Knauß kontert

Integration durch Bildung wird schwieriger

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Die Digitalisierung schwächt elitäre Erziehungsversuche

Zunächst: Die deutschen Integrationspolitik folgt einem rein ökonomischen Verständnis von Bildung und Integration. Einwanderer, die berufliche Qualifikationen erwerben und am Erwerbsleben einigermaßen erfolgreich teilhaben, gelten demnach meist schon als integriert. Dass man auch mit Studienabschluss und einem festen Einkommen in einer Parallelgesellschaft leben kann, wird oft ignoriert. Vergessen wir nicht: Mohamed Atta, einer der Attentäter vom 11. September 2001, war erfolgreicher Student in Hamburg. Zu studieren und Geld zu verdienen macht nicht immun gegen Islamismus oder die Ablehnung der freien Gesellschaft.

Der Islamologe Bassam Tibi sieht in der „halben Moderne“, also der oberflächlichen Aneignung von Technik bei Ablehnung der dahinter stehenden Kultur von individueller Freiheit und Wissenschaft, den Grund für die Misere der islamischen Gesellschaften. Und zwar sowohl in den Herkunftsländern, als auch in den Einwanderungsländern. Man bewundert moderne Technik, kommuniziert mit dem Smartphone, sehnt sich nach materiellem Reichtum, kann aber an den dahinter stehenden Innovationen und Wertschöpfungen nicht teilhaben, weil man „gedanklich immer noch im zwölften Jahrhundert steckt“, wie der pakistanische Atomphysiker Pervez Hoodbhoy einmal sagte. Mit der Folge eines tief empfundenen Gefühls des Scheiterns und Nichtdazugehörens.

Nötig wäre es also, „Integration durch Bildung“ anspruchsvoller zu definieren: als Aneignung der kulturellen Moderne samt der dahinter stehenden Kultur von individueller Freiheit und Wissenschaft - und nicht nur ihrer technisch-ökonomischen Methoden. Davon ist aber weder in Integrationsgesetzen noch bei Bildungsforen die Rede. Der politische Mut fehlt.

Dazu kommt: Die Digitalisierung beschränkt die Einflussmöglichkeiten von Erziehungseliten extrem. Die Lehrmeister der Deutschen in den Nachkriegsjahrzenten – die Etablierten in Politik, Medien und Wissenschaft – haben durch das Internet ihr Monopol an den Kommunikationsmitteln verloren. Ein Syrer oder Pakistaner in Deutschland kann dank seines Smartphones völlig unabhängig von deutschen Leitmedien kommunizieren – ebenso wie ein Pegida-Demonstrant.

Erziehung und Bildung funktionieren nur mit der Autorität eines Lehrers. Aber die Digitalisierung ist antiautoritär. Sie hat die Völker „kommunikativ in die Selbständigkeit entlassen“, wie Gabor Steingart feststellt. Populisten und Pegidisten sind dank Facebook und alternativer Medien ebenso schwer erziehbare Kinder der Digitalisierung wie durch Youtube-Videos „selbstradikalisierte“ Islamisten. Und die Versuche des Bundesjustizministers "Hass" im Internet zu bekämpfen sind ebenso hilflose Erziehungsversuche, wie die Bildchen in Schwimmbädern, die arabischstämmigen Männern klarmachen sollen, dass sie Mädchen nicht an den Po fassen dürfen.

Der feste Glaube der Deutschen an Bildung und die Erziehbarkeit der Menschen, der in der eigenen nationalen Geschichte wurzelt, wird unter all diesen Bedingungen in den kommenden Jahrzehnten auf eine schwere Probe gestellt werden.

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