Kindergeld-Debatte Forscher warnt vor neuen Soziallasten

Unions-Politiker wollen die derzeitigen Regeln zum Kindergeld für EU-Ausländer kippen. Ein renommierter Arbeitsmarktforscher hält das Ansinnen für falsch und warnt vor den Folgen einer Gesetzesänderung.

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Der Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann: Kritik an der europäischen Regelung am wenigsten angebracht. Quelle: dpa

Berlin Der Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus F. Zimmermann, hat Kritik am Kindergeldanspruch von EU-Ausländern scharf zurückgewiesen. Es sei richtig, dass derzeit nach europäischem Recht Kindergeldanspruch von EU-Ausländern in Deutschland unabhängig von einer Berufstätigkeit und unabhängig vom Aufenthaltsort des Kindes bestehe. Das könne man aus verschiedenen Blickwinkeln problematisieren, wie es derzeit Abgeordnete der Union tun. „Anstoßpunkt scheint aber zu sein, dass dies bei vielen Saisonarbeitern aus der EU in Deutschland zu hohen Ansprüchen führt“, sagte Zimmermann Handelsblatt Online. Gerade hier sei aber die Kritik an der europäischen Regelung am wenigsten angebracht.

„Denn Saisonarbeitnehmer haben kaum Anlass, ihre Kinder aus der gewohnten Lebensumgebung temporär nach Deutschland zu bringen“, sagte Zimmermann weiter. „Sie aus ihrer Lebensumgebung, aus Kindergarten oder Schule zeitweise herauszureißen wäre höchst problematisch, wenn überhaupt realistisch. Auf Deutschland kämen in einem solchen Fall neue Soziallasten zu.“

Eine Reduzierung der Kindergeldleistungen auf das Niveau ihres Herkunftslandes oder gar die Belassung der Zahlung bei ihrem Heimatland würde EU-Ausländer zudem „zu Arbeitnehmern zweiter Klasse“ machen, warnte der IZA-Chef. Diese Personengruppe würde aber offensichtlich am Arbeitsmarkt gebraucht und übe die wirtschaftlich gewünschte und so nötige europaweite Flexibilität aus. „Ihre Einschränkung wäre das falsche Signal angesichts der Anpassungsnotwendigkeiten in Europa“, sagte Zimmermann.

Die Folge könne dann nur sein, „dass sich die Anreize für zirkuläre Migration, das heißt: ein Kommen und Gehen am deutschen Arbeitsmarkt nach unseren Notwendigkeiten, reduzierten“, sagte Zimmermann weiter. „Entweder würden wir in vielen Fällen auf notwendige Kräfte verzichten müssen, oder aber die Migranten kämen dauerhaft, auch wenn sie nicht gebraucht würden.“ Das könne jedoch „kein gutes Konzept“ für einen funktionsfähigen europäischen Binnenmarkt sein, unterstrich der Arbeitsmarktforscher. Das sollten die Unions-Politiker bei ihrer Kritik an den derzeitigen Kindergeldregeln bedenken.

Auslöser der Debatte war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem vergangenen Jahr, wonach beispielsweise auch ausländische Saisonarbeiter unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland Anspruch auf Kindergeld haben - selbst wenn ihre Kinder im Ausland leben. Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten für den Kindergeldbezug von EU-Einwanderern für deren in der Heimat lebende Kinder für den Zeitraum seit 2008 auf insgesamt eine Milliarde Euro.

Mehrere Unionspolitiker forderten deswegen erneut Einschränkungen für den Kindergeldbezug von EU-Ausländern. Mindestens müsse die Höhe der Zahlungen an die Lebenshaltungskosten in dem Land angepasst werden, in dem die jeweiligen Kinder leben, verlangten nach einem Bericht von Handelsblatt Online die Unionspolitiker Heribert Hirte, Matern von Marschall und Martin Pätzold (alle CDU) sowie Bernd Fabritius (CSU). Sie forderten zudem strengere Kontrollen, um Missbrauch zu verhindern.

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