Kaum noch Gemeinsamkeiten Diese Fragen ruinieren die Große Koalition

Sollen Burkas verboten werden? Steuern rauf oder runter? Und wie halten wir es mit Autokraten? Bei vielen Themen finden Union und SPD nicht mehr zusammen. Fünf Punkte, warum die große Koalition inhaltlich am Ende ist.

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Merkel und Gabriel: Entfremdung in der großen Koalition. Quelle: imago images

Die Regierung wird abgestraft – eine Klatsche für Union und SPD. Das wäre wohl der Tenor der Kommentatoren, wenn schon in diesem Herbst ein neuer Bundestag gewählt würde. In aktuellen Umfragen erreicht die Union Werte zwischen 31 und 36 Prozent. Bei der Wahl 2013 kam sie noch auf 41,5 Prozent, womit sie nur knapp eine absolute Mehrheit der Sitze im Bundestag verfehlt hatte. Die SPD konnte vor drei Jahren 25,7 Prozent der Wähler begeistern, derzeit kratzt sie an der 20-Prozent-Marke.

Die Partei- und Regierungsspitzen dürften also froh sein, dass sie noch ein Jahr Zeit haben. Doch inhaltlich hat sich die Koalition längst erschöpft – egal, ob es um die innere Sicherheit, Steuern oder die Außenpolitik geht. Die fünf wichtigsten Streitpunkte im Überblick:

1. Ein Burkaverbot für mehr innere Sicherheit?

Was ist die richtige Antwort nach den islamistischen Attacken in Würzburg und Ansbach? Für den die Unions-Innenminister aus den Bundesländern ist ein Burkaverbot Teil der Lösung. CDU-Vizechefin Julia Klöckner fordert das schon seit Monaten, doch erst nach den jüngsten Attacken schwenken viele in CDU und CSU auf ihren Kurs ein.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte vergangene Woche noch gesagt, man könne „nicht alles verbieten, was man ablehnt“ und verwies auf verfassungsrechtliche Bedenken. Wenige Tage später verkündete CDU-Generalsekretär Peter Tauber dann aber, Vollverschleierung sei „das Gegenteil von Integration und passt nicht zu unserem Land“.

Die Christdemokraten sind gewillt, sich ein konservativeres Profil zu verpassen, um bei den kommenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nicht noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren.

Die SPD will davon nichts wissen und weder Burka verbieten noch die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen. Die beiden Punkte dominieren derzeit die Debatte. In welcher Form Sicherheitsgesetze verschärft werden, ist aber die eigentliche Frage. Der Innenminister hat bereits erste Pläne vorgestellt und will Härte gegenüber kriminellen Flüchtlingen demonstrieren.

Sollte die CDU bei den Landtagswahlen Niederlagen einfahren, dürften die Konservativen in CDU und CSU noch vehementer auf ‚mehr Sicherheit‘ drängen. SPD-Chef Sigmar Gabriel wird indes nicht müde, gegen die „Scharfmacher“ auf Seiten des Koalitionspartners zu wettern. Es ist also gut möglich, dass Union und SPD das Thema in den Wahlkampf tragen werden.

2. Steuern rauf oder runter?

Drei lange Jahre klammerten Union und SPD das heikle Thema Steuerpolitik aus. Nun aber brechen die alten Gräben wieder auf. Die Union sieht Spielraum für Steuersenkungen für die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen, die SPD will sozial Schwache weiter entlasten und die Reichen noch stärker belasten.

Bei der SPD zeigt Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel, wie das gehen soll: Haushalte mit geringen Einkommen zahlen bereits heute keine Lohnsteuer mehr. Schäfer-Gümbel will ihnen nun auch die Sozialabgaben erlassen – und zwar durch die Einführung eines Freibetrags für Sozialabgaben analog zum Steuerfreibetrag. Das aber würde bei den Sozialkassen zu Einnahmenausfällen in zweifacher Milliardenhöhe führen und müsste nach SPD-Logik durch höhere Steuern für Besserverdiener ausgeglichen werden. Genaueres will eine Arbeitsgruppe der SPD zum Parteitag im Herbst vorschlagen.

Gabriel will TTIP auf Eis legen, Merkel nicht

Steuererhöhungen schließen CDU und CSU jedoch kategorisch aus. Sie kämen bei bürgerlichen Wählern schlecht an und wären angesichts ständiger Rekordeinnahmen des Staates auch kaum vermittelbar. Stattdessen will die Union die Bürger entlasten, die der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder als „neue Mitte“ bezeichnet hatte.

Der CDU-Wirtschaftsflügel unter Leitung von Carsten Linnemann hat bereits gefordert, den Spitzensteuersatz nicht mehr ab gut 53.000 Euro, sondern erst ab 60.000 Euro Einkommen beginnen zu lassen. Auch soll die Werbungskostenpauschale auf 2000 Euro verdoppelt und der steuerliche Grundfreibetrag für Kinder auf das Niveau der Erwachsenen gehievt werden. Von dem Unionskonzept dürften all die profitieren, die heute reichlich Steuern zahlen - und zwar umso mehr, je höher die Belastung. Das aber dürfte gerade dem linken Flügel der SPD zuwider sein.

von Simon Book, Max Haerder, Rebecca Eisert, Maximilian Nowroth, Jürgen Salz, Christian Schlesiger, Cordula Tutt, Kathrin Witsch

3. Lohngleichheit für Frauen per Gesetz?

Es ist erst wenige Tage her, dass der SPD-Chef seiner zuständigen Ministerin beisprang und die Kanzlerin direkt attackierte: Das Gesetz zur Lohngleichheit müsse „jetzt endlich zur Ressortabstimmung“, das Kanzleramt den Weg dafür frei machen.

