Keine Reformen, schlechte EZB-Entscheidungen Merkel weist Kritik von Wirtschaftsweisen zurück

Top-Regierungsberater sind enttäuscht von der deutschen Reformbilanz. Die gute Konjunktur sei nicht genutzt worden, Schwarz-Rot habe sich ausgeruht. Die Kanzlerin sieht das anders, Reformen seien permanent auf dem Weg.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt Berlin das Gutachten zur Wirtschaftsentwicklung vom Vorsitzenden des Sachverständigenrats, Christoph M. Schmidt, entgegen. Quelle: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Kritik der „Wirtschaftsweisen“ an mangelnden Reformen der schwarz-roten Koalition zurückgewiesen. „Für uns ist immer Zeit für Reformen“, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin bei der Entgegennahme des Jahresgutachtens der Regierungsberater. Bei der Beurteilung von Reformen gebe es sicher Differenzen zwischen Ökonomen und der Politik. Eine „gewisse Reibung konstruktiver Art“ sei aber nötig.

„Ich glaube, die Bundesregierung fühlt und denkt so, dass sie permanent Reformen macht“, sagte Merkel. Einig sei man sich darin, dass die „recht gute“ Wirtschaftslage kein Blankoscheck für die Zukunft sei. Der Bericht der Sachverständigen werde „wie immer mit Interesse und auch Respekt“ entgegengenommen, sagte Merkel und bedankte sich für die Ratschläge der fünf Ökonomie-Professoren. Das Gutachten enthalte genug Lektüre für jedes Ressort.

In ihrem Jahresgutachten mit dem Titel „Zeit für Reformen“ werfen die „Wirtschaftsweisen“ der Bundesregierung schwere Versäumnisse vor und fordern dringend Reformen. „Statt sich auf den Erfolgen früherer Reformen, wie der Agenda 2010, auszuruhen oder sie sogar zu verwässern, sollte die Politik notwendige Reformen entschlossen umsetzen“, schreiben die fünf Regierungsberater in dem mehr als 500 Seiten dicken Gutachten. „Deutschland weist für die laufende Legislaturperiode eine enttäuschende Reformbilanz aus.“

Um private Investitionen in Deutschland attraktiver zu machen, sind aus Sicht der Sachverständigen mehr steuerliche Anreize nötig. Die Unternehmens- und Einkommensbesteuerung sollte reformiert werden. Die bisher vereinbarte Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen reicht den „Wirtschaftsweisen“ nicht. Haushaltsspielräume sollten aus Sicht der Top-Ökonomen nicht für höhere Ausgaben, sondern zum Abbau der Schuldenquote und für Steuerreformen genutzt werden.

Das gesetzliche Renteneintrittsalter sollte erhöht und an die künftige Lebenserwartung gekoppelt werden. Zusätzlich sollten die betriebliche und private Altersvorsorge gestärkt werden. Bei der Krankenversicherung sollte eine Bürgerpauschale mit integriertem Sozialausgleich eingeführt werden. Um der Langzeitarbeitslosigkeit zu begegnen, müsse der Arbeitsmarkt flexibel gehalten werden, insbesondere im Niedriglohnsektor.

Die Mietpreisbremse sollte abgeschafft werden, fordern die „Weisen“. Der flächendeckende Mindestlohn und das Rentenpaket der Koalition werden kritisiert, ebenso Pläne zur Lohngleichheit: „Diese Weichenstellungen erfüllen Verteilungswünsche“, erkennen die Sachverständigen zwar an. Damit werde aber die Basis für künftiges Wachstum angegriffen – „zum Nachteil künftiger Generationen“.

Für das nächste Jahr rechnen die Regierungsberater mit einem etwas schwächeren Wachstum in Deutschland. Die „Fünf Weisen“ gehen davon aus, dass die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 1,9 Prozent zulegt. 2017 sollen es 1,3 Prozent sein. Der Rückgang sei vor allem auf einen Kalendereffekt zurückzuführen: „Die zugrundeliegende Wachstumsdynamik bleibt im Wesentlichen erhalten.“

Auch für Europa mahnen die „Weisen“ dringend Reformen an und warnen vor einem Scheitern des europäischen Projekts. Deutliche Kritik wird an der Europäischen Zentralbank (EZB) geübt. Die ungewöhnlich lockere Geldpolitik der EZB habe zwar wesentlich zum Aufschwung im Euroraum beigetragen. Das Ausmaß sei aber nicht mehr angemessen. Ein Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik werde immer schwieriger.

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