Knauß kontert

Die Muslimen-Studie von Bertelsmann ist haltlos

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Der ausgelutschte Begriff der Integration

Diskursbeiträge wie diese Bertelsmann-Studie tragen dazu bei, dass „Integration“ immer mehr zu einem Wieselwort verkommt, einem Begriff, dem die Bedeutung ausgesaugt wird. Noch vor einigen Jahren verstand man unter Integration einen Prozess der kulturellen Angleichung von Einwanderern in der Aufnahmegesellschaft. Heute genügt es offenbar, einen Job und „Freizeitkontakte“ mit Menschen anderer Religion zu haben, um als integriert zu gelten. Unter Einwanderern selbst ist „integriert“ einfach ein Synonym dafür geworden, kein Versager, kein Loser zu sein. Vermutlich würde selbst eine in Duisburg-Marxloh durchgeführte Umfrage nur wenige eingewanderte Probanden finden, die sich als „nicht integriert“ offenbaren.  

Nach den bescheidenen Ansprüchen von Bertelsmann waren demnach wohl auch die Attentäter von Barcelona integriert. Schließlich, so berichtet eine Spanien-Korrespondentin unter der Überschrift „integriert und radikalisiert“: „Sie haben Fußball gespielt und Hausaufgaben gemacht, sie hatten Freunde und lebten im Schoß ihrer Familien. Sie beherrschten die Landessprache, kannten die Sitten, wie so viele junge Leute in Spanien hatten sie manchmal einen Job und manchmal nicht. Und vermutlich hätte niemand etwas dagegen gehabt, wenn sie irgendwann einen einträglichen Beruf und einen gewissen sozialen Aufstieg errungen hätten.“

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Einer von ihnen besuchte auch regelmäßig die vom Sozialamt seiner spanischen Heimatstadt organisierte unentgeltliche Hausaufgabenbetreuung. Die beiden Attentäter-Brüder Mohamed und Omar Hychami hat ein Lehrer als fleißige Schüler in Erinnerung. Mohamed hatte später einen Job in einer Metallverarbeitung. Die Zeitung „El País“ berichtet, dass sein Chef ihn für so unverzichtbar hielt, dass er ihn bat, seinen Urlaub zu verschieben, um einen Auftrag zu erledigen.

So entschieden wie die Bertelsmann-Autoren den muslimischen Migranten das Urteil über ihre Integration überlassen, so eindeutig weisen sie die Aufgaben für eine noch besser gelingende Integration der Aufnahmegesellschaft, beziehungsweise dem Staat zu. Es seien drei „Hebel“ wichtig: „Teilhabegerechtigkeit auf allen Ebenen ausbauen“, „kulturelle und religiöse Vielfalt anerkennen“, „das interreligiöse und interkulturelle Zusammenleben gestalten“. Konkret wünscht sich die verantwortliche Projektleiterin Yasemin El-Menouar zum Beispiel: „Pflichtgebete und Moscheegänge sollten auch mit Vollzeitjobs vereinbar sein“.

An die zu integrierenden Muslime selbst stellt die Bertelsmann-Stiftung übrigens überhaupt keine Forderungen. Nicht einmal die Treue zum Grundgesetz wird eingefordert, geschweige denn die Anpassung an eine Leitkultur, deren Existenz die Autoren rundweg in Frage stellen. Fazit: Diese Studie kann und sollte man getrost vergessen. Zur Erhellung der Einwanderungswirklichkeit und Lösung von Integrationsproblemen trägt sie wenig bei.

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