Knauß kontert

Das Erfolgsgeheimnis von Angela Merkel

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Auch im Wahlkampfjahr kann die Kanzlerin geschäftig schweigend regieren. Das ist nicht ihr, sondern uns allen vorzuwerfen.

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Bundekanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf Quelle: REUTERS

Die Bundeskanzlerin zeigt in ihrem Metier eine Ausdauer, die derjenigen eines Triathleten oder Tour-de-France-Fahrers nicht nachsteht. Der Terminkalender von Angela Merkel ist beeindruckend. Und darin stehen natürlich nur die öffentlichen Termine...

Nehmen wir beispielhaft vergangenen Mittwoch, den 21. Juni: Der Tag begann mit einer Kabinettsitzung; dann folgte ein Grußwort auf der Konferenz des German Marshall Fund zum 70. Jahrestag des Marshall-Plans, wo sie auch ein wenig mit Henry Kissinger plaudern konnte; am Nachmittag – hoffentlich fand sie zwischendurch Zeit für ein Mittagessen – empfing sie die 69 Preisträgerinnen und Preisträger des 52. Bundeswettbewerbs „Jugend forscht“ im Kanzleramt mit einer Begrüßungsrede.

Für normale Menschen, auch stressgewohnte Führungskräfte, wäre das schon ein wahrlich ereignisreiches Tagesprogramm gewesen, das man erst mal verarbeiten muss.

Aber für die Kanzlerin kam noch der Empfang des finnischen Ministerpräsidenten Juha Sipilä dazu, mit dem sie sich „vor dem Treffen des Europäischen Rates am 22./23. Juni über europapolitische Fragen, bilaterale Beziehungen und internationale Themen“ austauschte. Und auch das war noch nicht das komplette Programm an diesem ganz normalen Kanzlerinnenarbeitstag. Schließlich hielt sie noch eine „Rede zur aktuellen Bau- und Wohnungspolitik“ beim Tag der Immobilienwirtschaft.

Hohe Konzentration gefragt

Der berauschende Effekt der eigenen Wichtigkeit durch solch eine Abfolge von Rampenlicht-Terminen mag die Kanzlerin aufputschen, so dass sie ohne Burnout oder Erschöpfungssymptome am nächsten Tag nach Brüssel reisen und dort in einem noch viel helleren Rampenlicht mit ihren EU-Amtskollegen über Migration, Sicherheit, Verteidigung, den Brexit und Wachstum sprechen konnte.

Das Wachstum der Politikerreisen und die immer kürzere Frequenz von politischen Gipfeltreffen ist ohnehin ein erstaunliches Phänomen. Die Regierungschefs der EU treffen sich mindestens viermal pro Jahr zu offiziellen EU-Gipfeln, dazu kommen NATO-Gipfel, G7-Gipfel, G20-Gipfel und unzählige Staats- und Arbeitsbesuche, die es wie der Besuch von Sipilä am Mittwoch kaum noch in die Nachrichtenspalten schaffen.

Ob diese Gipfel-Inflation der Lösung politischer Probleme wirklich zuträglich ist, darf bezweifelt werden – Roosevelt, Stalin und Churchill genügten, nebenbei gesagt, zwei große Gipfeltreffen, um den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen, und eines, um die Nachkriegsordnung zu beschließen. Nicht zu bezweifeln ist jedenfalls, dass diese Verdichtung von Politik durch Terminflut und öffentlich präsentierte Geschäftigkeit Angela Merkel sehr entgegen kommt. 

Das Zeitalter der Nähe zwischen Politik und Intellekt scheint vorbei

Eher kontemplative Politiker mit intellektuellen Interessen und Talenten, Typen wie Benjamin Disraeli oder André Malraux, die neben der Politik Weltliteratur verfassten (beziehungsweise umgekehrt) gibt es nicht mehr. Das Zeitalter der bisweilen intimen Nähe zwischen Politik und Intellekt scheint vorbei. 



Für die Kanzlerin scheinen Bücher keine besondere Bedeutung zu haben. Wir wissen von einem Vorlesetermin der Kanzlerin bei Kindern in Vorpommern, wo sie über ihre „Struwwelpeter“-Lektüre als Kind berichtete. Und seither? Man weiß es nicht wirklich. Einem ZEIT-Artikel von 2008 zufolge, hat sie damals eine Biografie des Malers Emil Nolde mit in den Sommerurlaub genommen. 2011 will sie im Urlaub das Libretto der Richard-Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ gelesen haben.

Der 2010 verstorbene Regisseur Christoph Schlingensief jedenfalls war mal mit einigen anderen Künstlern im Kanzleramt zu Gast. Ihr sei keine Frage eingefallen außer, ob man noch Schnittchen wolle. Von Richard Wagner jedenfalls habe Merkel keine Ahnung, sagte der damalige Regisseur der Bayreuther Festspiele .

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