Serdar Somuncu

AfD-Wähler, die Feiglinge aus dem Osten

Die AfD hat nicht recht, sie ist rechtsextrem. Kein Wunder, dass ostdeutsche Spießer ihr folgen. Die AfD wird so zum Ventil für den Frust von Feiglingen und Duckmäusern, der sich im Hass gegen alles Fremde niederschlägt.

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Serdar Somuncu ist Kabarettist und Buchautor. Quelle: Laif

Deutschland ist ohnmächtig. Wir sind zu freundlich zu Flüchtlingen, die in Wirklichkeit gar keine sind, sondern hinterhältige Sozialschmarotzer und potenzielle Glaubenskrieger.

Andere machen sich auf unsere Kosten den Lenz und zugleich bedrohen sie unser Wertesystem. Ihnen passt unser Lebensstil nicht, aber sie nehmen unser Geld.

Unsere Kanzlerin hat den Überblick verloren, sie verrät ihr eigenes Volk für ihr Ansehen im Ausland. Kriege haben nichts mit uns zu tun. Wer flüchten will, der kann auch kämpfen.

Dem redlichen Deutschen, der für seine patriotischen Ideale kämpft, wird aus Angst vor Wiedergutmachungsansprüchen ein staatlicher Maulkorb auferlegt. Wer seine Meinung, die gleichbedeutend Wahrheit ist, sagt, wird in die rechte Ecke gedrängt.

Es gibt einen Komplott zwischen den sogenannten bürgerlichen Parteien, und jeder, der ausschert, und eigenständig denkt, wird schikaniert und diffamiert. Das „Volk“ ist seiner Regierung ausgesetzt, und es hält tapfer stand im Kampf gegen die haarsträubende Ungerechtigkeit.

In Deutschland regiert ein Establishment aus Gleichmachern. Sie haben nur ein Ziel, die Auflösung der Nationalstaatlichkeit zugunsten einer globalisierten Wirtschaft, in der die Starken für die Schwachen aufkommen und ein undurchsichtiges Solidaritätsprinzip gilt.

Deutschland, Deutschland ... merken Sie etwas?

Die AfD zehrt vom Mythos der Widerstandsbewegung

Die Fachkompetenz zur Beurteilung dieser Tatsache kommt schließlich aus dem Osten, wo man ein feines Gespür für Diktaturen hat. In Wahrheit ist nämlich keine dieser Behauptungen zu belegen, und niemand, der sie aufstellt, glaubt auch wirklich daran.

Die Robin Hoods der sächsischen Diaspora haben früher zur Untermiete beim Sheriff von Nottingham gewohnt. Die AfD lebt vom stilisierten Effekt der Solidarisierung mit den Schwächeren, und sie zehrt vom Mythos, Widerstandsbewegung zu sein.

