhaus formal dem Austrittsgesetz von Premierministerin Theresa May zu. Ab heute debattiert das Oberhaus darüber. Im März dann schon will die Regierung in Brüssel offiziell ihr Ausscheiden aus der Europäischen Union beantragen. Das Vereinigte Königreich macht Ernst. Und so bereitet man sich auch in den deutschen Rathäusern auf den Konkurrenzkampf vor.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Uwe Becker etwa hat deshalb Englisch geübt. Frankfurts Stadtkämmerer trägt wenig Haupthaar aber einen gut-sitzenden Anzug. Man will ja nicht provinziell wirken. Nicht hier, auf dem europäischen Bankenkongress in der Alten Oper, bei dem sich die Hautevolee der Szene trifft. Die Veranstaltung ist so ziemlich das Gegenteil des Berliner Popups. Doch auch in Frankfurt geht es in diesem Jahr nur um den Brexit. Deshalb erklärt Uwe Becker nun den Bankern in geschliffenem Englisch, dass es ihm Leid tue mit dem Brexit. Ein schwarzer Tag für Europa sei das gewesen. „Aber jetzt müssen wir uns um die Zukunft kümmern: Wir werden alles tun, um zu zeigen, dass Frankfurt die beste Alternative zu London ist.“ Und: „Es gibt in Europa nur einen Platz für Finanz-Start-ups: Frankfurt.“
Das Becker das so betonen muss, liegt vor allem an den Berlinern. Sie haben in den vergangenen Monaten besonders um sogenannte „Fintechs“ geworben – Startups aus der Finanz- und Versicherungsbranche, die den altmodischen Wirtschaftszweig aufrollen wollen. Bisher war man am Main davon ausgegangen, dass diese Jungunternehmen natürlicherweise dorthin ziehen würden, wo das große Geld schon jetzt wohnt. Bisher aber will sich das nicht so recht einstellen. Stattdessen häufen sie sich eher in an der Spree. Wer das Geschäftsmodell der Banken und Versicherer angreifen will, so das gängige Argument der Jungunternehmer, der studiert womöglich besser zunächst aus der Ferne die Schwächen der Branche. Und was der gesetzten Mainmetropole ferner als die wuselige Hauptstadt? So ist man in Frankfurt mittlerweile kleinlauter geworden, denkt gar über eine gemeinsame deutsche Post-Brexit-Standortwerbung nach, damit es auch gerecht zugeht.