Worum es geht? Um das nächste Prestigeprojekt von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) nach der Frauenquote: Ihr Gesetz soll künftig allen Arbeitnehmern das Recht einräumen, das Gehalt von Kollegen in vergleichbarer Position zu erfahren. Transparenz, so die Befürworter, zerstöre Diskriminierung beim Lohn. Denn noch immer verdienten Frauen rund 20 Prozent weniger als Männer. Es ist deshalb vor allem ein Gesetz für Frauen.

Der Inhalt ist wie geschaffen für Koalitionszoff. Das beginnt schon bei der Frage nach dem Problem. Kritiker wenden ein: Rechne man ab, dass Frauen nun mal andere Ausbildungswege und folglich andere (meist schlechter bezahlte) Berufe wählen würden als Männer und wegen längerer Babypausen auch weniger Berufserfahrung hätten – dann gäbe es kaum noch eine nennenswerte Lohnlücke. Diese Ursachen ließen sich gar nicht per Gesetz beheben.

Der Wirtschaftsflügel der Union wiederum warnt vor überborderdender Bürokratie, wenn auch Betriebe mit weniger als 500 Mitarbeitern zu mehr Auskunftsfreude verpflichtet würden. Die SPD will aber am liebsten gar keine Ausnahmen. Streit an allen Enden also.

von Gregor Peter Schmitz, Max Haerder, Christian Ramthun, Christian Schlesiger, Cordula Tutt

Die Sozialdemokraten haben – bei allem Frust über die anhaltende Unionsblockade – aber entdeckt, dass sich das Thema zur Profilierung eignet. Käme das Gesetz nicht bald, müsse eben die Kanzlerin selbst erklären, „warum sie nichts dagegen tun will, dass Frauen weniger verdienen“, ätzt Gabriel. Klingt schon sehr nach Wahlkampf.

4. Braucht Deutschland Freihandel mit den Amerikanern?

Bloß keine Eile beim transatlantischen Freihandelsabkommen, kurz TTIP – das meint Sigmar Gabriel. „Ich glaube nicht, dass der Wunsch von Angela Merkel, noch in diesem Jahr ein Abkommen mit den USA zu haben, irgendeine Chance hat“, sagte der SPD-Vorsitzende jüngst in einem Interview. Sein Motto: „Besser kein Abkommen, als ein schlechtes.“

Die Türkei und Russland spalten die Koalition

Die Bundeskanzlerin widerspricht ihrem Stellvertreter. „Es ist die gesamte Bundesregierung, die einen zügigen Abschluss des TTIP-Abkommens für ein zentrales Vorhaben hält“, ließ sie ihren Regierungssprecher ausrichten.

Natürlich weiß auch die Kanzlerin, dass es kaum realistisch ist, das Abkommen in diesem Jahr fertig zu verhandeln und in Kraft zu setzen. Die Widerstände gegen TTIP sind enorm. Im Herbst wollen die Gegner des Abkommens wieder mobil machen und werden wohl zigtausende auf die Straßen bringen. In der Union ist das Abkommen deutlich weniger umstritten als in der SPD. Somit fällt es Merkel verhältnismäßig leicht, an TTIP festzuhalten. Einig wird sie sich mit ihrem Stellvertreter Gabriel wohl kaum mehr.

5. Wie viel Verständnis für Autokraten darf es sein?

Ob Kremlchef Wladimir Putin ein Stück Nachbarschaft annektiert oder die Waffenruhe in Syrien vereitelt – stets ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Sozialdemokraten den Russen trotzdem die Hand ausstrecken. Dass ein Dialog mit Russland nötig ist, zählt seit der Ostpolitik Willy Brandts zum Wesenskern der SPD. Dahinter steht die Vorstellung, dass sich das Land auch unter der autokratischen Führung von Dauer-Präsident Wladimir Putin dem Westen zuwendet und wieder zum friedlichen Nachbarn und Partner wird, wenn man mit Putin nur im Gespräch bleibt.

Genau das passiert im Moment aber nicht. In Syrien deeskaliert der Kreml keineswegs, der Krieg in der Ukraine köchelt weiter, das Friedensabkommen von Minsk ist Makulatur – und in der CDU-Fraktion dominieren längst jene Stimmen, die eine härtere Gangart mit Russland fordern.

Doch nicht nur in Sachen Russland gibt es Differenzen in der großen Koalition. Stichwort Türkei. Aus polit-pragmatischen Gründen will niemand so recht, dass Ankaras Autokrat Recep Tayyip Erdogan den Flüchtlingsdeal platzen lässt – sonst könnten ja mitten im Wahlkampf wieder zigtausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Doch kann man mit den Türken über einen EU-Beitritt verhandeln und dorthin Geld überweisen, wenn Erdogan gleichzeitig jeden zweiten politischen Gegner hinter Gitter schickt?

CSU-Chef Horst Seehofer will die Verhandlungen mit der Türkei abbrechen – unter vorgehaltener Hand sehen das viele in der CDU-Fraktion genauso. Für die SPD ist ein Beitritt zwar in weiter Ferne, die Verhandlungen abbrechen wollen sie aber nicht. Noch ist das die Mehrheitsmeinung in der Regierung. Doch drei Viertel der Deutschen wollen laut Umfragen ein Ende der Beitrittsverhandlungen. Spitzt sich der Streit mit Erdogan zu, könnte das die Regierungsparteien noch weiter auseinandertreiben.

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