Das sagen Unternehmer zu den Ergebnissen
Wolfgang Grupp, Eigentümer von Trigema:"Viele Leute in Baden-Württemberg haben wie ich aus reinem Protest gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik nicht CDU gewählt. Guido Wolf als CDU-Spitzenkandidat konnte dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nicht das Wasser reichen - übrigens eine Spätfolge der Strategie Merkels, CDU-Top-Politiker wie Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsidenten Günther Oettinger (heute EU-Kommissar) kalt zu stellen. Jetzt kann es nur eine Koalition geben und das ist Grün-Schwarz. Das ist der Bürgerwille. Natürlich wäre auch eine Ampelkoalition aus Grün, Rot und Gelb möglich. Aber ich glaube, dass Kretschmann versuchen wird, die vom Bürger am zweithäufigsten gewählte Partei in die Regierung zu holen. Die CDU wurde zwar abgestraft, die SPD aber auch. Der Wahlausgang hat überhaupt keine negativen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg. Kretschmann und die Grünen haben generell gute Ideen. Das haben sie in der Vergangenheit gezeigt und das wird jetzt in die Regierung einfließen. Wir aus der Wirtschaft brauchen die neuen Ideen, also das, was zukunftsorientiert ist. Im Übrigen wird Kretschmann mit seinem Wahlsieg mehr Gewicht in der Bundespartei der Grünen bekommen, und das ist gut so." Quelle: dapd
Nicola Leibinger-Kammüller Quelle: dpa
Bitkom-Präsident Thorsten Dirks: Quelle: dpa
Renate Pilz, Vorsitzende der Geschäftsführung der Firma Pilz Automation in Ostfildern, Baden-Württemberg:“Ich bin als Mensch und nicht nur als Unternehmerin persönlich erschüttert über den Erfolg der AfD und fürchte, wir müssen uns langfristig auf diese Partei im Landtag einstellen. Der große Erfolg von Herrn Kretschmann gerade auch unter älteren Wählern liegt meiner Meinung nach daran, dass  er im Wahlkampf eine klare Linie vorgegeben hat und seinen Blick über Baden Württemberg hinweg auf Europa gerichtet hat. Die europäische Einheit ist nicht nur für Unternehmer wichtig. Die Älteren haben den Krieg noch als Kinder erlebt, sie wissen wie wichtig der Frieden ist und sie fühlen sich dafür mitverantwortlich, dass so etwas in Deutschland nicht nochmal passiert. Herr Kretschmann hat aber auch aus Sicht der Unternehmer in Baden Württemberg auch als grüner Ministerpräsident gute Arbeit geleistet. Auch das wird zu seiner Wiederwahl beigetragen haben.” Quelle: dpa/dpaweb
Martin Fuchs, Geschäftsführer Enprotec GmbH in Mayen bei Koblenz, Rheinland-Pfalz"Die Landtagswahlen haben zwei Dinge deutlich gemacht. Ein großer Teil der Wähler hat kein Vertrauen mehr in die aktuellen Bundespolitiker, insbesondere die Bundeskanzlerin. Hierfür haben CDU, SPD und auch Bündnis 90/Die Grünen büßen müssen. Erfolg hatten die scheinbar authentischen Politiker Winfried Kretschmann und Malu Dreyer. Gerade bei Malu Dreyer klaffen jedoch Reputation und tatsächliche politische (Fehl-)Leistung weit auseinander. Auch in Baden-Württemberg kann ich die Schulpolitik nur mit großer Sorge betrachten. Die dortigen Prioritäten sind sowohl der Mehrheit der Gesellschaft als auch dem Wirtschaftsstandort auf Dauer abträglich. Umso mehr gilt, dass die voraussichtlichen Koalitionspartner, CDU in Ba-Wü und FDP in Rheinland-Pfalz, wesentliche Korrekturen durchsetzen. In meinem Bundesland heißt dies für die Bereiche Infrastruktur: Breitbandausbau, Straßensanierung, Bau der Mittelrheinbrücke etc.; öffentliche Sicherheit: Ausbau der Polizei auch unter dem Aspekt möglicher neuer Herausforderungen; Rechtssicherheit: Aus-, nicht Abbau der Justizverwaltung (Die Landesregierung hat in Koblenz im übertragenen Sinne bereits ,Strafvereitelung im Amt‘ begangen.); Integration: Aufbau von ernsthaften Asylanten-Integrationsstrukturen (keine Migrantenverwaltung und -Ghettoisierung wie aktuell gegeben) und konsequente Abschiebung von Wirtschaftsmigranten; Bildungspolitik: Anpassung der schon heute unzureichenden Bildungsressourcen an die neuen Herausforderungen; Energie: Beendigung der (planlosen) Verspargelung der Landschaft. Trotz vieler Frustrationen gebe ich die Hoffnung nicht auf." Quelle: Privat
