Vor wenigen Tagen meldete eine der großen, überregionalen Tageszeitungen, „nie zuvor“ sei „es der Mehrheit der Deutschen so gut gegangen“. In anderen Medien fanden sich fast identische Überschriften. Die Bundesregierung, deren Armuts- und Reichtumsbericht der Anlass des Artikels war, dürfte sich gefreut haben. Denn das ist wohl die Botschaft, die die Regierenden am liebsten verkündet sehen wollen.
Statistiker und Ökonomen liefern immer wieder neue Nahrung für solche Erfolgsmeldungen: allen Nachrichten aus Syrien zum Trotz gebe es im Großen und Ganzen weniger Kriegstote auf der Welt, die Zahl der absolut Armen nimmt ab, die Wahrscheinlichkeit, bei einem Terroranschlag zu sterben ist in westlichen Ländern extrem gering. Kurz: Es geht langsam aber sicher aufwärts.
Wie viele Deutsche Trumps Vorschläge auch bei uns gerne verwirklicht sähen
Die Deutschen mögen Donald Trump nicht. Nur wenige Prozent hätten für den Republikaner gestimmt, ergaben Umfragen vor der US-Wahl. Doch ist ihnen womöglich nur der Mensch zuwider, nicht sein Programm? Und fürchtet die überwiegende Mehrheit, dass Trump ein gefährlicher Präsident wird? Eine aktuelle Ipsos-Umfrage im Auftrag der WirtschaftsWoche liefert dazu erstaunliche Erkenntnisse.
Auf die Frage, welche Trump-Vorhaben die Deutschen auch hierzulande gerne umgesetzt sähen, antworteten satte 56,3 Prozent, sie wollten die Abschiebung aller illegalen Ausländer.
34 Prozent der Befragten stimmen Trumps Forderung nach mehr Durchgriffsrechten für die Polizei zu.
Immerhin 30,6 Prozent wünschen sich weniger Einkommensteuer.
26,2 Prozent wünschen sich gar eine strikte Einreiseregulierung für Muslime.
Die Ablehnung der Deutschen gegen Freihandelsabkommen wie TTIP oder TPP zeigt sich auch in dieser Umfrage. 19 Prozent sähen auch hierzulande gerne ein Ende/Neuverhandlung der Freihandelsabkommen.
15 Prozent der Befragten sind für den Aufbau engerer Beziehungen zu Putins Russland.
Die Erbschaftsteuer sähen 13 Prozent der Befragten auch in Deutschland gerne abgeschafft.
Immerhin 4 Prozent wünschen sich eine Einführung von (Schutz-)Zöllen für Importe.
Mehrfach drohte der designierte US-Präsident mit dem Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. Nur 2 Prozent der Befragten sind für einen Austritt beziehungsweise Rückzug aus dem Klimavertag.
17 Prozent der Befragten ist nicht nur die Person Donald Trump zuwider. Auch das Programm des Republikaners stößt auf Ablehnung.
Gemessen an der Ablehnung seiner Person, sehen die Bundesbürger Trumps Rolle in der Welt noch vergleichsweise milde. 57,2 Prozent der Deutschen gehen davon aus, Trump werde vom Weißen Haus aus die Welt politisch destabilisieren.
55,9 Prozent erwarten negative Auswirkungen für Deutschland.
Zu den möglichen Folgen für die USA ist die Skepsis viel größer: Nur 12,2 Prozent sagen, Trump werde die internationale Position seines Landes nachhaltig verbessern.
Bekanntlich kommt das bei den Bürgern aber nicht so richtig an. Warum nur sind so viele Menschen so unzufrieden trotz derart befriedigender Fakten, fragt man sich in Politik und Medien. Und behilft sich vorerst mit dem Schlagwort „postfaktisch“. Es unterstellt, die Unzufriedenen fühlten das Falsche, verleitet von fehlender Bildung, irrationalen Ängsten und übler Populistenhetze. Diese vordergründige Rattenfänger-Erklärung führt dann zum direkten Kampf gegen Hetzer und Populisten. Als ob diese die Ursache des Verdrusses wären – und nicht eine Folge.
Das Unbehagen geht aber weit über die Anhängerschaft der neuen „populistischen“ Bewegungen hinaus. Einer Umfrage zufolge bezweifeln zwei Drittel der Deutschen, dass die von amtlichen Stellen veröffentlichten Statistiken zur Zuwanderung, zur Einkommens- und Vermögensverteilung und zur Arbeitslosigkeit „die Wirklichkeit einigermaßen korrekt widerspiegeln“. Diesem Unglauben geben Meldungen wie diese ganz handfeste Nahrung: Das Polizeipräsidium in Oberhausen hat der Öffentlichkeit, wie das nordrhein-westfälische Innenministerium einräumen musste, nur rund die Hälfte der tatsächlichen Einbrüche bekannt gegeben.
Mindestens ebenso erstaunlich wie der Vertrauensverlust in die amtlichen Statistiken ist ein scheinbarer Widerspruch in der letzten Auswertung des Eurobarometers vom Sommer 2016. Die Umfrage offenbart in ganz Europa einen großen politischen Pessimismus. Auch im wirtschaftsstarken Deutschland. Die Deutschen und die übrigen Europäer nehmen durchaus zur Kenntnis, dass es ihnen persönlich sehr gut geht. 89 Prozent der Deutschen sind mit ihrem persönlichen Leben zufrieden. 82 Prozent mit ihrer finanziellen Lage, 68 Prozent finden sogar ihren Job in Ordnung. Aber das verleitet sie eben nicht zu politischer Zuversicht und zum Vertrauen in die politischen Eliten.
Die Wahrnehmung einer großen Krise ist unübersehbar. Immer mehr Menschen in Deutschland und anderen westlichen Ländern sind von einer Ahnung beunruhigt, dass die guten Zeiten, von denen ihre leidgeprüften Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg träumten, und die ihre Eltern und sie selbst immer noch genießen, unsicheren, vielleicht sogar gefährlichen Zeiten weichen. Im vergangenen Jahr gehörte ein Interview mit Kurt Biedenkopf zu den meistgelesenen Texten dieser Website, das dieses Zitat zum Titel hat: „Der Westen ist nicht mehr weit vom Chaos entfernt“.