Rainer Hundsdörfer, Chef von ebm papst in Mulfingen: “Der Wahlerfolg  der AfD in allen drei Landesparlamenten kann einem Demokraten nicht gefallen. Er zeigt aber, dass die renommierten Parteien die Wählen nicht haben überzeugen können. Ich bin überzeugt, dass vor allem Protestwähler die AfD favorisierten und dass es nicht mehrheitlich um braune Gesinnung handelt. Dass sich die Grünen in BaWü so klar  gegen die CDU durchsetzen konnten hat mich überrascht. Ich halte das für einen persönlichen Erfolg von Herrn Kretschmann, vor allem er und nicht die Grünen haben diese Wahl gewonnen. Er hat aus Unternehmersicht oft gut gearbeitet: zuverlässig, interessiert, kompromissfähig. Zudem traut er sich, sich bei Sachfragen auch mal gegen seine Partei zu stellen. Er hat also bewiesen, dass er als grüner Ministerpräsident Unternehmen nicht schadet. Das habe ich mir früher so nicht vorstellen können. Gut für Baden Württemberg wäre eine schwarz-grüne Regierungskoalition statt einer Drei-Parteien-Regierung aus Grün, Rot plus X. Sie hätte eine satte handlungsfähige Mehrheit und die CDU wäre der notwendige Gegenpol für eine bessere Wirtschafts- und Bildungspolitik. Wir in der Industrie sind pragmatischer:  Erst zwei Jahren Kretschmann als Chef, dann tritt er ab und die nächsten zwei Jahre übernimmt CDU-Mann Wolf - für das Land wäre das eine sehr gute Option. Aber Politiker sind wohl nicht so pragmatisch. Auf jeden Fall ist es gut, dass die FDP als Korrekturfaktor zum Beispiel für die schwindende Wirtschaftskompetenz der SPD im Landtag ist.” Quelle: Steffen Burger
Hans-Jürgen Mundinger, Chef der Goldschmidt Thermit mit Sitz in Halle und Leipzig:“Als gebürtiger Baden-Württemberger vom Bodensee und nun in Ostdeutschland arbeitend, habe ich beide Wahlergebnisse mit Spannung verfolgt. Für mich hat heute unabhängig von allen Parteien die Demokratie gewonnen: Die Menschen interessieren sich wieder mehr für Politik, die Wahlbeteiligung ist gestiegen.  Über Jahrzehnte haben drei oder vier Parteien die Regierungen unter sich ausgemacht, nun sind es bis zu sechs Parteien. Das finde ich grundsätzlich einen Gewinn. Den hohen Wahlerfolg der AfD, besonders in Sachsen-Anhalt, muss eine Demokratie aushalten. Aber ich würde nicht meinen Kopf dafür geben, dass das klappt. Doch die rund 15 Prozent der AfD in BaWü, dem Land der Liberalen, schocken mich noch mehr als die 24 Prozent in Sachsen Anhalt. Vermutlich sind es in BaWü eher Protestwähler, in Ostdeutschland sind viele Wähler grundsätzlich pessimistisch. Die CDU hat es nicht vermocht, das zu ändern, sie war unentschlossen und selbst zu pessimistisch. Der Erfolg der AfD könnte für die Wirtschaft noch schwierig werden. Großkonzerne oder internationale Unternehmen womöglich Ansiedlungen in Sachsen und Sachsen Anhalt meiden und stattdessen zum Beispiel nach Thüringen gehen. Der AfD-Erfolg erschüttert jetzt schon den Tourismus, dann würde er alle Industriesparten treffen. Es ist wichtig, dass die FDP wenigstens den Einzug ins Parlament schafft, das wäre dann eine Partei, die den Menschen Hoffnung geben kann.” Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Hätten die Schreihälse der Straße mal 1989 die Eier in der Hose gehabt, ihren Terz zu veranstalten, den sie jetzt als demokratischen Widerstand tarnen, dann wäre vielleicht vieles von Anfang an klarer gewesen und manches gerechter, so aber ist es der zu spät aufkeimende Frust einer Verlierergeneration von Feiglingen und Duckmäusern, der sich im Hass gegen alles Neue und Fremde niederschlägt.

In Wahrheit geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Angst.

Diejenigen, die am meisten von der Wiedervereinigung profitiert haben, obwohl sie am wenigsten dafür geleistet haben, haben plötzlich Angst, dass ihre spießige Idylle ins Wanken kommt, wenn ein Bus mit Flüchtlingen vor ihrem Gartenzaun vorbeifährt, und sie greifen zum äußersten Mittel: der weinerlichen Empörung über das Diffuse.

Nein, die AfD hat nicht recht, sie ist rechtsextrem und ihre Forderungen sind weltfremd. Ich würde ihr die guten Absichten nicht abnehmen, ich würde mich von ihr nicht blenden lassen, vielmehr noch: Ich würde sie nicht wählen.

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